Angekommen: Zahira (links) und Hasn gehören zu den irakischen Kindern, die ihren nach Deutschland geflohenen Vätern folgten. Die Geschwister leiden an einer heimtückischen Erbkrankheit. Doch eine Operation erfolgt erst, wenn sie in einer größeren Wohnung mit zwei Bädern leben.
Pforzheim
Irakische Familie hofft auf medizinische Hilfe

Zusammenfassend, heißt es auf der Homepage der Thalassämiehilfe, „dass die Krankheitsbilder ohne medizinische Hilfe den sicheren Tod der Kinder bedeuten. Da der Sauerstoff nicht mehr ausreichend transportiert wird, verfallen sie körperlich und werden teilnahmslos. Am Ende des Leidenswegs wartet ein langsamer und qualvoller Erstickungstod.“

In Hasn, 3, Newar, 9, und Zahira, 13, kämpft der Körper eine Abwehrschlacht gegen die heimtückische Erbkrankheit Thalassämie. Die Bildung von roten Blutkörperchen ist erheblich gestört.

„Ich will nicht, dass meine Kinder sterben“, sagt Khalil Rasho Aal-Shamo, 31. Er ist ihr Vater. 2008 kam der Nord-Iraker nach Deutschland, wurde wie alle Angehörigen der religiös verfolgten Minderheit der Yesiden als politischer Flüchtling anerkannt, durfte arbeiten, verdiente für seine Verhältnisse – wie viele andere Iraker – in einer Brettener Fabrik gutes Geld. Einen Teil davon schickte er regelmäßig an eine Adresse in Syrien – dorthin waren seine Frau Trko, 32, und die sieben Kinder zwischen drei und 14 Jahren geflohen. Seit 24. September 2009 sind sie wieder als Familie vereint.

Möbel vom Sperrmüll

In der Pforzheimer Nordstadt haben sie vorerst eine Bleibe gefunden. Drei Zimmer, Küche, Bad, Möbel vom Sperrmüll oder der Gesellschaft für Beschäftigung und berufliche Eingliederung (GBE). 600 Euro warm, das Kinderzimmer ist ein Matrazenlager. Tagsüber stapeln sich die Schlafgelegenheiten in einer Ecke. Seinen Job hat Khalil im Januar verloren. Pünktlich zu sein, sei ihm nicht mehr möglich gewesen, jetzt, da er nicht mehr alleine war und sich erstmals Gedanken machen musste, wie man das Zusammenleben einer vielköpfigen Familie zu organisieren hatte. Da wurde er entlassen. Und Trko ist erneut schwanger. Im sechsten oder siebten Monat, so genau weiß sie das nicht.

Eine größere Wohnung ist unerlässlich. Vor allem: ein zweites Bad. „Aus hygienischen Gründen“, sagen die Ärzte an der Uni-Klinik Heidelberg, wo Hasn, Zahira und Newar in Behandlung sind.

Wenn Geld da ist für die Fahrt. Unlängst war keines da. „Er hat geweint am Telefon, als er mir das sagte“, berichtet ein Bekannter. „Khalil liebt seine Kinder über alles.“ Zu allem Überfluss wurden Zahira und Newar noch im Irak durch verdreckte Spritzen mit Hepatitis infiziert. Eine größere Operation, sagen die Ärzte, eine Transplantation gar, komme nur in Frage, wenn die Eltern einigermaßen in der Lage seien, Deutsch zu sprechen oder zumindest zu verstehen – schon wegen der Aufklärung, was passieren könnte, wenn . . .

Wie er die Schulden abbezahlen soll, weiß Khalil nicht. Rund 10 000 Euro, sagt er, habe ihm eine hiesige Bank als Kredit gegeben. Das Geld brauchte er – ohne „Schmiermittel“ ist eine Zusammenführung eine schier unendliche Geschichte. Die 17 000 Dollar, die Khalil nach eigenen Angaben für seine eigene Schleusung – über die Türkei, Griechenland und Italien – brauchte, hätten aus der Erbschaft seines Vaters gestammt, die er versilberte, um zunächst sein eigenes Leben zu retten.

Hälfte der Iraker lebt von Hartz IV

Wenn er keine Arbeit findet, wird er im Januar 2011 zu jenen Irakern in Pforzheim gehören, die Hartz IV beziehen – rund die Hälfte der mittlerweile drittgrößten Migrantengruppe. Rund 1350 Iraker – chaldäische Christen, Yesiden, sunnitische und schiitische Moslems – leben inzwischen in der Goldstadt. Und etwa 400 Familienangehörige, schätzt die Integrationsbeauftragte Anita Gondek, warten noch, vor allem in Syrien, auf den Nachzug nach Deutschland. Demnächst wird sich die Familienhilfe der Stadt Pforzheim um die Aal-Shamos kümmern. „Die Leute sind doch hilflos“, sagt eine Bekannte, „sie sind in erster Linie froh, dass sie nicht mehr um ihr Leben fürchten müssen.“ Olaf Lorch-Gerstenmaier

Themen