Robert Seethaler
Robert Seethaler erzählt von kleinen Leuten in Wien. 

Robert Seethaler erzählt vom Wien der kleinen Leute

Robert Seethaler ist ein Erzähler, der den Mund nie zu voll nimmt. Er steht nicht auf Wortakrobatik, kommt mit bescheidenen Mitteln aus. Und er hat großartige Bücher wie «Ein ganzes Leben» (2014) geschrieben, die durch sprachliche Schnörkellosigkeit beeindrucken und durch Geschichten, die den Menschen nahegehen. All das gilt auch für seinen neuen Roman «Das Café ohne Namen». Er spielt wie sein bekanntestes Werk «Der Trafikant» (2012) in seiner Geburtsstadt Wien - allerdings nicht in der Nazi-Zeit, sondern erst in der ab seinem Geburtsjahr 1966.

Das Wien, das Seethaler porträtiert, kommt ohne Glanz, ohne Hofburg und Schloss Schönbrunn aus. Er konzentriert sich auf das Karmeliterviertel, eins der ärmsten und schmutzigsten der Stadt. Dort auf dem Markt arbeitet die Hauptfigur Robert Simon. Robert wuchtet Kisten mit Steckrüben und Zwiebeln auf die Schulter und trägt sie vom Verladeplatz zu den Gemüseständen, reinigt beim Fischhändler die Eisbottiche oder stapelt leere Paletten. «Er hatte seine Arbeit immer gemocht: die Abwechslung, die körperliche Anstrengung.»

Treffpunkt für einfache Leute

Aber er ist auf der Suche nach etwas Neuem. Zu Beginn des Romans macht er sich an einem Spätsommermorgen auf den Weg zur Arbeit und wirft dabei einen Blick in das ehemalige Marktcafé, in dem die Tische und Stühle übereinandergestapelt stehen. Am nächsten Tag wird er sich mit dem Hauseigentümer einig. Und schon bald eröffnet er sein eigenes Café, in dem es Himbeersoda, Bier, Wein aus Gumpoldskirchen und Schmalzbrot mit Zwiebel gibt.

Es ist ein Sammelpunkt für einfache Leute, die oft kein einfaches Leben haben. So wie Simon selbst, der in einem Heim für Kriegswaisen aufgewachsen ist, mit 15 die Schule verlassen und lange als Abräumer in den Pratergärten sein Geld verdient hat. «Es sind randständige Menschen, Menschen, die an Grenzen langgehen und die diese Grenzen erweitern und gegebenenfalls überschreiten. Das interessiert mich», sagte Seethaler der Deutschen Presse-Agentur.

Der Autor zeichnet von seinen Figuren ein unsentimentales Bild, aber mit viel Empathie. Es ist eine Kunst, die er beherrscht: über kleine Leute große Geschichten zu erzählen. Und es ist eine Welt, die er kennt. Der erfolgreiche, in Wien und Berlin lebende Schriftsteller, Drehbuchautor und Schauspieler stammt selbst aus einer Arbeiterfamilie. «Aus dem Karmeliterviertel kommen meine Eltern und auch schon die Großeltern», sagte Seethaler. «Die Gegend ist jetzt gentrifiziert. Damals war das wirklich heruntergekommen, ein Armenviertel.»

Menschen mit Schwächen und Herz

Seine Protagonisten sind Schichtarbeiter, Obstbauern, die Mädchen aus der Garnfabrik. Da ist der pensionierte Gaswerkskassierer Harald Blaha, der ein Glasauge hat, das er nach dem vierten oder fünften Bier über den Tisch rollen lässt. Da ist Simons Freund, der Fleischermeister Johannes Berg, der gerade zum vierten Mal Vater wird, oder René Wurm, der als Ringer auf dem Heumarkt sein Geld verdient und sich Kämpfe mit Gegnern wie Wlado Knjevskow, dem georgischen Bären, liefert.

Es sind Menschen mit Schwächen, aber auch mit Herz. «Es schneit, Simon», lässt Seethaler René sagen. «Hol mich der Teufel, aber ich glaub, ich hab in meinem Leben nichts Schöneres gesehen!» Abgesehen von Mila vielleicht, der jungen Frau, die vom Land nach Wien gekommen ist und dringend Arbeit sucht.

Kein geborener Held

«Das Geld für die Miete langt noch bis Ende des Monats, danach sitze ich auf der Straße», gesteht sie Simon. Und der stellt sie sofort ein.

«Er kämpft und strampelt sich ab, mit aller Kraft, um seinen Traum zu verwirklichen», sagte Seethaler über seine Hauptfigur. «Er hat eine Vision, und der geht er nach. Aber er trägt keine naturgegebene Stärke in sich. Er ist kein geborener Held. Das wäre auch langweilig.»

Irgendwann ist das Café ohne Namen in die Jahre gekommen. Der Tresen und die Tische sind voller Flecken, unter der Tür beginnen sich die Dielen zu wellen. Und der Hausbesitzer hat andere Pläne.

Es gibt noch einmal ein rauschendes Fest, bevor Simon ein letztes Mal die Tür zumacht. Er steht da und lauscht der Stille in den Mauern und in den Schatten hinterm Tresen. «Dann nahm er seine Jacke vom Haken und ging.» Ein typischer Seethaler-Satz - lakonisch und vielsagend zugleich.

- Robert Seethaler: Das Café ohne Namen. Claassen-Verlag, 224 Seiten, 24 Euro, ISBN 978-3-546-10032-8.

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