
- Isabel Ruf
- Nina Tschan
- Julia Wessinger
Pforzheim/Enzkreis. Respekt, so steht es im Wörterbuch, ist die Achtung und Wertschätzung gegenüber anderen Personen, aber auch Tieren, Gruppen, Institutionen, Ländern, Kulturen und Weltanschauungen. Doch geht eben diese Achtung in unserer heutigen Welt zunehmend verloren? Wird die Menschheit immer egoistischer? Hat sich Respektlosigkeit in unserer Gesellschaft breitgemacht? Nagt sie gar an Autoritäten wie Polizisten, Lehrern und Ärzten?
Offensichtlich schon. Allein innerhalb der vergangenen vier Jahre ist die Gewalt gegen Polizisten um 22 Prozent gestiegen, wie die Kriminalstatistik belegt. Unangemessenes Verhalten gegenüber Rettungskräften und Vertretern öffentlicher Ämter ist keine Seltenheit mehr. Doch nicht nur da macht es sich bemerkbar – auch direkt vor unseren Augen auf der Straße, im Supermarkt, am Telefon. Respektlosigkeit beginnt bereits im Kleinen und hat nach Auskunft des Experten Werner Polster zuletzt zugenommen.
Diesem Phänomen geht die „Pforzheimer Zeitung“ auf den Grund . In der neuen Serie „Mehr Respekt, bitte“ kommen deshalb Menschen zu Wort, denen in ihrem Beruf, im Ehrenamt oder privat mit mangelndem Respekt begegnet worden ist oder noch wird. „Wir wollen zeigen, an welchen Stellen es im Alltag an Achtung und Wertschätzung mangelt“, sagt PZ-Redakteurin Julia Wessinger. „Wenn ein Feuerwehrmann bei seiner Arbeit behindert oder ein Rettungssanitäter beleidigt wird, müssen wir als Journalisten darauf hinweisen. Dieses Problem geht uns alle an“, so Wessinger weiter. „Als Online-Redakteurin begegnet mir mangelnder Respekt selbst täglich – zum Beispiel in Form von Berichten über Respektlosigkeiten, die wir auf PZ-news.de veröffentlichen, aber noch häufiger in Kommentaren in den sozialen Medien“, erklärt Kollegin Nina Giesecke. „Im Internet ist die Hemmschwelle geringer als im realen Leben. Wer sich dann noch hinter einem Pseudonym versteckt, der tippt auch schnell mal eine Beleidigung in die Tasten. Das kann dann unter Umständen richtig persönlich werden, da müssen wir eingreifen. Deshalb ist Respekt mir selbst in unserer heutigen Welt ein Anliegen“, beschreibt Giesecke. Das sieht PZ-Redakteurin Isabel Ruf ähnlich. „Auch ich habe als Reporterin schon Dinge erlebt, die ich beunruhigend finde. Vor allem vor der Arbeit der Polizei haben viele keinen Respekt, pöbeln obendrein noch gegen die Beamten, gerade an Absperrungen nach Unfällen oder anderen Delikten. Das ist immer häufiger der Fall. Das muss sich ändern“, so Ruf.
Die neue Serie „Mehr Respekt, bitte“ soll Missstände aufzeigen, aber auch Denkanstöße geben. „Ich frage mich zum Beispiel, wie wichtig die Erziehung ist – ob Respekt nicht schon Kindern ganz anders vermittelt werden sollte“, sagt Ruf weiter. Die Redakteurinnen wollen wissen, wie jeder für sich im Alltag gegen Respektlosigkeit vorgehen kann, wo es besonders hakt und woran das überhaupt liegt. Um diese Fragen zu beantworten, kommen in einigen Serienfolgen auch Experten zu Wort, die das Phänomen aus wissenschaftlicher Sicht erklären.
Auch die PZ-Leser selbst dürfen sich äußern. Ist Ihnen selbst schon Respektlosigkeit entgegengebracht worden? Senden Sie uns eine E-Mail mit Ihren Erlebnissen an internet@pz-news.de.
