In der Rubens-Ausstellung sind unter anderem eine Kentauer-Skulptur aus der Antike und das Gemälde „Ecce homo“ von 1612 gegenübergestellt. Foto: Städel-Museum
Kultur
Erkenntnisreiche Rubens-Ausstellung im Städel-Museum
  • Sandra Pfäfflin

Frankfurt. Peter Paul Rubens war ein genialer Künstler – zweifelsohne. Aber er war auch ein genialer Kopist, ein Wiederverwerter und Verbesserer. Einer der die Kunst des „Amuelato“, der Überbietung“ pflegte wie kaum ein anderer – im Wettstreit mit Kollegen wie Tizian und Rembrandt. Das führt die spektakuläre neue Ausstellung im Frankfurter Städel-Museum „Rubens – Kraft der Verwandlung“ mit über 100 Werken höchst spannend vor Augen.

Und wenn Kurator Jochen Sanders sagt, der Besucher könne in dieser Schau Rubens über die Schulter blicken, dann erfährt er dabei auch, wie der Superstar des Barocks fühlte, dachte, handelte.

Denn der Antwerpener Malerfürst, Sammler und Diplomat (1577–1640) saugt für seine Werke die Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen und Stiche vor allem der Antike und der Renaissance regelrecht ein und verwandelt die Motive auf ganz neue, eigene Art: Wie sich die Aussagekraft, die Dynamik, die Intensität der Farben allein schon dadurch verändert, dass Rubens die Figuren mal spiegelverkehrt, mal auf den Kopf gestellt, mal neu angeordnet in einen neuen Zusammenhang stellt, ist verblüffend: überraschende Methamorphosen, die in den Bann schlagen.

Der Verwandler

Mit einem Paukenschlag wartet gleich der erste Raum der Ausstellung auf: Die antike Skulptur des von Cupido gezähmten Kentauren hat Rubens während seines Rom-Aufenthalts um 1601 studiert und detailliert gezeichnet. Er ist offensichtlich fasziniert von der Art, wie der kleine Liebesgott den Kopf dieses Mischwesens zwischen Mann und Pferd nach hinten zieht, wie sich der muskulöse Oberkörper spannt, die Arme hinter dem Rücken gefesselt sind. Zehn Jahre später malt Rubens diesen Männerkörper – nicht als triebhaftes Mythologiewesen, sondern als leidenden Christus, der geschunden und blutend von Pontius Pilatus der Menschenmasse vorgeführt wird: ein Mensch aus Fleisch und Blut, der den Betrachter direkt anblickt.

Rubens nutzt gleich eine ganze Verkettung von Vorlagen für die Körperpose eines auf den Boden liegenden Helden: Der flämische Künstler Michiel Coxcie (1499–1592) malte sein Bild „Der Tod Abels“ 1539 nach der Figur des Weltenrichters aus dem Jüngsten Gericht von Michelangelo (1475–1564), den er allerdings auf den Kopf stellte. Michelangelo wiederum kannte den antiken Torso Belvedere, der als ideale Darstellung eines männlichen Körpers gilt. Rubens erwarb eine Zeichnung von Coxies „Abel“ – und setzt diese Figurenstudie gleich mehrfach ein: in seinen großformatigen Bildern des Prometheus und des Hippolytus, der von seinen Pferden zu Tode geschleift wird. Und noch ein Kreis schließt sich: Auch Rubens setzt den Torso Belvedere in seiner Bildsprache ein, im Gemälde „Der auferstandene und triumphierende Christus“ von 1615.

Der Wettstreiter

Rubens, wohlhabend und einflussreich, fühlt sich zu Großem berufen – und zu Großformatigem. Sein künstlerischer Sparringspartner ist dabei Tizian, dessen „Venus und Adonis“ (1555– 1560) er rund 70 Jahre später verbessert: Er spiegelt den Bildaufbau und erfindet jedes Detail in seinem eigenen Malstil neu. Und wenn bei Tizian Adonis fast schon gleichgültig Abschied nimmt, umtanzt sich bei Rubens das Paar im erotischen Blickkontakt, während der kleine Amor – im Gegensatz zu Tizians schlafendem Cupido – versucht, den in die Jagd Ziehendenden festzuhalten.

Der Schockierende

Sex und Crime – schon Rubens weiß, was sich gut verkaufen lässt. Und so treibt er den Betrachtern seines berühmten „Medusa“-Bildes Schauer über den Rücken. Das geht so weit, dass das Gemälde in der Sammlung des Amsterdamers Nicolaas Sohier normalerweise von einem Vorhang verdeckt war. Schon der antike Stoff ist blutrünstig: Die unwiderstehliche Medusa hat sich mit dem Meeresgott Poseidon im Tempel der jungfräulichen Göttin Athena vergnügt und wird dafür bestraft. Ihr Anblick lässt fortan jedermann zu Stein erstarren. Doch Perseus kann sie überlisten: Er nähert sich ihr mit einem verspiegelten Schild und enthauptet sie. Kein schöner Anblick – bei Rubens: blutunterlaufene, verdrehte Augen, blaue Lippen, unzählige Schlangen, die sich um den abgeschlagenen Kopf winden, während dunkles Blut aus dem Halsstumpf quillt. Überraschend naturgetreu – sowohl was die Nattern, als auch die unterschiedliche Dicke und Farbe des Bluts betrifft. Auch wer Nacktheit darstellen will, muss sich im 17. Jahrhundert der Mythologie bedienen. Rubens gelingt dabei ein besonderer Schachzug, indem er die weiblichen Rundungen so dem Betrachter darbietet, dass er selbst in die Rolle des Voyeurs schlüpft. Und so muss sich die schlafende Angelika, die den Zauberkünsten des Einsiedlers zum Opfer gefallen ist, im Gemälde von 1626 nicht nur den Blicken des lüsternen Alten aussetzen.

Der Emotionale

Manchmal sind es nur Nuancen, die bei Rubens den emotionalen Unterschied ausmachen. Caravaggios „Grablegung“ von 1604 weist ihn als Meister der dramatischen Lichtführung aus. Doch Rubens zeigt zehn Jahre später in seiner gleich angelegten Szene, wie Nikodemus und Johannes den Gekreuzigten in ein leeres Felsengrab hinablassen, sein immenses Feingefühl für Details. Der Tote scheint tatsächlich, der Schwerkraft überlassen, ins Grab zu sinken, das bei Rubens sich wie ein schwarzes Loch öffnet, während Caravaggio an dieser Stelle eine Pflanze platziert hat.

Der Bewunderer

Schönheit ist Rubens wichtig – egal ob männlich oder weiblich. Und so zitiert er in seinen Zeichnungen und Gemälden immer wieder die antike Skulptur des Herkules, die er während seines neunjährigen Italien-Aufenthalts kennenlernte. Ein Muskelpaket, das selbst heutigen Marvel-Superhelden zur Ehre gereichen würde. Rubens fertigt schier endlose Studien auch von einzelnen Körperteilen, die er dann in sein Repertoire einbaut, etwa bei seinem mächtigen Christophorus, der unter der Last des Christusknaben fast zusammenbricht. Auch für Frauen hat Rubens einen Blick: zuerst noch ganz den manieristischen Frauenbildern verhaftet, weitet sich sein Ideal zunehmend unter den Eindrücken antiker Skulpturen und italienischer Renaissancemalerei. Die fülligen Frauenkörper seines Spätwerks sind schließlich geprägt von seiner zweiten Frau Hélène Fourment, die er als Siebzehnjährige 1630 heiratet.

Themen