
- Michael Müller
Trompeter, Pianist, Festivalleiter, Studiomusiker, Hochschulprofessor, Labelchef, Familienvater, neuerdings auch Radiomoderator: Den Jazzmusiker Sebastian Studnitzky als viel beschäftigt zu bezeichnen, ist noch untertrieben.
Wir hatten Glück und erwischten ihn ein paar Tage vor seinem Konzert heute Abend im Kulturhaus Osterfeld. An einem See in Schweden denkt Studnitzky darüber nach, wie er das alles auf die Reihe bekommt.
PZ: Ein Konzert in Pforzheim – empfinden Sie das als Heimspiel?
Sebastian Studnitzky: Aber klar doch. Ich komme aus Neuenbürg, war immer in Pforzheim unterwegs, und musikalisch war es erst der alte Jazzkeller in Pforzheim und später das „Domicile“, die mich musikalisch geprägt haben.
PZ: Wie oft kommen Sie noch in den Nordschwarzwald?
Sebastian Studnitzky: Mehrmals pro Jahr. Oft verbinde ich Konzerte in der Nähe mit einem Besuch bei meinen Eltern.
PZ: Was bedeutet Ihnen Heimat?
Sebastian Studnitzky: Vor allem die Natur bedeutet mir viel. Ich liebe es, im Eyachtal unterwegs zu sein. Ich habe mich allerdings in den vergangenen Jahren sehr an das Leben in der Großstadt gewöhnt. Die Weltoffenheit und diese unfassbare Konzentration von kreativen Potenzialen und internationale Vernetzung, die es gerade in Berlin gibt, sind sehr wichtig für meine Projekte.
PZ: Das Album, das Sie heute Abend vorstellen, verbindet den lyrischen, kontemplativen, auch skandinavisch geprägten Jazz ihrer vorigen CDs mit Strukturen elektronischer Clubmusik mit repetitiver Ästhetik. Woher rührt diese Entwicklung?
Sebastian Studnitzky: Ich bin schon lange in verschiedenen musikalischen Welten unterwegs. Jede Musik hat ihre eigene Ästhetik und Reiz. Oftmals sind die Strukturen dahinter gar nicht so unterschiedlich. Der Übergang von Minimal Music zu elektronischer Clubmusik ist fließend, genauso von zeitgenössischer Klassik zur Jazz-Avantgarde. Ich bin sehr geprägt von der Romantik der klassischen Musik, ich mag es, diese Harmonien und Stimmführungen in meiner Musik zu haben.
PZ: Jazzfestivals erleben seit Jahren eine regelrechte Blüte. Was ist das Besondere an dem von Ihnen geleiteten Berliner Xjazz?
Sebastian Studnitzky: Unser Festival bildet ein recht breites musikalisches Spektrum ab. Es geht um Jazz, aber auch um von Jazz beeinflusste Musikstile. Und um Musikstile, die aktuellen Jazz beeinflussen wie Electronica, Neo-Klassik, Minimal Music oder experimentierfreudige Singer/ Songwriter. Wir zeigen das alles mit einem Fokus auf Berlin. Also Bands aus Berlin, aber auch die große temporäre vor allem internationale Szene, für die Berlin ein Zentrum oder ein kreativer Ort ist.
PZ: Die Masse der Festivals sorgt für eine Eventisierung des Jazz. Das weckt auch kritische Stimmen. Wie stehen Sie dazu?
Sebastian Studnitzky: Um Menschen zu erreichen, muss man eine gewisse Marke aufbauen und dementsprechend bewerben. Es gibt da viele Ansätze. Für mich stehen die Musik und die Qualität der Musik im Mittelpunkt. Xjazz geht nicht mit dem Mainstream, aber wir versuchen, unser Festival natürlich so zu kommunizieren, dass wir möglichst viele Leute erreichen.
PZ: Haben es kleinere Clubs mit regelmäßigem Programm heute daher immer schwerer?
