
- Sebastian Seibel
Pforzheim. Wie bahnbrechend modern nicht nur die pädagogischen Konzepte, sondern vor allem auch das funktionalistische Designverständnis ist, das der 1955 gegründeten Hochschule für Gestaltung in Ulm entsprang, erfahren Millionen von Smartphone-Nutzern jeden Tag. Mit ihren iPhones halten sie Geräte in der Hand, die die Fortschreibung der minimalistischen Formensprache des deutschen Elektroherstellers Braun in den 50er- und 60er-Jahren bedeuten.
Für die Gestaltung des kalifornischen Handys, des Musikplayers iPod und überhaupt des gesamten aktuellen Designs des US-Computerherstellers orientierte sich Apple-Chefdesigner Jonathan Ive an den in der Nachkriegszeit revolutionären Entwürfen Dieter Rams für Braun. Funktionalistische, minimalistische, im besten Sinne demokratische und zugängliche Gestaltung von Alltagsgegenständen wie Musikanlagen und Haushaltsgeräten war ein erklärtes Ziel der Zusammenarbeit des deutschen Designpapsts Rams und der Hochschule für Gestaltung Ulm.
Erst nachträglich sei ihr, Margit Weinberg-Staber, klar geworden, welch „pädagogisches Jahrhundertereignis“ sie habe miterleben dürfen in ihrer Zeit an der legendären Designschule in den Jahren 1954 bis 1958. Bei einem Workshop in der Hochschule für Gestaltung in Pforzheim berichtete sie nun Studierenden und Interessierten von der bewegten Zeit als Teil eines Experiments, das jäh beendet wurde – bereits 1968, nach internen und externen Zerwürfnissen und der Einstellung finanzieller Unterstützung während der Regierungszeit von Hans Filbinger.
Die HfG wurde 1953 gegründet, Weinberg-Staber war eine der ersten Studentinnen. Das Aufnahmegespräch bei Max Bill, dem Schweizer Architekten und Mitbegründer der Hochschule persönlich, pariert sie und ist fortan eine von 15 Prozent weiblichen Studenten. Ein für die damalige Zeit stattlicher Anteil. „Man zog die kreative Energie des Moments auf dem Zauberberg vor den Toren Ulms“ erinnert sich die spätere Kunstkritikerin an den Lehrbetrieb in der Hochschule. Argwöhnisch beobachtet von der Bevölkerung lebten die Studierenden in teils selbst entworfenen und erbauten, minimalistischen Wohnräumen und pflegten zusammen mit den Professoren und Dozenten ein Klima der Antihierarchie.
In der Fachwelt und der interessierten Öffentlichkeit wurde dem neuartigen Konzept, dem Persönlichkeiten wie Otl Aicher, Josef Albers, Hans Gugelot, Max Bill oder Walter Zeischegg ihre Handschrift verliehen, große Aufmerksamkeit zuteil. „Manchmal kam man sich vor wie in einem Zoo, wo man in seinem Gehege beobachtet wurde“, erinnert sich Margit Weinberg-Staber. Gleichwohl sei allen Studierenden die Sonderstellung bewusst gewesen: „Wir waren etwas Besonderes, das war uns allen klar.“
50 Jahre ist es nun her, dass die legendäre Designschule, die als international bedeutendste nach dem Bauhaus gilt, ihre Tore schloss. Bis heute herrscht über die Gründe Uneinigkeit, der ehemalige baden-württembergische Ministerpräsident Lothar Späth wird aber damit zitiert, dass der damals im Land regierenden CDU die progressive Hochschule „ein bisschen unheimlich“ war. Schließlich konnte die Finanzierung nicht mehr sicher gestellt werden und die Geschwister-Scholl-Stiftung, Trägerin der Hochschule, stellte den Betrieb Ende 1968 ein.
Ein frühes Ende, das auch als zuträglich für den Mythos und den nachhaltigen formensprachlichen Einfluss der Schule bewertet wird, der noch heute in einer zeitlosen, funktionalen Formensprache hochwertigen Designs nachhallt. Aus Geschichte und Gegenwart moderner Produktgestaltung ist er nicht mehr wegzudenken.