
Freiburg streitet um Wohnungen – entscheiden sollen nun die Bürger
Freiburg. Das umkämpfte Gelände am Rande der Stadt besteht aus Wiesen und Ackerflächen. Traktoren und Spaziergänger ziehen hier ihre Bahnen. Doch damit könnte bald Schluss sein. Aus dem von Bauern genutzten Areal Dietenbach in Freiburg soll ein neuer Stadtteil für 15.000 Menschen und somit eines der größten Wohnneubauprojekte Deutschlands werden.
Es ist Freiburgs Antwort auf Wohnungsnot sowie explodierende Mieten und Immobilienpreise. Und ein Beispiel, wie Kommunen um mehr Wohnraum ringen. Ein Bürgerentscheid am kommenden Sonntag soll die Entscheidung bringen. Für den neuen Oberbürgermeister in Freiburg ist er die erste große Bewährungsprobe.
„Dietenbach ist einer der größten geplanten Stadtteile Deutschlands“, sagt Martin Horn (parteilos). Der 34-Jährige ist seit siebeneinhalb Monaten Oberbürgermeister in Freiburg. Bezahlbaren Wohnraum hat er, schon im Wahlkampf, zum Hauptthema gemacht. Denn die am schnellsten wachsende Stadt Baden-Württembergs mit ihren rund 230.000 Einwohnern und einem hohen Studentenanteil ist geprägt von fehlendem Wohnraum.
Das Problem kennen andere Städte auch. In Freiburg mit steigenden Geburtenraten und einem seit Jahren wachsenden Zuzug ist es aber besonders groß, sagen Immobilienexperten. Und es werde sich Prognosen zufolge weiter verschärfen. Eine starke Nachfrage nach Wohnungen und Häusern stoße auf ein geringes Angebot. Die Folge seien stark steigende Mieten, Immobilien- und Bodenpreise. Bezahlbaren Wohnraum zu finden, sei selbst für die Mittelschicht kaum noch möglich.
Dietenbach, der geplante neue Stadtteil, soll die Lage entspannen. Vorgesehen ist auf einer Fläche von 110 Hektar der Bau von rund 6500 Wohnungen, sagt Projektleiter Rüdiger Engel. Mit 15.000 Bewohnern würde der Stadtteil mehr Menschen beherbergen als die meisten von Freiburgs Nachbargemeinden. Sinn mache der Bau auf dem vorgesehenen Gelände. Zwar falle landwirtschaftliche Fläche weg. Die beabsichtigen Eingriffe in die Natur seien aber vergleichsweise gering. „Für Dietenbach muss kein einziger Baum gefällt werden“, sagt Engel.
Politisch ist das Thema brisant. Zwar steht die große Mehrheit des Gemeinderates mit nahezu allen Fraktionen hinter dem Projekt. Doch Gegner haben früh mobil gemacht und einen Bürgerentscheid erzwungen, der nun Klarheit bringen soll. Naturschützer und Landwirte sind gegen den neuen Stadtteil, weil sie Freiburgs Wachstum mit zunehmenden Flächenverbrauch und Wegfall landwirtschaftlicher Areale kritisch sehen. Demonstrationen mit Traktoren in Freiburgs Innenstadt sind zu ihrem Mittel des Widerstands geworden, wie zuletzt am Samstag.
Wer dagegen ist, kreuzt Ja an
Das Kuriose am Bürgerentscheid: Wer gegen den Stadtteil ist, muss mit Ja Stimmen, Befürworter mit Nein. Denn die Frage auf dem Stimmzettel lautet: „Soll das Dietenbachgebiet unbebaut bleiben?“ Um dies zu erreichen, braucht es mindestens 20 Prozent der Wahlberechtigten, also rund 34 500 Stimmen.
Abgestimmt wird zwar nicht über den Oberbürgermeister, doch für ihn wäre ein Stopp des geplanten neuen Stadtteils eine Niederlage. Er werde jedes Ergebnis akzeptieren, sagt Horn und ruft zur Teilnahme am Bürgerentscheid auf. „Die Abstimmung markiert eine zentrale Weichenstellung für Freiburg, weil sie starke Auswirkungen auf den extrem angespannten Wohnungsmarkt haben wird. Deshalb wünsche ich mir, dass möglichst viele Freiburger ihr Wahlrecht nutzen.“
Mit Blick auf die Briefwahl ist dies bereits geschehen. Mehr als zwölf Prozent der Wahlberechtigten haben Briefwahl beantragt, sagt ein Sprecher des Rathauses. Dies sei mehr als bei vorangegangenen Bürgerentscheiden.
Mehr Demokratie
Seit die Hürden für Bürgerentscheide in Baden-Württemberg Ende 2015 gesenkt wurden, ist die Zahl der Entscheide landesweit gestiegen, sagt Edgar Wunder vom Verein Mehr Demokratie. Immer häufiger gehe es auch um Baugebiete. Über die sogenannte Bauleitplanung waren bis 2015 Bürgerentscheide tabu. Städte- und Gemeindetag zum Beispiel sehen dies kritisch. Kommunen hätten so zunehmend Schwierigkeiten, neues Bauland zu erschließen und Wohnraum zu schaffen, sagt Städtetagspräsident Peter Kurz (SPD), Oberbürgermeister in Mannheim. Wo gebaut werde und Natur verschwinde, müsse immer mit Widerstand gerechnet werden. Persönliche Interessen Betroffener alleine könnten jedoch nicht über die Bauleitplanung und damit die Zukunft der Städte entscheiden.