Drei Grablichter stehen am nun mit Bauzäunen gesperrten Aussichtsturm im Pforzheimer Stadtteil Hohenwart und erinnern an den schrecklichen Vorfall am Vortag. Schilder mit der Aufschrift „Hohe Warte vorübergehend geschlossen“ sind rundherum am Zaun um den gesamten Turm angebracht.
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Todesfälle Hohe Warte Pforzheim
Der Hohenwarter Aussichtsturm am Freitagmorgen. Nur ein Absperrband weist noch darauf hin, was am Vorabend hier passiert ist.
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Pforzheim
Drei Jugendliche sterben am Hohenwarter Aussichtsturm - Große Trauer und provisorische Sperrung

Pforzheim-Hohenwart. Es ist ein tragisches Ereignis, wenn Kinder ums Leben kommen – insbesondere dann, wenn es sich um Suizid handelt. Normalerweise berichten wir als Journalisten nicht über solche Fälle, das besagt der Pressekodex. In diesem Fall haben wir uns nach reiflicher Überlegung anders entschieden: Die „Pforzheimer Zeitung“ sieht es als ihre Aufgabe an, mit diesem Artikel Gerüchten entgegenzuwirken, die seit Donnerstagabend im Umlauf sind, möchte aufklären, einordnen und vor allem präventiv tätig sein, um Menschen zu helfen, die möglicherweise selbst in einer vermeintlich ausweglosen Situation sind. 

Die Polizei bestätigt auf Nachfrage der PZ, dass ein Passant am Donnerstagabend drei leblose Personen unterhalb der „Hohen Warte“, dem Aussichtsturm in Hohenwart, gefunden hat und die Rettungskräfte alarmierte. Diese eilten gegen 17.30 Uhr zur Einsatzstelle, jede Hilfe kam für die Betroffenen jedoch zu spät. Sie starben noch vor Ort. Nach Angaben von Polizeisprecher Benjamin Koch handelt es sich um „drei Personen im Teenageralter“. Momentan lägen demnach keine Hinweise auf Fremdverschulden am Tod der Jugendlichen vor, die Ermittlungen der Kriminalpolizei dauern allerdings noch an. Diese führt die Kriminalpolizeidirektion Calw in Zusammenarbeit mit der Staatsanwaltschaft Karlsruhe, Zweigstelle Pforzheim. Weitere Details kann Koch – aus Rücksichtnahme auf trauernde Angehörige, Freunde und Bekannte – nicht nennen. 

Hier finden Sie Anlaufstellen für Betroffene:
Wer suizidale Gedanken hat, sollte auf gar keinen Fall damit alleine bleiben. Auch in ausweglosen Situationen gibt es Hilfe für Betroffene. Sollten Ihre Gedanken darum kreisen, sich das Leben zu nehmen, sprechen Sie unbedingt mit jemandem darüber.
Eine schnelle Hilfe erhalten Sie unter der Rufnummer 0800/1110111 (Telefonseelsorge), der „Nummer gegen Kummer“ unter 116111 sowie im Notfall bei der Polizei (110) oder den Rettungsdiensten (112).Die Gesellschaft für Suizidprävention führt eine Übersicht der Angebote auf ihrer Webseite www.suizidprophylaxe.de.

Vor Ort gewesen seien neben Feuerwehr und Rettungsdienst einige Beamte der Schutz- und Kriminalpolizei. Diese wurden laut Koch durch die psychosoziale Beratung der Polizei betreut, die unvermittelt eingebunden wurde. 

Weiterhin kann Koch bestätigen, dass der tragische Vorfall von Donnerstagabend nicht der erste Sterbefall an der rund 40 Meter „Hohen Warte“ in diesem Jahr war. Man habe aber nach Abschluss der Ermittlungsarbeiten keine weitere Sperrung des Turms vonseiten der Polizei oder Staatsanwaltschaft veranlasst.