Sebastian Studnitzky: Ich glaube schon. Mein Eindruck ist es, dass es durch das übergroße Angebot schwerer geworden ist, ein Stammpublikum aufzubauen. Das Publikum geht eher nicht in den Club um sich überraschen zu lassen, sondern nur gezielt zu den Künstlern, die sie auch kennen. Dadurch ist gute Werbearbeit so viel wichtiger geworden.
PZ: Seit Sommer moderieren Sie jeden Mittwoch um 20 Uhr die Xjazz-Radiosendung auf dem Berliner Indie-Sender Flux FM. Wie kam es dazu?
Sebastian Studnitzky: Flux FM ist Freund und früher Förderer unseres Festivals. Regelmäßiger Jazz auf einem Sender, der sonst eher Pop spielt, ist natürlich etwas Besonderes. Es zeigt aber auch, dass eine ganz neue Zielgruppe für Jazz heranwächst. Die Auswahl der Titel und die Moderation machen total Spaß.
PZ: Eigene Projekte, gefragter Studio- oder Livemusiker anderer Bands – wie bekommen Sie das alles unter einen Hut?
Sebastian Studnitzky: Seit einigen Jahren fokussiere mich fast nur auf meine Band KY und mein Orchesterprojekt Memento. Wenn ich aber von Zeit zu Zeit mit befreundeten Musikern wie Nils Landgren, Lars Danielsson oder Wolfgang Haffner spiele, macht es Spaß, nicht alle Verantwortung zu tragen, sondern nur Musiker zu sein. Die größere Herausforderung ist der Spagat zwischen meiner künstlerischen Arbeit, meiner Tätigkeit an den Hochschulen und den diversen Unternehmen, die es ums Xjazz-Festival in Berlin gibt. Das wächst immer mehr. Das alles so zu organisieren, dass ich noch genügend Qualitätszeit für meinen Sohn habe, ist nicht so einfach.
PZ: Sie sind auf den aktuellen Alben von Wolfgang Haffner und Nightmares on Wax zu hören. Was steht nun an?
Sebastian Studnitzky: Im Herbst spiele ich vor allem mit meinen eigenen Projekten und komponiere Musik für einen Nachfolger des Memento-Albums. Ansonsten startet das Semester in Dresden, und meine erstes Semester als Trompeten-Prof in Berlin. Und rund ums Xjazz-Festival tut sich sehr viel. Dessen Internationalisierung ist ein ganz schöner Brocken, den es unternehmerisch zu stemmen gilt.
PZ: Was versuchen Sie, dem Jazznachwuchs als Hochschulprofessor auf den Weg zu geben?
Sebastian Studnitzky: Wir leben in einer Zeit, in der die meisten Menschen ihre Profession noch zig mal ändern werden, in der viele Berufe, die in Zukunft gefragt sein werden, noch nicht mal erfunden sind. Als freischaffender Künstler macht man sich seine Arbeit oft selber, entwickelt neue Projekte und Formate, überlegt sich, wie man sie finanzieren und bewerben kann. Außerdem lehre ich meine Studenten Improvisation und Empathie. Es wird in Zukunft mehr darum gehen, flexibel zu sein, ständig lernen zu wollen, Entwicklungen zu spüren und darauf zu reagieren. Von daher ist man als ausgebildeter Jazzmusiker recht gut auf die Herausforderungen der Zukunft vorbereitet.
PZ: Wie und wo gelingt es Ihnen, bei alldem, abzuschalten und Kraft aufzutanken?
Sebastian Studnitzky: Gerade jetzt sitze ich an einem schwedischen See. Ich suche immer die Natur in meinen freien Momenten. Gerne in Verbindung mit Wasser. Ich hatte einen fantastischen Sommer mit schönen Reisen und kann es nicht erwarten, wieder richtig loszurocken.
PZ: Apropos abschalten: Welche fünf Platten würden Sie auf eine einsame Insel mitnehmen?
Sebastian Studnitzky: Miles Davis – Kind Of Blue. Miles Davis – In A Silent Way. Bach – Goldberg Variationen (Gould). Keine Jazzplatte, aber muss mit. Mehr brauche ich eigentlich nicht.