grüne stuttgart fritz kuhn
Der Stuttgarter Oberbürgermeister-Kandidat Fritz Kuhn (Bündnis 90/Die Grünen) steht am  während eines Porträttermins auf dem Schlossplatz in Stuttgart. Am Sonntag, 07. Oktober 2012, findet in der baden-württembergischen Landeshauptstadt die Oberbürgermeisterwahl statt. 

Nehmen die Grünen in Stuttgart weitere CDU-Bastion?

Die Staatskanzlei haben sie schon - jetzt blasen die Grünen zum Sturm auf den Stuttgarter OB-Sessel. Am 7. Oktober will der grüne Polit-Profi Fritz Kuhn die jahrzehntelange Vorherrschaft von CDU-Oberbürgermeistern in Stuttgart beenden. Die Chancen für einen Coup in Deutschlands sechstgrößter Stadt sind gut. Eine Umfrage von SWR und «Stuttgarter Zeitung» sieht den grünen Realo mit 31 Prozent der Stimmen vor seinem schärfsten Konkurrenten, dem von CDU, FDP und Freien Wählern unterstützten, aber parteilosen Unternehmer Sebastian Turner (28 Prozent).

Zu den aussichtsreichsten unter den insgesamt 14 Kandidaten gehören auch die einzige Frau, die von der SPD unterstützte Schwäbisch Haller Sozialbürgermeisterin Bettina Wilhelm (21) sowie der S-21-Gegner und Stadtrat der Gruppierung SÖS (Stuttgart Ökologisch Sozial), Hannes Rockenbauch (13). Doch ein Anteil von 37 Prozent Unentschlossener macht das Rennen noch spannend.

Insbesondere für die durch die Niederlage bei der Landtagswahl 2011 und durch die EnBW-Affäre gebeutelte CDU wäre es Balsam für die Seele, den nach Meinung vieler zweitwichtigsten Posten im Land wieder zu besetzen. Die SPD könnte einen Sieg der von ihr getragenen Kandidatin ebenfalls gut gebrauchen, hängt ihr noch immer nach, dass sie in der Regierungskoalition nur Juniorpartner ist und ihr Vize-Ministerpräsident Nils Schmid (SPD) im Schatten des beliebten Regierungschefs Winfried Kretschmann (Grüne) steht. «Gegen Turner zu verlieren, wäre für die SPD nicht schön, gegen Kuhn zu verlieren, wäre für sie eine Demütigung», heißt es in CDU-Kreisen.

Es wird nicht damit gerechnet, dass einer der Kandidaten im ersten Anlauf die 50-Prozent-Hürde nimmt. Bei einer möglichen Neuwahl am 21. Oktober reicht dann die einfache Mehrheit der Stimmen. Die Frage ist, wie sich Kuhn und Wilhelm dann verhalten. Einzeln genommen hat jeder der beiden mehr Spielraum nach oben als Turner, der bereits von CDU, FDP und Freien Wählern unterstützt wird. Gehen aber beide in die nächste Runde, würde eine Stimmenzersplitterung im Lager links des Werbefachmanns («Wir können alles. Außer Hochdeutsch») dessen Sieg möglich machen. Rockenbauch hat bereits angekündigt, seinen Hut nicht wieder in den Ring zu werfen, um den CDU-Kandidaten zu verhindern. Allerdings nur, wenn sich die Umfragen bei der Wahl bestätigen.

Ob eine Absprache zwischen Kuhn und Wilhelm zustande kommt, ist ungewiss. Bisher sind solche Vereinbarungen missglückt, auch weil sich Grüne und SPD in der Landeshauptstadt nicht gewogen sind. 1996 konnte sich CDU-Mann Wolfgang Schuster nur durchsetzen, weil im zweiten Durchgang nicht nur sein Hauptkonkurrent Rezzo Schlauch (Grüne), sondern auch der SPD-Bewerber Rainer Brechtken erneut antrat. Während die SPD damals Ärger bei den Grünen über die vermasselte Chance auslöste, sorgte bei der OB-Wahl 2004 ein Grüner für Frust. Der damalige Grünen-Kandidat und heutige Tübinger OB Boris Palmer sprach sich vor der Neuwahl indirekt für Schuster aus und machte sich aus Sicht der SPD zu dessen Steigbügelhalter.

Schulpolitik, bezahlbarer Wohnraum, Verkehrs- und Wirtschaftspolitik sind die Themen, die den Stuttgarter auf den Nägeln brennen. Das Milliarden-Bauvorhaben Stuttgart 21 rangiert je nach Umfrage nur noch auf Rang vier oder acht. Doch die Kandidaten kommen nicht um das Thema darum herum. Turner will als Befürworter des Tiefbahnhofs eine Dauerbaustelle und eine Kostenexplosion vermeiden. Die beiden S-21-Kritiker Kuhn und Wilhelm wollen der Bahn genau auf die Finger schauen. Rockenbauch strebt als ehemaliger Sprecher des Aktionsbündnisses gegen Stuttgart 21 den Ausstieg der Stadt aus dem Projekt an. Dass es in der Metropole mit rund 600 000 Einwohnern noch rumort, hatte kürzlich auch Regierungschef Kretschmann konstatiert: «Der Graben, den S 21 in dieser Stadt gezogen hat, ist noch nicht zugeschüttet.» dpa