Wildtierschützer
Hin und wieder muss auch Wildtierschützer Thomas Müller lächeln, wenn er einen Waschbären sieht.
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Wildtierschützer
Alle zwei Tage tappt ein Waschbär in eine der Lebendfallen in Müllers Revier.
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Wildtierschützer
Morgens prüft Wildtierschützer Müller seine Lebendfallen im Revier.
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Müller ist Wildtierschützer aus Leidenschaft. Er hat aber noch einen Hauptberuf als Klimatechniker.
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In den Lebendfallen im Wald fängt Müller gelegentlich auch andere Tiere. Die lässt er dann frei.
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Waschbär
Die Zahl der Waschbären wächst in Baden-Württemberg so stark, dass aus Sicht des Landes mehr gejagt werden muss. (Archivbild)
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Wildtierschützer
Die Lebendfallen sind mit einem Mechanismus versehen, der auslöst, wenn ein Waschbär auf der Suche nach Futter in der Falle auf eine Wippe tritt.
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Baden-Württemberg
Der Waschbär kommt – und der Jäger wartet schon

Es ist noch stockdunkel, als Thomas Müller sein Haus verlässt und mit seinen schweren Lederstiefeln über die Wiese stapft. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe wandert bis zum Waldrand. Dort führt sein Weg zu einer Kiste, die kaum sichtbar im Dickicht steht. Die getarnte Falle hat er am sogenannten «Pass» aufgestellt – genau dort, wo Waschbären am späten Abend auf ihren Streifzügen entlang schleichen. 

Immer öfter raschelt es bei seinen morgendlichen Kontrollgängen in der hölzernen Kiste. Angelockt von Futterresten tappen die Waschbären auf eine Wippe im Innern, die Verriegelung löst aus, und die Falle schnappt zu. Über einen Sender wird Müller per SMS auf seinem Handy informiert. Leuchtet er dann frühmorgens mit der Taschenlampe durch das kleine Gitterfenster, blicken ihm oft zwei große Waschbären-Augen entgegen.

Waschbären vermehren sich rasant 

Ein neuer Fang. Doch Müller und viele andere Jäger im Land kommen kaum noch hinterher – so rasant wächst die Zahl der cleveren, anpassungsfähigen und - ja - auch putzigen Waschbären. Vor 90 Jahren wurden die ersten vier Exemplare in Hessen noch ausgesetzt, um die heimische Fauna zu «bereichern». Nun sagt Müller: «Wir müssen in unseren Revieren so viele von ihnen bejagen, wie es möglich ist.»

Gesagt, getan: Lag die sogenannte Jagdstrecke in der Saison 2022/2023 nach Angaben des Landwirtschaftsministeriums noch bei 6.322, so waren es ein Jahr später bereits 9.174. Die weitaus meisten Waschbären werden im Ostalbkreis erlegt (2.221), auch der Rems-Murr-Kreis (1.441) und Schwäbisch Hall (1.798) sind beliebt bei den Kleinbären. Wie viele Exemplare es in Baden-Württemberg überhaupt gibt, ist allerdings nicht bekannt. 

Lärm, Schmutz und Schäden

Müller, der sich selbst als passionierter Wildtierschützer bezeichnet, hat sich auf Fallen spezialisiert. Aus seiner Sicht ist es die effektivste Art, die Bären zu bejagen und so die Population in Schach zu halten. Das Revier in Murrhardt liegt mittendrin, in Rudersberg und Welzheim (Rems-Murr-Kreis) bekämpft er zudem als Stadtjäger die Kleinbären. Dort und in zahllosen anderen Kommunen dringen sie in Schuppen, Häuser und Dachböden ein, sie hinterlassen Urin und Kot, reißen Müllbeutel auf, machen Lärm und reißen Ziegel herunter, sie fressen Kois aus Teichen oder schleppen Krankheiten ein wie Staupe und Spulwürmer. 

Deshalb zieht sich Müller Einweghandschuhe über, wenn er das zuvor erlegte Tier aus der Falle im Wald zieht und in einen Eimer legt. Hat er einige Kadaver zusammen, bringt er die toten Kleinbären zur Tierkörperbeseitigung. 

«Man fühlt mit als Jäger» 

Ein Wildtierschützer, der Waschbären schießt - widerspricht sich das nicht ein wenig? «Natürlich macht das etwas mit einem, das beschäftigt mich», sagt der 56-Jährige. «Man fühlt als Jäger mit dem Tier, das man tötet.»

Für Müller ist jeder Fang dennoch ein bisschen Artenschutz. «Wir schützen Tiere vor denen, vor denen sie sich selbst nicht schützen können», erklärt er. «Wir hatten hier in den letzten Jahren wegen der Waschbären zum Beispiel fast keine Eichhörnchen mehr.» Die kleinen Bären seien aber auch eine große Gefahr für Kröten, Frösche, Molche und andere bedrohte Amphibien- und Reptilienarten. «Deshalb müssen wir da ran, sonst läuft das aus dem Ruder», sagt Müller. «Und es bringt ja nichts, wenn man lauter putzige Waschbären hat, aber keine Bodenbrüter mehr.» 

Kommt hinzu: Waschbären, die im Wald nicht erlegt werden, zieht es früher oder später in die Stadt. Dort sind insgesamt 150 Stadtjäger tagein, tagaus im Einsatz, sie beraten, fangen und beseitigen. 

Jäger fordern kürzere Schonfrist 

Und dennoch wird das Waschbären-Problem aus Sicht von Wildtierschützern wie Müller von der Politik unterschätzt. Denn in Baden-Württemberg dürfen erwachsene Waschbären bislang nur vom 1. Juli bis zum 15. Februar bejagt werden – außerhalb dieser Zeit gilt Schonzeit. «Die Jagd endet mitten in der Paarungszeit, wenn die Waschbären unterwegs sind», sagt Müller. «Aber gerade dann, wenn sie aktiv, sichtbar und noch ohne Nachwuchs sind, muss man sie bejagen.»

Allerdings könnte sich schon bald etwas ändern. Denn die Schonzeit für Waschbären soll ganzjährig aufgehoben werden. Einzige Ausnahme: Der Muttertierschutz muss beachtet werden. Soll heißen: Bis auf das sogenannte führende Elterntier können Waschbären dann vom Jäger erlegt werden, auch Nutrias und Nilgänse können dann vor den Jägern nicht mehr sicher sein. Das Landwirtschaftsministerium möchte diese Änderung schnell umsetzen.

Waschbär wird bleiben

Aus Sicht des Wildtierbiologen Norbert Peter ist die Aufhebung der Schonzeit «das Hilfsmittel schlechthin», um die Zahl der Waschbären in den Griff zu kriegen. Allerdings werde die Art aus dem Land nicht mehr zu vertreiben sein: «Wir werden den Waschbären flächendeckend nicht mehr ausräumen können», sagt der Fachmann von der Goethe-Universität in Frankfurt, der im Rahmen des Verbundprojektes Zowiac (Zoonotische und wildtierökologische Auswirkungen invasiver Carnivoren) das Jagdverhalten von Waschbären untersucht.

Müller will dem Waschbären keinesfalls den Platz überlassen und aufgeben. Aber auch er kennt die Momente, in denen er dem putzigen Anblick des kleinen Bären erliegt: «Erst neulich lief frühmorgens ein Waschbär hier über den Hof, blieb stehen und schaute mich an. Da muss man schon lächeln, wenn man ihn so sieht.»

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