
Asphaltidylle statt Flanierstädtchen? Bürger kämpfen für Brettener Ortskern
Bretten/Backnang. Der Stein des Anstoßes war ein ganzes Haus: «Das Böckle» in Bretten (Landkreis Karlsruhe) - eine ehemalige Bäckerei mit Brezel-Malerei an der Fassade, über der anstatt eines Damoklesschwerts die Gefahr einer Abrissbirne schwang. Aus Sicht von Matthias Goll ist es auch nur ein Beispiel von vielen, weshalb er der Rathausspitze vorwarf: «In Bretten wird derzeit so gut wie nichts für den Erhalt des historischen Stadtbildes getan. Stattdessen sollen Fachwerkhäuser abgerissen und durch Betonwüste ersetzt werden.»
Um seinem Unmut Kraft zu verleihen, hat Goll die «Initiative Altstadtrettung Bretten» gegründet. Der Einstiegsbeitrag auf der Homepage fasst die Kritik in einer Überschrift zusammen: «Tausche sexy Flanierstädtchen mit gemütlichem Charme gegen Beton- und Asphaltidylle». Ist es wirklich so schlimm?
«Flanieren, Ausgehen, Konzerte besuchen - das tut niemand in einem Neubaugebiet», sagt der promovierte Kunsthistoriker. «Das sucht man im Stadtkern.» Bretten jedoch fehle es an Kreativität - etwa wie man eine alte Fachwerkscheune in das Gelände für die geplante Landesgartenschau 2031 integrieren könnte statt sie abzureißen.
Der Oberbürgermeister der 30.000-Einwohner-Stadt, Martin Wolff (Freie Wähler Vereinigung), sieht die Sache naturgemäß anders:
"Wir bemühen uns sehr, den Altstadtcharakter zu erhalten."
Er und die Verwaltung würden in eine Ecke gestellt, «in der wir nie waren».
Mehrere Millionen Euro würden in die Sanierung denkmalgeschützter Gebäude gesteckt, führt Wolff an. Die Stadt saniere derzeit ein solches Haus aus dem Jahr 1689 für rund 2,5 Millionen Euro. Unweit davon steht das Böcklehaus aus dem gleichen Baujahr, das einem Investor überlassen wurde und nun ebenfalls saniert werden soll.
In den 1970er Jahren sei viel Bausubstanz abgerissen worden, räumt Wolff ein. «Weil man keine Idee hatte, was man damit macht.» Vor kurzem hat der Gemeinderat die Erarbeitung einer sogenannten «Erhaltungssatzung» beschlossen. Fachleute sollen nun den Bestand ermitteln und Vorschläge machen, wie in Zukunft mit der alten Bausubstanz umgegangen werden soll. Aus Golls Sicht hat hier vor allem das Bemühen der «Initiative Altstadtrettung» die Politik zum Umdenken bewegt - ebenso wie bei der Rettung des «Böckle».
Mit den Mitgliedern des Vereins - darunter Denkmalschutzexperten, Restauratoren und Architekten - will der Rathauschef indes nicht zusammenarbeiten. «Das machen wir mit einem neutralen Fachbüro, das am Ende auch für das Ergebnis verantwortlich zeichnen wird.»
So konfliktbehaftet wie in Bretten muss es nicht laufen, wie das Beispiel Backnang (Rems-Murr-Kreis) zeigt: In mehreren Runden wurde und wird dort die Innenstadt behutsam erneuert. «Es wird immer versucht, die historische Bausubstanz zu erhalten, zu sanieren oder zu ergänzen», sagt Baudezernent Stefan Setzer. Mit zwei Ausnahmen habe es keine Abrisse gegeben - und die lägen Jahrzehnte zurück. Protest aus der Backnanger Bürgerschaft? Fehlanzeige.
«Sie brauchen einen extrem langen Atem, wenn Sie immer alles im Konsens machen wollen», räumt Setzer zwar ein. «Das bietet sich bei diesem Thema aber auch an.» Das Ergebnis: Das baden-württembergische Ministerium für Landesentwicklung und Wohnen verweist unter anderem auf Backnang als Best-Practice-Beispiel für städtebauliche Erneuerungsmaßnahmen, bei denen die Ortsmitten oder Stadtzentren gestärkt und zukunftssicherer gemacht werden konnten.
Überhaupt macht sich Ministerin Nicole Razavi (CDU) in einer Antwort auf einen Antrag der Grünen-Fraktion für den Erhalt der Ortskerne stark - im besten Fall verbunden mit Anpassungen an den Klimawandel. «Im bundesdeutschen Vergleich besitzt Baden-Württemberg eine herausragende historische Städtelandschaft», heißt es da. «Das Land ist durch eine besondere Vielfalt, Individualität und Qualität von historischen Stadt- und Ortskernen ausgezeichnet.»
Verschiedene Fördermöglichkeiten - auch speziell für ländlichere Regionen - gebe es. Dabei gehe es zum Beispiel um den Erhalt denkmalpflegerisch wertvoller Bausubstanz sowie stadt- und ortsbildprägender Gebäude. «Gerade historische Gebäude tragen zur Aufwertung der Ortsmitten bei und führen bei den Bürgerinnen und Bürgern zu einer verstärkten Identifikation mit ihrem Ort.»
Viele Kommunen erhalten Fördermittel
Kommunale Gestaltungsbeiräte etwa können aus Sicht von Razavi wertvolle Beiträge zum Erhalt und zur Weiterentwicklung des Siedlungsbestands, insbesondere der Ortsmitten und Stadtzentren, leisten. Rund 50 Städte und Gemeinden hätten mittlerweile ein externes Expertengremium für das Planen und Bauen eingesetzt. Viele Kommunen erhielten dafür Fördermittel des Landes. Und laut Studien löse jeder eingesetzte Euro an Sanierungsförderung durchschnittlich acht Euro an öffentlichen und privaten Folgeinvestitionen aus.
Aus Sicht des Gemeindetags Baden-Württemberg sind Debatten wie in Bretten die Ausnahme. Vielfach fänden die Verantwortlichen vor Ort gemeinsam Lösungen mit Blick auch auf Aspekte wie Wohnen und Handel, sagt eine Sprecherin. «Das gelingt nach unserem Eindruck gut.» Dazu könne durchaus mal ein Abbruch zählen. Wichtig sei, dass es sich um individuelle Lösungen handelt. Pauschale Antworten gebe es oft nicht.