Wohin geht der Weg? Mit einem flexibleren Medizinstudium soll sich das Arzt-Gefälle zwischen Stadt und Land verringern, so der Plan des Kabinetts. Foto: Weller
Baden-Württemberg
Neues Konzept soll Ärztemangel beheben: Regierung schafft neue Studienplätze für Medizin an den fünf Fakultäten
  • Martin Oversohl und Christoph Stäbler

Stuttgart. Der Unterschied zwischen Stadt und Land lässt sich nach wie vor auch gut bemessen an der Zahl der Kilometer, die man bis zur nächsten Praxis fahren muss. Auf der Schwäbischen Alb oder im Hohenlohischen können da schon mal ein paar Kilometer zusammenkommen, in Freiburg wohnt der Hausarzt dagegen nicht selten nebenan.

Mit einem flexibleren Medizinstudium soll sich dieses Gefälle bald verringern. Eine zehnseitige Kabinettsvorlage hält fest, was sich ändern soll.

Nach Schätzungen der Landesregierung haben rund 665 000 Menschen in Baden-Württemberg keinen Hausarzt an ihrem Wohnort. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) geht von 616 unbesetzten Stellen für Hausärzte aus (Stand 12. Februar). Und gibt es einen Hausarzt am Ort, dann ist dieser häufig schon älter: Das Durchschnittsalter Mediziner liegt bei 56,1 Jahren (Stand 1. April), 37 Prozent sind sogar 60 Jahre und älter.

Von den Fraktionsspitzen nach längerem Streit mit einem Kompromiss gebilligt, wird laut Kabinettsentwurf die Zahl der Studienplätze um 150 ausgebaut, im Studienjahr 2021/22 soll es insgesamt 1699 Plätze geben. Die medizinischen Fakultäten in Tübingen, Ulm, Freiburg, Heidelberg und Mannheim werden ihre Kapazitäten um je 30 Studienanfängerplätze erhöhen.

Die „Landarztquote“ ist zumindest als Kompromiss mit dabei: Laut Vorlage werden 75 der neuen Studienplätze an Studienanfänger in der Humanmedizin vergeben, die Landarzt werden möchten, nach dem herkömmlichen Verfahren aber keinen Studienplatz bekommen haben. Diese Studenten verpflichten sich, nach ihrem Abschluss in einem Gebiet zu arbeiten, in dem es Ärztemangel gibt.

Für die CDU war diese Quote eine Bedingung, um den Plänen von Wissenschaftsministerin Theresia Bauer zuzustimmen. Die Grüne ist nach wie vor nicht begeistert von der Quote: „Es ist ein langsames und unsicheres Mittel. Wir brauchen aber etwas schnelles und wirksames.“ Eingeführt wird zudem das Neigungsprofil „Ländliche Hausarztmedizin“, für das sich jeder Student der Humanmedizin im Laufe des Studiums entscheiden kann. „Wir wollen den Studierenden das ganze Studium hindurch Angebote machen und ihn oder sie entscheiden lassen.“

Die Studenten können in jedem Semester spezielle Ausbildungsmodule wählen, die sie auf eine Karriere in der Primärversorgung vorbereiten sollen, heißt es in dem Papier. In den Kursen sollen sie auch mit regionalen Akteuren wie Hausärzten, Versorgungszentren, aber auch Bürgermeistern und Landräten zusammengebracht werden. Ziel sei es, die angehenden Ärzte früh für eine Region zu interessieren, erläutert Bauer.

Ihrer Ansicht nach ist es wichtig, das Denken in alten Hausarztmodellen abzulegen. „Junge Menschen wollen Zeit verbringen direkt am Patienten, aber auch mit ihrer Familie. Sie wollen hingegen keine Zeit verlieren mit Unternehmensbürokratie und Softwareanpassungen.“ Dafür brauche es neue Praxismodelle wie Gemeinschaftspraxen. Junge Studenten müssten früh erfahren, dass der Beruf des Arztes in der Region durchaus vereinbar sein könne mit Familie und mit geregelten Arbeitszeiten.

Nach den Vorstellungen Bauers können die ersten Studenten im ersten Quartal des kommenden Jahres für das dann folgende Wintersemester ausgewählt werden. Billige das Kabinett den Entwurf, werde das Sozialministerium das entsprechende Gesetz entwerfen. „In zwei oder drei Jahren sehen wir dann frühestens, ob wir uns in die richtige Richtung bewegen.“

Auch die Lage in der Region spitzt sich zu

Der Ärztemangel im ländlichen Raum treibt auch die Stadt Pforzheim und die Kommunen im Enzkreis und Landkreis Calw um. Markus Haist, Vorsitzender der Ärzteschaft Pforzheim/Enzkreis, sagte im Februar zur PZ, dass jetzt schon Nachfolger für 19 Praxen in Stadt und Enzkreis fehlten. Besonders schwer trifft es auch die Region Nordschwarzwald: In Höfen fehlt ein Arzt und auch in Dobel hört ein Mediziner in den kommenden Wochen auf – und die Patienten haben keinen Ansprechpartner mehr. Gegensteuern wollen die Gemeinden etwa mit Medizinischen Versorgungszentren oder einem Telemedizin-Projekt wie in Bad Wildbad.