
Neues Album „Anders immer anders“ von Tagebuch: So geht das mit dem Leben!
Lahr/Baden-Baden. Mal ehrlich: Die meisten der deutschen Gute-Laune-Popnummern, die in den Rotationen von Radiosendern und Streamingdiensten kreisen, sind ziemlich flach. Texte mäandern zwischen Binsenweisheiten und Kalendersprüchen, Melodien sind eingängig, gern hymnisch, aber austauschbar. Das Projekt Tagebuch, das in dieser Woche sein erstes Album „Anders immer anders“ an den Start bringt, fährt hierzu das totale Kontrastprogramm. Es geht inhaltlich aufs Ganze und in die Tiefe, und überrascht musikalisch mit überaus raffinierten Arrangements. Mit diesem Mix haben Carmen Eder (28) und Gerhard Schmitt (49), die beiden Wahlberliner mit doppelten Bezügen zu Baden, zuvor in Sozialen Medien zusehends für Furore gesorgt.
Tatsächlich hätten Eder und Schmitt ihrem Projekt auch den Namen „Baden-Baden“ geben können: Er stammt aus dem badischen Lahr, sie aus dem österreichischen Baden bei Wien. Kennengelernt haben sich die beiden Badener in der Bundeshauptstadt, wo sie leben und schon lange gemeinsam Songs schreiben. Was das Album zusammenführt, ist die Essenz aus den zurückliegenden vier Jahren. „Wie geht das mit dem Leben?“, heißt die erste Single. Dieser Frage geht Eder grundsätzlich gerne nach. Selbstzweifel und Ängste thematisiert die studierte Logopädin und in Wien wie in New York ausgebildete Sängerin in ihren Liedern, generelle Sinnsuche und individuelle Krisen. Seit sie Musik mache, habe sie auf emotionale Texte gesetzt, berichtet sie im PZ-Gespräch. In „Anders immer anders“ steckten ausschließlich „Geschichten aus unserem Leben mit Mut zu Fehlern, angeblichen Problemen, Kontrasten – eben all diesen Verzwirbeltheiten in uns“. Eder verrät: „Die Hälfte der Texte habe ich unter Tränen geschrieben.“
Wohldosiert aus dem Vollen
Das konnten dann aber durchaus auch Freudentränen gewesen sein. Denn Tagebuch liefert beileibe keine schwere Kost. Dafür sorgen Eders gewitzte textliche Wendungen und ihre gefühlvolle, klare und warme Stimme, vor allem aber auch der Ideenreichtum des Klangkünstlers Gerhard Schmitt. Der studierte Jazzgitarrist ließ bereits mit eigenen Bandprojekten wie „Trondheym“ aufhorchen, trat mit Größen wie Konstantin Wecker auf, wirkte als Musiker und Komponist unter anderem an der Berliner Volksbühne und greift seit vielen Jahren für die Blue Man Group in Berlin und aller Welt in die Saiten. Für Tagebuch schöpft er aus dem Vollen. Selbst spielt Schmitt auf der Scheibe Ukulele, Mandoline, Pedal-Steel, elektrische Zither, Bass und natürlich Gitarren aller Art. Mehrere Gastmusiker – insbesondere Schlagwerker – „aus dem Blue-Man-Dunstkreis“ sorgen dafür, dass es „groovemäßig abgeht“, wie Schmitt verschmitzt erläutert. Weil er ein Meister des Dosierens ist, wirkt das alles nicht überladen, sondern macht Spaß und birgt Überraschungen – auch beim siebten oder achten Hören.
Klar macht auch diesen beiden Musikern die Pandemie zu schaffen. Bis auf ein Engagement Schmitts im September im Berliner Ensemble in „Panikherz“ von Benjamin von Stuckrad-Barre ruht die Konzerttätigkeit weitgehend, die Shows der Blue Man Group sind zumindest bis zum Jahresende ausgesetzt. Nun wird die Scheibe, die am Freitag, 14. August, erscheint, eben in einem Online-Konzert präsentiert. Die Social-Media-Fangemeinde freut sich darüber hinaus auf ein neues der so pfiffigen Musikvideos: Morgen kommt „Hauptgewinn“ ins Netz. Es ist in Kooperation mit Verwandten und Freunden entstanden – wie das gesamte Album.
Viele jener, die nun durch dieses klingende Tagebuch blättern, werden sich selbst darin wohl viel eher und häufiger wiederfinden als in aalglatten Allerweltsnummern von Kommerzpop-Profis. Denn mal ehrlich: Macht nicht gerade das Unperfekte im Leben dessen Schönheit aus?