



Pforzheim. Die ganze Bühne, getaucht in sattes Blau. Kurz nach 21 Uhr gehen die Handys hoch. Dutzende Bildschirme filmen, wie die Musiker zum schleppenden Electro-Beat von „Schatten & Licht“ die Bühne stürmen – der atmosphärische Titel ist auch das erste Stück auf dem aktuellen Glasperlenspiel-Album „Licht & Schatten“.
„Hallo Pforzheim, Ihr seht wunderbar aus!“, ruft Frontfrau Carolin Niemczyk ins Publikum, das zu etwa zwei Dritteln weiblich sein dürfte und vom Essener Trio Kuult zuvor gut aufgewärmt wurde. Als ob dieser Freitagabend nicht schon heiß genug wäre.
Das ist sie also, die Band aus Stockach, der Kritiker oft Stromlinienförmigkeit vorwerfen: konfektionierter Deutsch-Pop von der Stange, produziert fürs Formatradio, austauschbar und leicht zu konsumieren. Für die Texte mag das noch zutreffen. Von Freundschaft, Herzschmerz und Trennung, vom Tanzen, von dieser Zeit und geilem Leben singen auch andere. Tut keinem weh, alles allgemein genug, um breite Identifikationspotenziale zu bieten.
Nach dem Auftritt im Kulturhaus-Hof erscheint die Kritik aber unberechtigt. Denn der ist stark, bietet mehr Ecken und Kanten, geschickt aufgebaut mit Balladen und Club-Nummern. Mit spannenden Brüchen, Rock- und Rap-Einlagen sowie Tempowechseln spielen die Musiker einen satten Sound: bis zu zehnminütige Live-Versionen, die immer wieder Überraschungen bieten. Da startet ein Titel mal im Trip-Hop-Beat, um in tanzbares Uptempo oder Dubstep („Ich bin ich“) zu münden. Diese zwei Seiten zeigt auch das 2018 erschienene Album. Und mal ehrlich: Liebhaber deutschen Pops brauchen nicht in jedem Song eine politische Botschaft. Denn es tut gut, mal dem Alltag zu entfliehen. Die nach dem Hermann-Hesse-Roman benannte Band hilft dabei. Ganze Familien sind gekommen, um zu feiern. Die Stimmung ist entspannt. Eine Mutter trägt ihr Töchterchen auf dem Rücken, sie wiegen sich im Takt. Das Konzert macht Laune.
Auch dank dieser Frontfrau. Carolin Niemczyk erobert die Herzen im Nu. In engem, schwarzen Top fegt sie über die Bühne. Mal gibt sie die Rockröhre, dann schraubt sie ihre Stimme bei Balladen in dahingehauchte Höhen. Kaum animiert sie zum Mitsingen, schon stimmt ein ganzer Chor in den Hit „Echt“ vom ersten Album (2011) ein. Später hält sie eine Kamera in die Menschenmenge, die im Großformat auf der Leinwand erscheint. Die sympathische Frontfrau pickt sich ein paar Leute heraus, intoniert – selbst erst zwei Tage zuvor 29 geworden – ein Geburtstagsständchen und lässt Pärchen vor den Augen aller knutschen. So geht Publikumsnähe, es wird Teil der Show, inklusive kollektiv zelebrierter Tanz-Choreografie zu „Schloss“.
Und die Band liefert ab: Background-Sängerin Silvia Dias veredelt den Klang mit warmer, souliger Stimme. Markus Viewegs knackiger Bass bringt die Menge immer wieder zum Tanzen. Nico Schönleber an der Gitarre steuert so manches Intro bei und baut ein paar Soli ein. Bene Neuner bildet am Schlagzeug seit 2010 das Rückgrat der Band. Daniel Grunenberg schließlich ist nicht nur Niemcyks privater Partner. Das Duo bildet den Kern von Glasperlenspiel. Mit seiner warmen Stimme sorgt der Keyboarder für Abwechslung.
Wie mehrere Songs endet auch die Single „Royals & Kings“ mit einem Knalleffekt: Kanonen feuern lange silberne Girlanden in die Menge. Soll noch einer sagen, früher war mehr Lametta.