Autor Albrecht Müller vermisst in der SPD Politiker vom Format eines Erhard Eppler. Foto: Meyer
Pforzheim
Albrecht Müller, der Analyst von Willy Brandt, liest Manipulatoren die Leviten
  • Michael Schenk

Pforzheim. Meinungsmache, Manipulation, Irreführung – wie funktioniert es? Albrecht Müller gibt an diesem Montagabend tiefe Einblicke in die Materie. Er liest im gut besuchten PZ-Autorenforum an der Luisen-/Ecke Poststraße aus seinem jüngsten Bestseller „Glaube wenig – Hinterfrage alles – Denke selbst / Wie Man Manipulationen durchschaut“. Der 81-jährige Sozialdemokrat, vom stellvertretenden Chefredakteur Marek Klimanski willkommen geheißen, bedankt sich zunächst bei der gastgebenden PZ. Dass ein „Mainstream-Medium“ ihn einlade, „das zeichnet den Verlag aus“.

Wenn es um Meinungsmache geht, weiß Müller, wovon er redet. Jahrelang hatte er selbst montags in der Lagebesprechung im Bundeskanzleramt die „Sprachregelung“ der Regierung mitbestimmt. Also mitentschieden, was der Regierungssprecher von Willy Brandt und später von Helmut Schmidt der Öffentlichkeit erzählt – und: mit welchen Formulierungen er dies tut.

Als Wahlkampfstratege und später als Chef des Planungsamtes hat Müller selbst solche Begriffe ersonnen, die eine Wertung in sich tragen. „Versöhnungspolitik“ sei so ein Begriff, der allerdings schon im Wahlkampf in den 60er-Jahren dem späteren Friedensnobelpreisträger Willy Brandt geholfen hat. „Aber wir haben es mit guter Absicht gemacht“ versichert der 81-jährige Wahl-Rheinland-Pfälzer fast ein wenig treuherzig. Und unwillkürlich erscheint vor dem geistigen Auge des Besuchers Brandt, wie er bei seiner ersten Regierungserklärung 1969 ankündigt, „mehr Demokratie wagen“ zu wollen.

Müller vermisst Verständlichkeit und Anschaulichkeit in der Politik

Albrecht Müller, der ältere Herr, mag 51 Jahre später im Autorenforum sympathisch auftreten. Aber jene Einblicke, die er in seinem Buch gewährt, sind vielschichtig und tief. Anschaulich vermittelt er die vielfältigen Methoden, wie Meinung zu machen ist, wie Deutungshoheit über Themen zu erlangen ist oder wie Politiker zu diskreditieren sind. Oder einfach, wie Themen wirkungsvoll totgeschwiegen werden.

Verständlichkeit und Anschaulichkeit, dies vermisst Müller in der heutigen Politik und erinnert an jenen Weggenossen und großen Sozialdemokraten aus Pforzheim, der im Bundestag der frühen 60er-Jahre mit seiner Rhetorik zu glänzen wusste. Als Fritz Erler am 22. Februar 1967 verstarb, war der damalige Oppositionsführer im Bundestag erst 53 Jahre alt. Wer nun meint, Müller als Sozialdemokrat nehme vor allem politische Gegner der rechten Ecke ins Visier, täuscht sich. Seine eigene Partei, insbesondere die Ära Schröder mit der Agenda 2010 dient ihm als Beispiel. Aber auch eher linke Autoren wie Jürgen Roth und Stefan Hebel beherrschen laut Müller das Instrumentarium, Vorurteile zu transportieren. So nenne Hebel Wladimir Putin in einer Reihe mit „polternden Populisten“ – auch so ein wertender Begriff – wie Trump, Erdogan, Orban und Salvini. „Putin mag vieles sein, aber ein ,polternder Populist’? Gewiss nicht“, versichert Müller

Kurzweilig und doch klar in der Botschaft

Was ihn von anderen Analysten politischer Tricks abhebt: die einfache, verständliche Sprache. Darauf habe er bei seinem Buch besonders geachtet. Und tatsächlich gestaltet sich so der Abend im Autorenforum kurzweilig. Müller liest der gegenwärtigen Medienöffentlichkeit buchstäblich die Leviten. In bester Tradition der mittlerweile zehn Jahre bestehenden Lesereihe der „Pforzheimer Zeitung“, wie eingangs Eckhard Mickel betont. Das Forum hat sich seinen Worten zufolge „Aufklärung, Information und Unterhaltung“ zur Aufgabe gemacht.

Die Befindlichkeit des Publikums verdeutlicht dabei aufbrausender Beifall. Vor allem, wenn es um das Rentensystem geht, das „bewusst kaputtgemacht worden ist“, brandet Beifall auf. Mit der Riester-Rente sei der Versicherungswirtschaft eine „Ölquelle“ an die Hand gegeben worden. So jedenfalls habe sich Finanzunternehmer Carsten Maschmeyer (60) damals gefreut. Einer jener Mächtigen, die 1997/98 dabei geholfen hätten, dass Gerhard Schröder und nicht Oskar Lafontaine zum Spitzenkandidaten der SPD gekürt worden ist. Schröder und sein Finanzminister Hans Eichel befreiten 2002 Erlöse aus Unternehmensverkäufen von der Besteuerung. Das habe dem Handel mit Betrieben Vorschub geleistet, habe der Branche von Firmen wie „Blackrock“ den Weg geebnet. Darüber werde heute „fast schon penetrant geschwiegen“. Schweigen wie unter anderem auch verkürztes Erzählen sei eine übliche Methode der Manipulation.

In der Fragerunde geht es dann eben wieder um Schröder: „Können Sie nachvollziehen, wenn ich ihn als Totengräber der SPD bezeichne?“ „Ja“, antwortet Müller unumwunden.

Ein Besucher will wissen: „Warum hat Sigmar Gabriel 2013 nicht die Chance einer rot-rot-grünen Regierunge ergriffen? Die AfD wäre uns erspart geblieben!“ Müller verweist auf den Wandel in der SPD. „Wo ist die Eppler-SPD geblieben?“, fragt er seinerseits rhetorisch und verweist auf Konzerne und Geheimdienste, deren Strategien auf das Umwandeln von Parteien ziele: „Die SPD ist umgedreht worden“, meint Müller , „und die Grünen auch“.

Zur Person: Albrecht Müller

Albrecht Müller wurde 1938 in Heidelberg geboren und wuchs in Meckesheim im Kraichgau auf. Er studierte in Mannheim, Berlin, München und Nottingham Volkswirtschaftslehre. Später war er Planungschef im Bundeskanzleramt unter den Bundeskanzlern Willy Brandt und Helmut Schmidt (beide SPD). Von 1987 bis 1994 war der Sozialdemokrat Mitglied des Deutschen Bundestages und ist seit 2003 als Autor und Mitherausgeber der NachDenkSeiten tätig. Müller ist Mitglied der SPD geblieben, auch wenn er ihre aktuelle Politik kritisch betrachtet.