PZ-Chefredakteur Magnus Schlecht. Foto: Ketterl
Pforzheim
Kommentar zum Rücktritt von Andrea Nahles: Versagt und gescheitert

Andrea Nahles hat ihren politischen Überlebenskampf nach dem Desaster bei der Europawahl verloren. Nach einer Woche gibt sie sich ihren Gegnern in der SPD geschlagen. Ein Kommentar von PZ-Chefredakteur Magnus Schlecht. 

Andrea Nahles geht als das große Missverständnis in die Geschichte der Sozialdemokratie ein. Ihre Bätschi- und Auf-die-Fresse-Mentalität, aber auch die Arroganz, mit der sie die Partei als Partei- und Fraktionschefin nach innen führte, taten der SPD von Anfang an nicht gut. Insofern war der Rücktritt nach dem Desaster bei der Europawahl und der selbstzerstörerischen Aufarbeitung der vergangenen Tage unausweichlich geworden. Mit ihrer Entscheidung erspart sie sich und der Partei eine weitere Demontage.

Spätestens jetzt ist klar: Die Rheinländerin war mit dem Job schlichtweg überfordert. Sie scheiterte an den eigenen und lauthals verkündeten Ansprüchen, den Negativtrend der vergangenen Jahre umkehren zu werden. Das Gegenteil war und ist der Fall: Unter ihr verschlimmerten sich die Wahlergebnisse sogar. Auch eklatante handwerkliche Fehler offenbarten vor allem eines: Nahles kann’s nicht. Man denke nur an das Herumgeeiere oder vielmehr Versagen im Fall Maaßen, indem sie ihn erst für nicht mehr tragbar hielt und am Ende doch seine Beförderung absegnete. Gescheitert ist sie aber auch und gerade an der eigenen Partei. Die SPD ist für Vorsitzende zu einer Art Sado-Maso-Klub verkommen. Jeder, der oben steht, wird von den Genossen genüsslich gequält, und die Parteichefs lassen das auch noch mit sich machen. Dass das ausgerechnet in einer Partei geschieht, die sich der Solidarität verpflichtet fühlt, spricht Bände und sagt viel über den Charakter so mancher Sozialdemokraten an der Parteispitze aus. Das müssen sie sich vorhalten lassen – die Kevin Kühnerts, Sigmar Gabriels, Olaf Scholzens der SPD. Das gilt aber auch für einen Martin Schulz. Selbst ließ er nach seinem Scheitern bei der vergangenen Bundestagswahl keine Gelegenheit aus, um darüber zu klagen, wie schlecht er von den eigenen Genossen im Wahlkampf behandelt und unterstützt wurde. Jetzt hat er selbst die Stimmung gegen Nahles ordentlich angeheizt.

Ob die Sozialdemokraten die parteiinternen Probleme als Ursache für den Niedergang der deutschen Sozialdemokratie tatsächlich wahrhaben wollen? Die Frage ist auch, ob die Erkenntnis reift, dass man dramatische Schwächen aufweist, indem man politische Erfolge am Wähler vorbei kommuniziert oder schlicht auf die falschen Themen im Wahlkampf setzt. Nein, die Große Koalition ist jedenfalls weder an Nahles Scheitern noch an der Talfahrt der Sozialdemokraten schuld. Erst recht nicht Angela Merkel. Wie auch, die Kanzlerin tritt gar nicht mehr in Erscheinung und hat selbst in den vergangenen Jahren vergleichsweise schlechte Wahlergebnisse eingefahren. Deshalb steht fest: Die SPD muss sich selbst aus dem Sumpf ziehen, sonst verschwindet sie tatsächlich in der politischen Bedeutungslosigkeit.

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