In mehreren Apotheken in Pforzheim löst die Angeklagte Rezepte für das stärkste künstliche Opioid ein. Foto: Deck/dpa
Pforzheim
Bewährungsstrafe für in Pforzheim erschlichene Rezepte: 37-Jährige nutzt Tricks Zur Bekämpfung starker Schmerzen

Pforzheim. Selten bekommt eine Angeklagte, verurteilt zu einer Bewährungsstrafe von einem Jahr und acht Monaten, so ernste und ernst gemeinte Worte mit auf den Weg, der in den vergangenen 20 Jahren ein Leidensweg war – und der nicht minder hart werden wird für Julia G. (Name geändert). Das Schöffengericht unter Vorsitz von Amtsgerichtsdirektor Oliver Weik spricht die 37-jährige Pforzheimerin im zur Justiz-Außenstelle umfunktionierten Bürgersaal des Dietlinger Rathauses schuldig, sich in 101 Fällen Rezepte für hoch dosiertes Betäubungsmittel gegen ihre chronischen Schmerzen – das stärkste künstliche Opioid – bei 30 Ärzten in Pforzheim, dem Enzkreis und dem Kreis Calw erschlichen, diese bei Apotheken eingelöst und damit der gesetzlichen Krankenkasse einen Schaden von über 22.000 Euro verursacht zu haben. Staatsanwalt Sven Baumgart hat zwei Jahre auf Bewährung, Verteidigerin Jutta Götz maximal ein Jahr gefordert. Noch ist das Urteil nicht rechtskräftig.

Auch wenn Weik keinen Zweifel daran lässt, dass kriminelle Energie dahinter steckte, die Ärzte im Unklaren zu lassen, dass sie zum einen an einem Methadon-Programm teilgenommen hatte und ihnen nichts von den Besuchen bei Kollegen gesagt habe, sieht der Amtsgerichts-Chef (allerdings nicht so krass wie die Rechtsanwältin) eine „erhebliche Mitschuld“ einerseits der Ärzte, die „leichtfertig“ das starke Schmerzmittel verschrieben hätten und andererseits der Kasse, die zwei Jahre brauchte, um die Unregelmäßigkeiten ans Tageslicht zu fördern, und dann erst Strafanzeige erstattete.

Auf Anraten des Sachverständigen Ralph Schulte attestiert das Gericht Julia K. eine verminderte Schuldfähigkeit, stuft die Fälle als minderschwer ein und sieht von der Julia K. ursprünglich vorgeworfenen Gewerbsmäßigkeit des Betrugs an der Krankenkasse ab. Gleichwohl bürdet es – so sind die rechtlichen Vorschriften – der Hartz-IV-Empfängerin einen (zumindest theoretischen) Schuldenberg von über 20.000 Euro auf. Zur Bewährungsauflage macht das Schöffengericht der Angeklagten, viermal im Jahr ein Drogen-Screening machen zu lassen, das Aufschluss darüber gibt, ob sie zusätzlich zu dem verschriebenen Fentanyl illegale Drogen konsumiert.

Das Leben meint es nicht gut mit Julia K.: Die seit 2012 arbeitslose Frau leidet seit zwei Jahrzehnten an starken Lendenwirbelschmerzen, bekommt von einer Ärztin bedenkenlos Fentanyl-Pflaster verschrieben, die das Opioid über die Haut in den Körper schleust. Doch die Sucht bringt Julia K. dazu, das Pflaster, das sie über die Dauer von zwei Jahren immer wieder verschrieben bekommt, zu lutschen oder gar zu spritzen. Hinzu kommen laut Schulte psychische Störungen und am Ende wegen der Spätfolgen einer Infizierung mit dem Hantavirus nächtliche Epilepsie-Attacken.

An einer Krücke wegen eines Bypasses in der Leiste, humpelt Julia K. die Treppe des (noch) nicht barrierefreien Rathauses hoch in den Saal. Man merkt ihr die Schmerzen an, unter denen sie leidet. Hinter verschlossenen Türen begutachtet Schulte sie über eine Stunde lang. Dann steht für den erfahrenen Mediziner fest: Sie ist kein Fall für eine zwangsweise Unterbringung in einer Entzugseinrichtung, sondern für eine Schmerzambulanz, eine mehrwöchige Entgiftung und eine engmaschige Kontrolle durch einen Arzt ihres Vertrauens. Auch kann Schulte die freizügige Gabe von Fentanyl durch seine niedergelassenen Kollegen nicht verstehen:

„Das das in rauen Mengen verordnet wird, ist für mich nicht nachvollziehbar.“