Baden-Württemberg
Helfer dämmen Katastrophe an der Jagst ein - Gefahr durch Kadaver?
  • dpa

Heilbronn/Künzelsau (dpa/lsw) - Eine Woche nach dem Chemieunfall an der Jagst und dem anschließenden Fischsterben wird die Giftfahne voraussichtlich erst am Montag den Kreis Heilbronn erreichen. Ein Sprecher des Landratsamtes Heilbronn hatte zunächst von Sonntagnachmittag gesprochen, seine Angaben inzwischen aber korrigiert.

Die bereits gestarteten Gegenmaßnahmen würden solange unterbrochen, hieß es in einer Mitteilung. Während aus dem benachbarten Hohenlohekreis gute Nachrichten über deutlich weniger tote Tiere als erwartet kommen, sorgen sich die Behörden am Ursprung des Umweltdesasters im Kreis Schwäbisch Hall wegen der Verwesungsprozesse in dem Fluss.

Bei einem Mühlenbrand in Kirchberg an der Jagst war mit dem Löschwasser Ammoniumnitrat aus Düngemittel in das Gewässer gespült worden. Dies verursachte ein tausendfaches Fischsterben. Hunderte Angler, Feuerwehr und das Technische Hilfswerk sind seither im Einsatz. Sie wälzen Wasser mit Pumpen um, verdünnen die Giftdosis durch frisches Wasser etwa aus Regenrückhaltebecken und erhöhen den Sauerstoffgehalt, indem sie Barrieren in die Jagst bauen, über die das Wasser sprudelt. Das soll den Schadstoffabbau beschleunigen.

Ein undichter Ablauf am Rückhaltebecken für Löschwasser könnte nach Angaben des «Hohenloher Tagblattes» der Grund dafür sein, warum so viel giftige Chemikalien in den Fluss gelangen konnten. Das Landratsamt Schwäbisch Hall bestätigte am Sonntag zwar, dass es diese Vermutung gebe. «Bis wir das hundertprozentig wissen, wird aber noch einige Zeit vergehen», sagte eine Sprecherin. Die Brandstelle sei erst seit Samstag wieder freigegeben. Neben Problemen mit dem Ablauf des Rückhaltebecken würden auch andere Möglichkeiten geprüft, wie das Gift letztlich in den Fluss geriet. «Wahrscheinlich kam da einiges zusammen», sagte die Sprecherin.

Im Hohenlohekreis konnten die ersten Biotope geöffnet worden, teilte das Landratsamt in Künzelsau mit. Nach dessen Einschätzung dämmt der Dauereinsatz der Helfer die Folgen ein. Nur vereinzelt sei Fischsterben zu beobachten. Der Landeschef des Naturschutzbundes, André Baumann, sagte: «Dass das Fischsterben im Hohenlohekreis weniger stark ist, ist gut, aber kein Grund zum Jubeln: Es ist und bleibt eine Umweltkatastrophe.» Nun müssten der Vorfall aufgearbeitet und geeignete Konsequenzen gezogen werden.

Der Kreis Schwäbisch Hall, wo die Schadstofffahne durch ist, machte auf mögliche neue Probleme aufmerksam: Durch Verwesungsprozesse toter Fische im Gewässer könne der Sauerstoffgehalt sinken. Ist er zu niedrig, bestehe die Gefahr, dass sich aus Nitrat im Fluss für Fische tödliches Nitrit bildet. Auch hiergegen sollen Belüftungsmaßnahmen helfen. Starkes Algenwachstum hilft unterdessen zusätzlich beim Abbau der Schadstoffe, berichtete das Landratsamt Heilbronn.

Die Arbeit der Helfer sei organisatorisch eine riesige Herausforderung sowie körperlich und emotional eine heftige Belastung, sagte der stellvertretende Kreischef in Schwäbisch Hall, Michael Knaus. «Ich danke allen Beteiligten deshalb von ganzem Herzen und wünsche mir, dass wir jetzt gemeinsam zuversichtlich den Blick nach vorne richten können.» Allein der Hohenlohekreis berichtete von mehr als 650 Engagierten in den vergangenen fünf Tagen.

Die Ammonium-Belastung liegt inzwischen deutlich unter den Anfangswerten. Laut Umweltministerium ist für das Verenden der Fische Ammoniak verantwortlich, das im Wasser aus Ammonium entsteht. Für den Ammoniak-Gehalt sei Ammonium nur ein Parameter, sagte ein Sprecher. Die Temperatur und der PH-Wert spielten ebenfalls eine Rolle bei der Ammoniakkonzentration. Länger andauernde Ammoniakkonzentrationen von 0,1 bis 0,2 Milligramm pro Liter können demnach tödlich für Fische sein, kurzfristig können sie höhere Werte bis 0,4 überstehen.

Bei der Brandstelle wird nach Angaben des Landratsamts Schwäbisch Hall austretendes Sickerwasser abgepumpt und gelangt nicht mehr in die Jagst. Allerdings wurde am Samstag eine weitere Austrittsquelle von kontaminiertem Wasser aus einem Erdwall am Mühlkanal festgestellt.

Nach dem Hohenlohekreis, wo am Montag ein Runder Tisch «Initiative Zukunft Jagst» die Arbeit aufnehmen soll, startet auch Schwäbisch Hall Pläne zur Renaturierung. Zum Auftakt eines Arbeitskreises «Unsere Jagst» am Dienstag hat das Landratsamt betroffene Fischereivereine, Vertreter der Anrainerstädte, von Umweltverbänden, des Regierungspräsidiums und Experten geladen. Die Kosten des Unglücks und der Schadensersatz sind laut Knaus aber noch zu klären.