Hohenwarter Aussichtsturm provisorisch gesperrt

Alle drei Jugendlichen sind auf dieselbe Schule gegangen, wie die Stadt Pforzheim in einer Pressemitteilung bekannt gibt. In enger Zusammenarbeit aller beteiligten Behörden wurde an der Schule ein Krisenpräventionsteam gebildet, auch ein Trauerraum an der Schule ist eingerichtet worden, so die Stadt. Zudem seien eine Schulsozialarbeiterin, Beratungslehrerinnen, zwei Notfallseelsorger und vier Psychologinnen der schulpsychologischen Beratungsstelle vor Ort. Am Mittag war der Oberbürgermeister an der Schule, um mit dem Schulleiter zu sprechen und weitere Hilfen anzubieten, sollten diese - über die bisherigen Angebote hinaus – von Seiten der Angehörigen oder vor Ort benötigt werden, heißt es weiter. Die Feuerwehr hätte zuvor intern angeboten, solche Hilfsleistungen zu koordinieren.

Todesfälle Hohe Warte Pforzheim
Die „Hohe Warte“ ist rund 40 Meter hoch.
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Der Aussichtsturm Hohenwart sei unmittelbar provisorisch mit Bauzäunen abgesperrt und ein Schild „vorübergehend geschlossen“ angebracht worden. Oberbürgermeister Peter Boch hat Trauerbeflaggung am Rathaus und an der betroffenen Schule angeordnet.

Der Büchenbronner Aussichtsturm war bereits gesperrt, diese Vorrichtung werde von der Verwaltung noch einmal überprüft.

Oberbürgermeister und Landrat zeigen sich bestürzt

OB Boch und Landrat Bastian Rosenau zeigen sich in einem gemeinsamen Statement bestürzt: „Unser tief empfundenes Mitgefühl gilt den Familien, Freunden und Angehörigen, die mit unermesslichem Schmerz konfrontiert sind. Nicht nur als Amtspersonen, sondern auch als Familienväter macht uns dieser Verlust dreier junger Menschenleben tief betroffen, erfüllt uns mit unendlicher Traurigkeit und lässt uns sprachlos zurück. Denn Worte können angesichts solch unfassbaren Leids, welches die Familien und Freunde nun empfinden müssen, niemals angemessen sein. Unser Dank – das ist uns wichtig zu sagen – gilt jetzt allen, die in dieser schwierigen Situation geholfen haben, die mit großem Einsatz vor Ort waren beziehungsweise noch sind und nun ebenfalls mit dieser schrecklichen Tragödie umgehen werden müssen. Als Gesellschaft sind wir aufgefordert, mit solch einschneidenden Ereignissen sensibel umzugehen, den Schmerz aller Angehörigen und Freunde zu respektieren, vor allem aber auch die Persönlichkeitsrechte aller Betroffenen zu achten.“

Nachfragen über Social Media zum Hohenwarter Fall

Unterdessen erhält die PZ am Freitag über die sozialen Medien und auf anderen Wegen einige Nachfragen zu dem Vorfall. Viele haben die Rettungskräfte am Vorabend gehört oder gesehen, auch seien einige Menschen an der Unglücksstelle gewesen.

Hohenwarts Ortsvorsteher Siegbert Morlock sagt gegenüber der PZ, dass er bislang nur die Gerüchte kenne. Die Feuerwehr habe ihm lediglich bestätigt, dass es einen Einsatz gegeben habe. „Wir werden da nie informiert“, sagt er. Aus gutem Grund bleibe das im kleinen Kreis, wegen der Gefahr von Nachahmern. Er kenne auch die Gerüchte der Seriensuizide an den Türmen, auch die von Verabredungen in Chatgruppen oder über Social Media. „Gestern habe ich gesehen, dass Australien Social Media für Jugendliche sperrt“, sagt er. Dafür habe er Sympathien.

Hohenwarter Ortschaftsräte: Trauer und Forderung nach Sperrung

Die Bestürzung ist groß, auch unter den Hohenwarter Ortschaftsräten. Viele von ihnen reagieren am Freitagmorgen, noch bevor die Nachricht über die provisorische Sperrung durch die Stadtverwaltung bekannt war, zunächst verhalten auf die Bitte der „Pforzheimer Zeitung“ nach einer Stellungnahme. Doch sie werden sich – ob nun öffentlich oder nicht – intensiv mit der Frage beschäftigen müssen: Was passiert mit dem Turm?

