760_0900_54645_.jpg
Auch Viv Albertine wurde immer wieder um eine Widmung gebeten.  Foto: Molnar/Ketterl/Sprachsalz 
760_0900_54644_.jpg
Alle Stühle besetzt: Wie bei der Lesung von Claire Keegan und ihrer deutschen Stimme Hans-Christian Oeser war der Palmengarten im „Parkhotel“ meist ausgebucht. Hinter der Autorin die stimmungsvollen Bilder von Anina Gröger, die den Leseräumen ein besonderes Gepräge gaben.  Foto: Molnar/Ketterl/Sprachsalz 
760_0900_54646_.jpg
Für Spannung sorgte Autor Martin von Arndt bei seiner Lesung.  Foto: Molnar/Ketterl/Sprachsalz 
760_0900_54647_.jpg
Viel zu lachen und zu schmunzeln gab es nicht nur bei der Lesung von Joachim Zelter.  Foto: Molnar/Ketterl/Sprachsalz 
760_0900_54648_.jpg
Yannick Haenel.  Foto: Molnar/Ketterl/Sprachsalz 

„Sprachsalz“ in Pforzheim: Brisant, spitzbübisch und manchmal ein bisschen vulgär

Zwei Tage unter Leichen: „Was haben Sie gespürt in diesem Moment?“, drischt der Kommissar auf den mutmaßlichen Täter und Völkermord-Zeugen ein. Martin von Arndt leiht beiden seine Stimme, brüllt mit barschem Ton und wirkt im nächsten Moment wie gelähmt. Der bei Stuttgart lebende Autor macht es schon zu Beginn des zweiten Festivaltages spannend, liest aus seinem Politthriller „Tage der Nemesis“, der vor dem Hintergrund des Genozids am armenischen Volk durch die Türken spielt. Und während draußen die Sonne scheint, ist im tropisch warmen Palmengarten des „Parkhotels“ von Mord und Massakern die Rede. Doch genau solche Kontraste machen das Literaturfestival so reizvoll. Lustig, brisant, provozierend – „Sprachsalz“ ist abwechslungsreich, bietet eine Vielfalt an internationalen Autoren und Geschichten in entspannter Festivalatmosphäre.

Da kommt der eine mit E-Book und Laptop, der andere mit klassisch gebundener Ausgabe, ist sparsam in der Rhetorik oder reich an Mimik. Da herrscht ein reges Kommen und Gehen bei den Lesungen im Stundentakt. Da wird auf der Terrasse geplauscht, am Büchertisch gestöbert, beim Gedränge zur Kaffeezeit fleißig signiert.

Besonders gefragt ist Autor Joachim Zelter. „Das Ambiente ist wunderbar“, sagt der 1,90 Meter große, hagere Autor, es gebe Austausch auf allen Ebenen. Locker-lässig, mit Base-Cap, T-Shirt und spitzbübisch blitzenden Augen, zeigt er sich auch beim Lesen aus „Die Würde des Lügens“. Kein aktuelles Buch, dafür etwas Bewährtes, das Zelter schon vor Jahren mit Monica Bleibtreu gelesen hat. Einfach herrlich, die Fabulierlust, die schelmisch übertriebenen Lügen des Jungen gegenüber seiner Großmutter, die Zelter pointiert erzählt. Bildungslügen- oder Lügenbildungsbericht? Die Frage bleibt offen.

Verraten wird auch nicht der Ausgang des hochbrisanten Romans von Yannick Haenel, der derzeit am Theater Pforzheim inszeniert wird (siehe Artikel unten). „Die bleichen Füchse“ handelt von einer gespaltenen Gesellschaft, von einem Franzosen, der alles hatte und auf die Seite der anderen gerät. Mit Regisseur Tom Gerber liest der Pariser Autor kurze, metaphorische, nicht immer so schnell erschließbare Auszüge. Beide wirken nachdenklich, machen Pausen. Und doch klingt das Französische weicher und versunken, die Übersetzung dagegen klar betont.

Eine besondere Aura umgibt auch den Auftritt der gedankenvertieften Irin Claire Keegan – lange rote Haare, leichtes Lächeln, erdige Stimme mit Akzent. Gerade kommt sie mit ihrem Dolmetscher Hans-Christian Oeser von einer Tour durch den Schwarzwald zurück. Die Liebe zum Ländlichen schlägt sich auch in ihrer dichten Erzählung „Das dritte Licht“ nieder, die mit nüchternem Witz begeistert. „Ist es tatsächlich so, dass man in Irland neben der Leiche isst und trinkt?“, will jemand wissen, findet doch bald mehr Gespräch als Lesung statt, wird philosophiert und laut getuschelt.

Ganz anders dagegen die Stimmung bei Viv Albertine, die „A Typical Girl“ vorstellt: „Es riecht nach kalter Pisse“, liest Brigitte Zeh im Wechsel mit der Londoner Ex-Punk-Gitarristin, die öfter das Gesicht verzieht. Das erste Blasen mit 22, die Parasiten im Schamhaar, das Verlangen nach Sex gleich nach dem Ehe-Aus – es ist ein Lese-Duett der unterhaltsamen Art, mit reichlich Vulgärsprache, aber auch plötzlichem Innehalten etwa bei der Angst vor Krebs. Das Festival lebt von Kontrasten – und vom Kennenlernen teils unbekannter Autoren.