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Nur wenige Zentimeter trennen den Fahrradfahrer manchmal von vorbeifahrenden Autos. Die Fotos, die er mit einer Videokamera aufnimmt, veröffentlicht der 38-Jährige anschließend auf seinem Blog im Internet.  Foto: Privat 

Die Angst fährt mit: Ein Pforzheimer Radfahrer berichtet von seinen Erfahrungen

Pforzheim. Rund 8500 Kilometer hat der 38-jährige Andreas M. aus Pforzheim im Jahr 2018 auf seinem Fahrrad zurückgelegt. Drei bis vier Stunden täglich ist er auf dem Zweirad unterwegs, hauptsächlich in der Goldstadt und dem Enzkreis.

Danach setzt er sich an seinen Computer und schreibt – über das, was er erlebt hat auf den Straßen, über Busse, Lastwagen, Autos und das stetige mulmige Gefühl, das ihn als Radfahrer auf den Fahrbahnen begleitet. Er möchte anonym bleiben, denn er weiß, dass viele seine Ansichten nicht teilen und ihrem Unmut ihm gegenüber Luft machen könnten.

„Das Schreiben hilft, damit fertig zu werden“, erklärt er gegenüber der „Pforzheimer Zeitung“. Begleitet wird er beim Gespräch mit der PZ von zwei befreundeten Radfahrern. Mit ihrer Hilfe will er zeigen, dass er mit seiner Meinung nicht alleine ist. Außerdem sei er ein eher zurückhaltender Typ. Seine Erlebnisse zu thematisieren, fällt ihm im Internet leichter. Auf einem Blog, einer Art Tagebuch im Internet, lädt er die Texte hoch, dazu kurze Videoschnipsel, die belegen sollen, wie nahe ihm manche Autofahrer kommen. Eine Videokamera ist an seinem Helm befestigt, eine am Gepäckträger.

Am meisten ärgert sich der Fahrradfahrer über die Ungeduld der Autofahrer, die im Kurvenbereich und bei durchgezogener Mittellinie überholen, ohne genügend Abstand einzuhalten. Manche würden beim Überholen durchgehend hupen. Das kann auch damit zusammenhängen, dass der 38-Jährige nicht so nah wie möglich am rechten Fahrbahnrand unterwegs ist, wie es andere Radfahrer möglicherweise sind. Der Pforzheimer erklärt seine Fahrweise mit dem nötigen Abstand zu beispielsweise parkenden Autos. Etwa einen Meter empfiehlt der Allgemeine Deutsche Fahrrad-Club – und daran halte er sich.

Andreas M. unterstellt den meisten Autofahrern nicht, dass sie ihn mit Absicht gefährden – viele wüssten nicht, wie weit sie nach links ausscheren müssten, um dem Radfahrer genug Platz zu geben. „Aber so etwas kann mich das Leben kosten“, gibt er zu bedenken. Besonders auf den Landstraßen rauschten unter anderem Busse manchmal mit über 70 Stundenkilometern an ihm vorbei. „Wenn der Abstand dann noch klein ist, bekomme ich schon zittrige Hände, muss kurz rausfahren und mich beruhigen“, erzählt der 38-jährige Pforzheimer. Ein Sprecher der Deutschen Bahn teilte auf PZ-Nachfrage mit, im Rahmen ihrer Funktionsausbildung auf den Bussen würden die Mitarbeiter auch auf die Einhaltung der Mindestabstände zu den Radfahrern hingewiesen.

Ein Fehler endet schnell tödlich

Besonders präsent im Gedächtnis habe Andreas M. einen Vorfall, bei dem ihn ein Lastwagen überholt habe und viel zu früh wieder eingeschert sei, nur Zentimeter trennten den Zweiradfahrer von dem 40-Tonner. „In dem Moment dachte ich, ich bin tot“, beschreibt er seine Gefühle. Laut gängiger Rechtsprechung muss beim Überholen mindestens ein Abstand von 1,50 Metern eingehalten werden, sind Kinder mit auf dem Rad, sogar mindestens zwei Meter. „Als Faustregel gilt: mit dem rechten Reifen auf dem Mittelstreifen, also quasi komplett auf der Gegenspur“, erklärt Andreas M.. Laut Bußgeldkatalog würden bei nicht eingehaltenem Seitenabstand 30 Euro fällig – doch das wird von der Polizei kaum kontrolliert. „Wenn den Beamten bei regulären Kontrollen eine derartige Widrigkeit auffällt, wird eingegriffen, aber es ist natürlich schwierig, da zur richtigen Zeit am richtigen Ort zu sein, um solche Verstöße zu ahnden“, erklärt Polizeipressesprecherin Christina Krenz auf PZ-Nachfrage.

Bei einer nicht repräsentativen Umfrage des „Tagesspiegels“ unter knapp 5000 Radfahrern im November 2018 gaben 20,5 Prozent der Teilnehmer an, viel Angst zu haben, wenn sie im Sattel sitzen. Als Hauptgrund für die gefühlte Unsicherheit nannten über 90 Prozent der Befragten das zu enge Überholen von Autos.

Er habe schon ein dickes Fell, erwidert Andreas M. auf die Frage, ob er als Radfahrer auf den Pforzheimer Straßen Angst habe. Wenn der 38-Jährige mit zu wenig Abstand überholt wird und den Autofahrer an der nächsten Ampel wieder trifft, stellt er diesen manchmal zur Rede. „Viele zeigen Verständnis und entschuldigen sich. Aber es kam auch schon zu Bedrohungen“, erzählt er. Manche seien der Ansicht, Radfahrer nutzten das Zweirad aus sportlichen Gründen oder ausschließlich zum Spaß. Das mache ihn wütend, denn damit werde den Radlern das Recht zur Teilnahme am Straßenverkehr abgesprochen. Es sei wichtig, den Radverkehr auszubauen. Bislang gebe es in der Pforzheim und der Region nur wenige Radwege. Die Stadt müsse den Mut haben, das zu ändern. „Ich bekomme oft zu hören: ‚Pforzheim ist keine Fahrradstadt‘“, sagt der 38-Jährige. Dann ergänzt er: „Aber das lasse ich nicht gelten.“