Beginn Prozess nach Messerattacke
17 Verwandte aus der 20-köpfigen Großfamilie sind inzwischen unter Druck, aber auch freiwillig nach Syrien zurückgekehrt. (Archivbild)
Bernd Weißbrod/dpa
Mitglied der Großfamilie im Prozess wegen Messerattacke
Wenn die drei noch inhaftierten Männer einen Großteil der Strafe abgesessen haben, müssen sie wie die meisten Verwandten auch zurück nach Syrien. (Archivbild)
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Baden-Württemberg
Nach viel Druck: Syrische Großfamilie verlässt Deutschland

Messerangriffe, Betrug, Diebstahl - das Strafregister fast aller Mitglieder der 20-köpfigen syrischen Großfamilie ist gewaltig. Rund 160 Straftaten werden ihnen vorgeworfen, sie sollen Menschen angegriffen, schwer verletzt, bestohlen oder betrogen haben. Ein halbes Dutzend der Geschwister sitzt oder saß bereits in Haft. Nach Dutzenden Anzeigen und mehreren Strafprozessen sind nun fast alle Mitglieder der Familie auf Druck des Landes in ihre Heimat zurückgekehrt.

Die größtenteils jungen Männer seien «kontrolliert ausgereist», sie seien nicht abgeschoben worden, sagte Justizministerin Marion Gentges (CDU) in Stuttgart. Vier Familienmitglieder kehrten laut Ministerium bereits im Sommer zurück, 13 am Wochenende. Drei weitere Brüder sitzen noch im Gefängnis, sie müssen ihrer Familie später nach Syrien folgen.

Die wichtigsten Fragen dazu - und die Antworten:

Warum durfte die Familie trotz zahlreicher Straftaten nicht einfach abgeschoben werden?

Alle Mitglieder der Familie - der ebenfalls polizeibekannte Vater, zwei noch lebende Ehefrauen sowie alle Geschwister und Halbgeschwister - sind syrische Staatsbürger. Sie kamen zwischen 2015 und 2020 nach Deutschland und waren anerkannte Flüchtlinge - oder sie hatten einen sogenannten subsidiären Schutz. Den bekommen Menschen, wenn sie nicht in ihr Herkunftsland zurückkehren können, obwohl sie weder als Flüchtlinge anerkannt noch asylberechtigt sind.

Das Problem: Seit mehr als einem Jahrzehnt werden keine Menschen mehr nach Syrien abgeschoben. Die Lage in dem vom Bürgerkrieg zerrütteten Land ist zu unsicher. Die Bundesregierung will aber bald vor allem Straftäter wieder nach Syrien abschieben.

Was bedeutet «kontrollierte Ausreise» und wie unterscheidet sie sich von einer Abschiebung?

Geregelt sind Ausweisung und Abschiebung im Aufenthaltsgesetz. Die Ausweisung ist nur ein Verwaltungsakt einer Behörde, also die rechtliche Grundlage. Reißt ein Betroffener nicht freiwillig aus und muss gezwungen werden, so wird ein Mensch abgeschoben. Die «kontrollierte Ausreise» ist «dazwischen», erklärte Migrationsstaatssekretär Siegfried Lorek (CDU). Über diese Form der eng begleiteten und auch finanzierten Ausreise sei aber letztlich selbst von der Familie entschieden worden. «Zum jetzigen Zeitpunkt war die kontrollierte Ausreise die einzige Möglichkeit, den Aufenthalt der Familienmitglieder zu beenden», sagte Gentges.

Pressekonferenz zur Ausreise einer Großfamilie nach Syrien
Der Staat beweise mit dem Schritt Handlungsfähigkeit, heißt es aus dem Justizministerium.
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Warum wurde ihnen Geld für die Rückkehr bezahlt?

Tatsächlich erhielt jedes ausgereiste Familienmitglied neben den Reisekosten für einen Linienflug auch eine «Förderung» von 1.350 Euro. Das klingt absurd, aber Lorek verteidigte diese Mittel. «Das orientiert sich an bestehenden Programmen des Bundes», sagte er. Im Verhältnis etwa zu Abschiebekosten oder staatlichen Leistungen sei dies deutlich günstiger, als würden sie weiter in Deutschland bleiben. Allein ein Tag in Abschiebehaft kostet laut Lorek 484 Euro. Durch die ersparten Kosten für die ausgefallenen Hafttage (je 180 Euro pro Tag) habe sich die Förderung für Land und Steuerzahler gerechnet.

Warum haben Familienmitglieder vereinzelt ihren Schutzstatus aufgegeben?

Nach Angaben des Staatssekretärs war es der Familie wichtig, als Familie zusammenzubleiben. Das sei angesichts der geplanten Abschiebungen der Inhaftierten aber nicht ohne eine Ausreise möglich gewesen. So seien letztlich auch die nicht als kriminell bekannten Verwandten überzeugt worden, gemeinsam zurück nach Syrien zu gehen.

Warum wurden die kriminellen Mitglieder der Familie nach der Verurteilung nicht sofort abgeschoben?

Für Gentges, Lorek und die deutsche Justiz ist es selbstverständlich, dass die Strafe für ein Verbrechen, das in Deutschland verübt wurde, auch zunächst zum großen Teil im Land abgesessen wird. Würde einem ausländischen Straftäter im Falle einer Verurteilung lediglich drohen, durch Ausreise frei zu kommen, so sei das «schon fast eine Einladung zur Begehung einer Straftat», sagte Gentges. Es sei wichtig, ein Verbrechen in Deutschland zu verfolgen, abzuurteilen und eine Strafe zu einem wesentlichen Teil auch hier zu vollstrecken.

Was passiert mit den drei noch inhaftierten Angehörigen?

Die jungen Männer im Alter von 18, 23 und 27 Jahren waren Ende Juni wegen einer Messerattacke in der Stuttgarter Innenstadt zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden. Die Urteile sind noch nicht rechtskräftig. Für Schlagzeilen sorgte vor allem der Jüngste von ihnen. Laut Justiz beging er in nur zweieinhalb Jahren 34 Straftaten. Sobald die drei jungen Männer einen Großteil der aktuellen Haft abgesessen haben, müssen sie nach Syrien zurück. «Ziel ist es, auch diese Personen aus der Haft heraus außer Landes zu bringen», sagte Gentges dazu.

Was passiert, wenn die bislang in Haft sitzenden wieder deutschen Boden betreten?

In Syrien leben die bislang drei Brüder, deren Haft in Stuttgart verkürzt wurde, zwar in Freiheit. Gentges betonte aber, die jungen Männer müssten unmittelbar den Rest ihrer Strafe verbüßen, sollten sie wieder nach Deutschland zurückkehren. Das gilt auch für das derzeit inhaftierte Trio nach seiner Rückkehr nach Syrien.

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