Für eine sofortige Sperrung spricht sich am Freitagmorgen Volker Weingardt (CDU) aus. Zumindest bis auf Weiteres, bis „in irgendeiner Form“ eine Lösung herbeigeführt werden könne, um solche tragischen Ereignisse künftig zu verhindern. Denn sonst sei man beim nächsten Vorfall verantwortlich. Nicht nur für die Toten, sondern auch für die Traumata, die jene erleben, die eine Leiche finden. 43 Jahre war er bei der Polizei. Er weiß deshalb ganz genau: Solche Vorfälle hinterlassen Spuren. Bei den Angehörigen der Opfer, aber auch bei den Spaziergängern, die möglicherweise an den Todesort kommen. „Auch Kinder sind dort unterwegs“, betont Weingardt. Es gelte abzuwägen: „Was ist wichtiger, ein Menschenleben oder ein Aussichtspunkt?“

Für seinen CDU-Kollegen Markus Hieke ist die Antwort eindeutig: „Aus meiner Sicht darf der Turm nicht betrieben werden, solange er nicht ausreichend gesichert ist.“ Das habe er vor einigen Jahren auch schon der Stadtverwaltung gesagt, nachdem sein minderjähriger Sohn am Fuße des Turms auf eine Leiche gestoßen sei. Damals sei glücklicherweise ein Erwachsener dabei gewesen, so Hieke. Der jetzige Fall sei „an Fürchterlichkeit nicht zu übertreffen“. Sein Beileid gelte den Familien.

Ihn habe der Vorfall „berührt“, sagt Stephan Banschbach von der Allianz Hohenwarter Bürger. Entscheidungen über die Zukunft des Turms müssten aber wohlüberlegt sein. Man müsse sich Gedanken machen, welche Möglichkeiten es gibt, Suizide zu verhindern, sagt er. 

Große Bestürzung empfindet Ortschaftsrätin Nathalie Schönfeld (SPD). Bereits in der vergangenen Woche habe sie Gespräche mit den anderen Ortschaftsräten über den Turm geführt. Gemeinsam mit einigen habe sie einen Antrag an die Verwaltung vorbereitet, welche Möglichkeiten es gebe, den Turm so zu sichern, dass man von dort nicht in den Tod springen könne. Der Antrag liege bei ihr und sollte noch im Dezember eingebracht werden, erklärt sie. Man könne einen Suizid nicht verhindern, aber möglicherweise erschweren, die die SPD-Ortschaftsrätin. Sie könne sich nicht vorstellen, wie groß das Leid der Familien ist und auch das jener, die keinen anderen Ausweg wüssten. Und auch für die Rettungskräfte sei eine solche Situation schlimm.

Ortschaftsrätin Katja Weber (FDP) verweist am Freitagmorgen an den Ortsvorsteher. Sie selbst wolle sich nicht äußern.

Besonders fordernder Einsatz für Seelsorger in Hohenwart 

Eine „besondere Lage“ sei der Einsatz auch für die Teams der Notfallseelsorge und Einsatznachsorge Enzkreis und Stadt Pforzheim gewesen, so deren Sprecher. Selbst für Hohenwart, wo es bereits Suizide am Turm gegeben habe. Dass es drei Personen gewesen seien und diese noch dazu sehr jung, habe es „doch anders“ gemacht. Bereits in der Nacht seien die drei betroffenen Familien von insgesamt sieben Mitarbeitern der Notfallseelsorge betreut worden. Nach dem Einsatz habe es außerdem auch eine Anfrage nach dem Einsatznachsorgeteam gegeben. Drei Mitarbeiter hätten etwa 30 Einsatzkräfte von Rettungsdienst und Feuerwehr betreut. Die Polizei verfüge, wie von Sprecher Benjamin Koch bestätigt, über eine eigene Anlaufstelle.

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