Szenische Vielfalt: In der Halle und auf der Galerie wird gespielt: oben Michaela Fent (Elisabeth Andrejewna Grusinskaya), unten Steffi Baur (Flämmchen), Bernhard Meindl (Baron von Gaigern), Lars Fabian (Otto Kringelein) und Markus Löchner (Portier Senf, von links). Haymann
Mit allen emotionalen Schwankungen gibt Michaela Fent die Tänzerin Elisabeth Andrejewna Grusinskaya.
Unterhaltend: Bernhard Meindl (Baron von Gaigern), Steffi Baur (Flämmchen) und Fredi Noël (Dr. Otternschlag im Hintergund, von links).
Innig: Elisabeth Andrejewna Grusinskaya und Baron von Gaigern.
Kultur
„Menschen im Hotel“: Wie die Premiere im Theater Pforzheim beim Publikum ankam.
  • Sven Scherz-Schade

Nein, mit aufgespanntem Regenschirm kommt man nicht durch die Drehtür am Hoteleingang. Und zu stark darf man auch nicht drehen, sonst klatscht sie einem unverblümt in den Rücken. Schauspieler Markus Löchner hatte als Portier Senf so seine ganz eigene Situationskomik mit dieser Drehtür gefunden. Ein Gag mit Wiederholung in einer ansonsten eher elegischen Inszenierung mit wehmütigem Unterton.

Denn: Viel zu lachen haben die „Menschen im Hotel“ nicht. Da ist die alternde Ballerina Grusinskaya, die feststellt, dass sie ihre besten Tage schon gehabt hat. Mit allen emotionalen Schwankungen gibt Michaela Fent die Tänzerin gut verständlich und glaubwürdig. Da ist der erschöpfte Buchhalter Kringelein, dynamisch gespielt von Lars Fabian, der seinen „nicht sehr günstigen Befund“ diagnostiziert bekommen hat und weiß, dass ihm nur noch wenige Tage Leben bleiben. Da ist das Fräulein Flämmchen, die eigentlich zum Film will, sich aber als Tippse durchschlägt. Steffi Baur gibt die Rolle mit viel Charme. Und da ist der Baron von Gaigern, eine schwärmerische Existenz, die sich von den Familienbanden lossagen will und zum Dieb wird. Bernhard Meindl gibt ihn überzeugend im perfekt sitzenden Smoking.

Kunstreiche Dramaturgie

In „Bruchstücken“, wie es der Portier Senf nennt, führt das Schauspiel dem Publikum die Charaktere und Schicksale jener „Menschen im Hotel“ vor Augen. Dass sich aus den einzelnen Versatzstücken dennoch packende Handlungsbögen spannen, ist die kunstreiche Dramaturgie, die Vicki Baums großartigem Werk innewohnt. Diese Dramaturgie jedoch ist in der Pforzheimer Inszenierung nicht so richtig lebendig geworden. Die Dialoge werden durchweg laut und energisch gesprochen. Das ist zwar gut für die Verständlichkeit, geht jedoch auf Kosten des schauspielerischen Feingefühls. Gastregisseurin Caro Thum hat stattdessen mit einer eigenen Bühnenfassung einen melodramatischen Schwerpunkt gesetzt. Es wird viel gesungen. Vor allem wunderschöne Schmonzetten der 1920er-Jahre wie „Es ist so schön, am Abend bummeln zu gehen“ oder „Reich mir zum Abschied noch einmal die Hände“ von Paul Abraham werden dargeboten. Als Bühnenmusik begleitet Erina Yamane-Beutelspacher die Lieder am Flügel. Das Klavier allerdings ist bei den meisten Songs leider weit hinten, abseits vom schauspielerischen Geschehen, postiert. Deshalb will sich ein richtig inniges Melodram in der zweieinhalbstündigen Aufführung auch nicht so recht entwickeln.

Effektvolle Gleichzeitigkeit

Spielort in der Pforzheimer Inszenierung ist die Halle des Grand Hotels mit noblen weißen Paneelen und blitzblanken Messingleuchtern. Hinten im Fluchtpunkt des Bühnenbilds schaut man auf eine Galerie, wo sich die Szenen aus dem Inneren der Hotelzimmer abspielen. Das ermöglicht effektvoll Gleichzeitigkeit auf der Bühne. So rückt sich der depressive Mediziner und Erste-Weltkrieg-Veteran Dr. Otternschlag, schwerfällig-verbrämt interpretiert von Schauspieler Fredi Noël, unten in der Lobby seinen Salonstuhl für bequemes Sitzen zurecht, während oben hektisch telefoniert wird und Generaldirektor Preysing, energisch-tiefgründig von Jens Peter gespielt, seinem Telegramm entgegenfiebert.

Der Roman „Menschen im Hotel“ von Vicki Baum war Ende der goldenen Zwanzigerjahre ein Bestseller. Auch das von Vicky Baum selbst verfasste Theaterstück, das unter Regie von Gustaf Gründgens 1930 in Berlin uraufgeführt wurde sowie die Verfilmungen, eine davon mit Greta Garbo, waren Welterfolge. Dass Leute aus ihrem bürgerlichen Dasein rausgehauen werden, dabei sich aber im Selbstbetrug mit mehr Schein als Sein einzurichten versuchen, das faszinierte damals Kulturbetrieb und Konsumenten. Spannend ist, dass „Menschen im Hotel“ als Bühnenadaption an deutschsprachigen Theatern in den letzten zehn Jahren ein regelrechtes „Coming Back“ gefeiert hat. Das Gesellschaftspanorama vom Ende der Weimarer Republik interessiert das Publikum heute wieder nicht zuletzt wegen der vermeintlichen oder tatsächlichen historischen Parallelen. Auch die Premiere am Freitagabend erhielt viel Applaus vom Publikum. Und dennoch: Regisseurin Caro Thum hat keinerlei aktuelle Bezüge ins Stück eingebaut. Alles wirkt geradezu als museales Theater. Es wird Charleston getanzt, das Bein zur Seite geschwenkt, weil – ja warum eigentlich? Vielleicht weil das Publikum das Zeitkolorit mag und einfach genießen möchte?