PZ-Interview mit Werner Polster, Leiter und Gründer der Akademie für Psychotherapie in Pforzheim, über die Gründe für Respektlosigkeit und die Bedeutung der Erziehung.
Kein „Bitte“, kein „Danke“, Aggressivität bis hin zu Gewalt. Respektlosigkeit kann sich in vielen Facetten und alltäglichen Situationen äußern. Werner Polster erklärt, welche psychologischen Hintergründe dabei eine Rolle spielen.
PZ: Herr Polster, zu Beginn ganz prinzipiell die Frage: Was ist Respekt, was ist Respektlosigkeit?
Werner Polster: Das hat viel mit Achtung und Missachtung zu tun. Respekt heißt, die Beachtung der Belange meines Gegenübers auch und insbesondere bei unterschiedlicher Meinung. Mein Gegenüber kann ganz diametrale Standpunkte vertreten, aber ich verliere ihn als Mensch mit seinen Eigenheiten nicht aus dem Auge. Wenn ich das tue, bin ich immer respektvoll. Manche Menschen fühlen sich auch unterbewusst ausgegrenzt oder vielleicht abgewertet. In solchen Fällen kann man dazu geneigt sein, sich auf Kosten des anderen größer zu machen. Ein weiterer Aspekt ist: Ich kann schnell Respekt verlieren, wenn ich glaube, ich bin im Recht. „Ich hab doch recht, also kann ich drauf hauen.“ Ich übertreibe jetzt bewusst. Aber das ist eine grundlegende Fehleinschätzung.
PZ: Warum wird jemand respektlos?
Werner Polster: Da spielen zwei grundsätzliche Aspekte eine Rolle: der individuelle und der gesellschaftliche. Unter den individuellen Aspekt fällt die Entwicklung. Für eine gute Steuerungsfähigkeit müssen bestimmte Hirnbereiche gereift sein, insbesondere das Stirnhirn, wo die Normen und gesellschaftliche Werte sitzen. Das Stirnhirn wird in der Entwicklung als Letztes dazu geschaltet, bei Frauen im 25., bei Männer im 27. Lebensjahr – tendenziell noch später. Aber, und das ist der zweite individuelle Aspekt, es kann mir immer etwas daneben gehen. Das ist die sogenannte 70-Prozent-Regel.
PZ: Klingt mathematisch. Was ist denn darunter zu verstehen?
Werner Polster: Wir haben angeborene Affekte, die im Unterbewusstsein gebildet werden, eine „Basis-Emotion“, die quasi angeschubst wird. Das merke ich gar nicht. Erst wenn ich den Affekt ins Frontalhirn schicke, wird er mir bewusst. Jetzt kommt die Eigenart: Wenn diese Basis-Emotion über 70 Prozent steigt, wird zunehmend mein Frontalhirn abgeschaltet. Der Affekt ist viel stärker als der Verstand, da kann ich noch so reif sein. Das heißt, ich funktioniere nur noch automatisch. In der Evolution ist das höchst sinnvoll. Wenn ich in der Savanne etwas Gefährlichem begegne, bin ich gut beraten gewesen, dass der Affekt sofort hochfährt und ich handele, also fliehe oder kämpfe. Das heißt: Je mehr mein Affekt hochfährt und ich es nicht früh genug erkenne und gegensteuere, desto mehr werde ich blindwütig und eben respektlos. Wenn mich andauernd jemand abwertet, kann so etwas beispielsweise passieren.
PZ: Wie kann man Respekt lernen oder beibringen?
Werner Polster: Das Ideale ist, schon mit den eigenen Kindern respektvoll umzugehen. Als Elternteil bin ich in einer Machtposition. Die sollte ich nicht ausnutzen, sondern auf Augenhöhe bleiben. Wenn ich nur sage „Mach das jetzt so!“ ist das Machtausübung. Nichts zu tun, weil man nicht bestimmen möchte, ist aber genauso Unsinn. Sie würden doch nicht auf die Idee kommen, Ihr Kind nicht festzuhalten, wenn es auf die Straße rennt. Entwicklungspotenzial gibt es nur, wenn es auch Grenzen gibt – sonst entsteht Chaos.
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