
Wolfgang Dietrich beim VfB Stuttgart, ein Präsident in zwei Welten
Wolfgang Dietrich ist seit mehr als 30 Monaten Präsident des VfB Stuttgart - unumstritten war der Unternehmer seither noch nie. Schon vor dem Abstieg hat die Kritik an ihm wieder massiv zugenommen. Ein Rücktritt kommt nicht infrage. Und Rückendeckung hat er auch.
Der Präsident des VfB Stuttgart muss sich seit seiner Wahl im Oktober 2016 fühlen wie in zwei Welten. In der einen - der Welt der Fans, der Medien und Beobachter - wird Wolfgang Dietrich mehr oder weniger permanent kritisiert. In der anderen - die der Gremien mit Aufsichtsräten und Vorständen und die der Sponsoren - bekommt der 70-Jährige dagegen oft ein ganz anderes Signal: Fürsprache. Wie zuletzt am Mittwochabend, als die Aufsichtsräte der VfB Stuttgart 1893 AG ihrem Vorsitzenden zwei Tage nach dem Abstieg der Profis in die 2. Fußball-Bundesliga das Vertrauen aussprachen. Für beide Welten gibt es Gründe.
Als Dietrich, der wegen seiner früheren Aufgabe als Sprecher des Bahnprojekts Stuttgart 21 sofort polarisierte, für das Amt des Präsidenten kandidierte, war sein wichtigstes Thema: eine Entscheidung in der Ausgliederungsfrage. Bei der außerordentlichen Mitgliederversammlung im Juni 2017 votierten schließlich 84,2 Prozent der anwesenden Mitglieder des damals gerade wieder in die Bundesliga aufgestiegenen Traditionsvereins für die Gründung einer AG. Beworben hatte der Club unter Präsident Dietrich die Ausgliederung mit dem Slogan «Ja zum Erfolg». Dank Platz zwei in der Rückrundentabelle stürmte der VfB in der Comeback-Saison auch gleich zu Rang sieben.
Dann kam die Saison 2018/2019. Trainer I, Tayfun Korkut, musste nach neun Monaten im Amt im Oktober gehen. Der von Dietrich zum Nachfolger des in der Öffentlichkeit sehr beliebten Sportvorstands Jan Schindelmeiser auserkorene Michael Reschke folgte im Februar, nach 18 Monaten beim VfB. Trainer II, Markus Weinzierl, war seinen Job nach sechs Monaten im April los. Die von Dietrich versprochene und angestrebte Kontinuität auf den wichtigsten Positionen eines Sportvereins kannte man in Stuttgart mal wieder nur aus Erzählungen.
Der VfB landete auf Rang 16 und musste in die Relegation. Am Montagabend besiegelte das 0:0 gegen den 1. FC Union Berlin den dritten Abstieg der Clubgeschichte. Vom versprochenen Erfolg war trotz der 41,5 Millionen Euro von Investor Daimler, Rekordtransfers und verbesserter Infrastruktur überhaupt nichts mehr übrig.
Hinzu kamen Ungereimtheiten aus Dietrichs Vergangenheit als Gesellschafter der Firma Quattrex, die in Fußballclubs investiert. Die Aussagen über die Trennung von seinen Anteilen passten nicht zu den Einträgen im Handelsregister, die Fans fühlten sich hintergangen und warfen ihrem Präsidenten vor, der Integrität des Amtes zu schaden. «Stuttgartkämpfen - Dietrich raus»-Plakate in der Cannstatter Kurve gehörten in den vergangenen Monaten zum Inventar der Mercedes-Benz Arena.
Inhaltlich kann der 70 Jahre alte Unternehmer die Kritik nicht nachvollziehen. Wohl aber, dass es sie aufgrund der sportlich so enttäuschenden Saison grundsätzlich gibt. «Ich verstehe das. Diese Leute brauchen einen Prellbock und das war und ist in Stuttgart nun mal der Präsident», sagte er der Deutschen Presse-Agentur zum Ende einer der bittersten Wochen seiner nun 31 Monate währenden Amtszeit.
Ein Rücktritt kommt für den Vater zweier Söhne nicht infrage. 2016, nach dem zweiten Abstieg der Club-Historie, waren binnen weniger Tage Präsident Bernd Wahler, Sportvorstand Robin Dutt und Trainer Jürgen Kramny nicht mehr da. Der Verein war sportlich ohne Führung, Personalentscheidungen musste der Aufsichtsrat mit den beiden verbliebenen Vorständen für Marketing und Finanzen treffen.
Das sieht 2019 anders aus. Seit Februar ist Thomas Hitzlsperger Sportvorstand. Der 37 Jahre alte ehemalige Nationalspieler war zuvor Chef des Nachwuchsleistungszentrums und hat keine Erfahrung mit einer solchen Aufgabe, überzeugt seither aber durch seine Entscheidungen, seine Aussagen und seine Art. Seit Mai ist der in der Branche mit einem herausragenden Netzwerk und bestem Ruf versehene Sven Mislintat als Sportdirektor für die Schwaben aktiv. Der neue Trainer Tim Walter gab dem VfB Stuttgart unabhängig von der Liga seine Zusage.
«Genau jetzt braucht man doch Führung und Geschlossenheit. Und ich bin stolz darauf, dass wir das in allen Gremien haben», sagte Dietrich und betonte: «Die meisten Konsequenzen haben wir schon gezogen.»
So argumentierten auch seine Kollegen im Aufsichtsrat. «Basierend auf unserer finanziellen Stabilität brauchen wir, um einen schnellen Wiederaufstieg zu schaffen, eine klare Führungsstruktur und Handlungsfähigkeit. Das haben wir», sagte Hartmut Jenner über die Situation beim finanziell wohl am besten aufgestellten Zweitligisten der kommenden Saison. Das Gremium sei mit der sportlichen Entwicklung der vergangenen Saison in hohem Maße unzufrieden, hieß es in einer Stellungnahme. Man sei «aber der Überzeugung, dass die im Februar eingeleitete Neu-Ausrichtung des Sportbereichs die Voraussetzungen für eine positive sportliche Entwicklung gewährleisten».
«Mein Job ist jetzt zu schauen, dass wir die Weichen stellen, damit es in geordneten Bahnen weiter geht», sagte Dietrich. «Ich habe keine Zweifel, dass wir als VfB Stuttgart diesen Abstieg vernünftig überstehen.» Eine harmonische Mitgliederversammlung wird es für den Verein und seinen Präsidenten am 14. Juli aber trotzdem nicht geben.