Erfolg oder Niederlage? Der FDP-Landtagsabgeordnete Hans-Ulrich Rülke, Stiftungsvorsitzende Birgit Kipfer, PZ-Chefredakteur Marek Klimanski und Schriftstellerin Ines Geipel diskutieren im Kulturhaus Osterfeld über 30 Jahre Deutsche Einheit. Foto: Moritz
Pforzheim
Echte Einheit braucht eine Wende im Denken: Experten diskutieren im Kulturhaus über alte Fehler und künftige Aufgaben

Pforzheim. Hans-Dietrich-Genscher, der vom Balkon der deutschen Botschaft in Prag die Ausreiseerlaubnis verkündet, Bürger, die mit bloßer Hand die Mauer einreißen, Feuerwerk über dem Brandenburger Tor, dem Symbol des wiedervereinten Landes – zum 30. Tag der deutschen Einheit flimmern die Meilensteine auf dem Weg zur Wiedervereinigung über alle Kanäle. Was in den drei Jahrzehnten seit dem 3. Oktober 1990 passiert ist, was dabei versäumt wurde und was noch zu tun ist, bis auch die Mauern in den Köpfen fällt, ist am Donnerstagabend Inhalt bei einer Gesprächsrunde, zu der die Friedrich-Naumann-Stiftung in Kooperation mit dem DDR-Museum ins Kulturhaus Osterfeld geladen hatte.

In nackten Zahlen, da waren sich die von PZ-Chefredakteur Marek Klimanski moderierten Diskussionsteilnehmer – die ehemalige SPD-Landtagsabgeordnete sowie Vorsitzende der Stiftung „Lernort Demokratie – Das DDR-Museum Pforzheim“ Birgit Kipfer, Schriftstellerin, Publizistin und Ex-DDR-Spitzensportlerin Ines Geipel sowie der FDP-Landtagsabgeordnete Hans-Ulrich Rülke einig – sind sich Ost und West nach 30 Jahren ähnlicher, als es vor 30 Jahren vielleicht viele geglaubt hätten. Doch die vielzitierte innere Einheit – auch hier herrschte Konsens – sei noch nicht erreicht.

Woran das liegt? Dazu hatten die Experten unterschiedliche Meinungen. Geipel vertrat die Meinung, dass das vor allem an den „Doppeldiktatur“-Erfahrungen der Ostdeutschen liege – die bis heute nicht bewältigt seien. Zudem seien ihnen freiheitliche Gesellschaftsmodelle, in denen Individualität, Selbstreflexion und Eigenverantwortung wichtige Säulen sind, als ehemaliger Bürger zweier totalitärer Staaten schlicht fremd. Auch Kipfer argumentierte mit einer noch lange nicht abgeschlossenen Aufarbeitung des SED-Regimes und sowie den bis 1990 unterschiedlichen Gesellschaftsystemen, deren Zusammenwachsen eine größere Herausforderung werden sollte, als es vor 30 Jahren schien.

Wie sich diese innere Spaltung äußert? Laut Geipel spüre man das im Westen vor allem am Wahlverhalten. Eben durch die fehlende Aufarbeitung der Vergangenheit gäbe es einen Hang zu Extremen, seien sie nun links oder rechts. 2015, so Rülke, habe die Flüchtlingsbewegung nach Europa das Problem nochmal verschärft, viele hätten sich ungerecht behandelt gefühlt.

Was nun zu tun ist? Geipel forderte eine umfassende Traumabewältigung für die neuen Bundesländer, Kipfer noch mehr Austausch zwischen Ost und West. Rülke plädierte ebenfalls für Reflexion, damit die kommenden Generationen endlich „zusammenfügen, was zusammen gehört“. Volker Römer appellierte an den Mut jedes Einzelnen, für diese Einheit einzustehen. Denn eines, so der Vorsitzende des Vereins gegen das Vergessen, sei sicher:

„Wir haben eine gemeinsame Geschichte – und wir werden eine gemeinsame Zukunft haben.“

Anlässlich des 30. Jahrestags der Deutschen Einheit veranstalten die Stiftung „Lernort Demokratie – Das DDR Museum Pforzheim“ und die Stadt Pforzheim am Samstag, 3. Oktober, eine gemeinsame Feierstunde für geladene Gäste. Für interessierte Bürger wird ein Rahmenprogramm angeboten. Das DDR- Museum öffnet von 13 bis 16 Uhr. Am Abend zeigt das Kommunale Kino von 20.30 Uhr an den Thriller „Freies Land“.