
Das Zentrum des Welthandels verlagert sich zunehmend nach Asien – insbesondere nach China, aber auch Indonesien, Indien und in den gesamten süd- und ostasiatischen Raum. Wieder, muss man sagen. Denn das war schon mal so: Vor dem Jahr 1700 war der asiatische Kontinent für rund 60 Prozent der globalen Wirtschaftsleistung verantwortlich. Im Jahr 1950 schrumpfte dieser Anteil auf 15 Prozent. Heutzutage sind es wieder rund 40 Prozent. Vor allem Chinas Projekt der Neuen Seidenstraße trägt zum wirtschaftlichen Erfolg bei – ein Infrastrukturnetz aus Zugstrecken, Straßen und Häfen auf drei Kontinenten. Philipp Mattheis hat zahlreiche der Länder bereist und ein Buch über das Giga-Projekt geschrieben. Am 19. Juli ist der Journalist damit im PZ-Autorenforum zu Gast. Die PZ hat vorab mit ihm gesprochen.
Am Mittwoch, 19. Juli, ist Philipp Mattheis im Autorenforum (Ecke Post-/Luisenstraße) der Pforzheimer Zeitung zu Gast. Von 19 Uhr an stellt er sein Buch „Die dreckige Seidenstraße“ vor. Karten (10,50 Euro, für Inhaber der PZ-AboCard 6,50 Euro) können unter der Nummer (07231) 933-125 reserviert werden.
PZ: China ist derzeit die zweitgrößte Volkswirtschaft der Welt. Wann wird das Land die USA von der Spitze verdrängen?
Philipp Mattheis: Es gibt verschiedene Projektionen. Wenn man alle überschlägt und zusammenführt, kommt man etwa auf das Jahr 2030. Das ist aber nicht in Stein gemeißelt. Denn gerade lahmt die chinesische Wirtschaft etwas. Es gibt auch ein Demografieproblem, denn die Chinesen werden immer älter.
PZ: Welche Folgen würde eine führende chinesische Wirtschaftsmacht international haben?
Philipp Mattheis: Das hat jetzt bereits eine Menge Folgen, weil China für viele Länder schon zum wichtigsten Handelspartner geworden ist und die USA diesbezüglich weitgehend verdrängt hat. China hat also schon eine viel größere wirtschaftliche Macht, die auch mit einem politischen Einfluss einhergeht...
PZ: ... der für die Welt gefährlich werden könnte?
Philipp Mattheis: Ich glaube nicht, dass von heute auf morgen alles anders werden würde, so, als legte man einen Schalter um. Ich glaube aber, dass man zu lange gehofft hat, China würde sich durch mehr Handel besser in die Weltgemeinschaft integrieren und sich freiwillig internationalen Regeln fügen. Das Gegenteil ist der Fall: Man merkt, speziell seit dem Machtantritt von Xi Jinping 2013, dass China immer selbstbewusster auftritt und eine harte Machtpolitik betreibt, die eher zum Ziel hat, das bestehende System zu verändern oder es vielleicht sogar zum Einsturz zu bringen.
PZ: Da befindet sich das Land doch aber historisch gesehen in einer gewissen „Tradition“: Die einstigen europäischen Kolonialmächte und später die USA haben das in der Welt nicht anders gemacht, um zu Führungsmächten aufzusteigen, oder?
Philipp Mattheis: Generell schon, dennoch sehe ich da einen Unterschied. Das westliche System mit all seinen Schwächen und der berechtigten Kritik daran, hat immer noch einen universellen Anspruch, hinter dem gewisse Werte stehen. Etwa die Rechte und Freiheiten des Individuums, die im Westen am besten gewährleistet werden. Das fehlt meiner Meinung nach im chinesischen Ansatz völlig.
PZ: Sprechen Sie deshalb in ihrem Buchtitel von der „dreckigen“ Seidenstraße?
Philipp Mattheis: Es ist nicht das schöne, scheinende Projekt, wie es die chinesische Propaganda darstellt. Dreckig ist die Seidenstraße vor allem deshalb, weil die Investitionen, die China jeweils vor Ort tätigt, fast immer die betroffenen Menschen außen vor lässt. Das hat sich durch alle meine Recherchen vor Ort gezogen. Die Menschen haben nichts Gutes davon zu erzählen. In Myanmar zum Beispiel wurde eine Pipeline quer durch das Land errichtet. Menschen mussten ihre Heimat verlassen und wurden ihrer Lebensgrundlage beraubt. In Kenia oder Laos hat man Zugstrecken mit völlig überdimensionierten Bahnhöfen gebaut, die an den Bedürfnissen der Menschen aber völlig vorbeigehen.
PZ: Markiert das gigantische Projekt Neue Seidenstraße den Anfang der Macht Chinas oder eher schon den Zenit?
Philipp Mattheis: Ich glaube, das Projekt ist der erste sichtbare Auswärtsdrang des Landes in die Welt. Davor galt eher ein Chinabild des „friedlich schlafenden Riesen“, der vielleicht nicht so nett zur eigenen Bevölkerung ist, aber dem Rest der Welt nichts tut. Die chinesische Führung betonte auch stets, sich nicht in die Angelegenheiten anderer Staaten einzumischen. Die Neue Seidenstraße dagegen zeigt schon recht deutlich, dass China sehr wohl über die eigenen Landesgrenzen hinaus Einfluss ausübt.
PZ: Was hat Deutschland diesbezüglich noch zu erwarten?
Philipp Mattheis: Die wirtschaftliche Verflechtung ist bereits jetzt schon sehr engmaschig. Insbesondere deutsche Autokonzerne wie VW oder BMW erwirtschaften einen sehr großen Teil ihres Umsatzes in China. An diesem Geschäft hängen somit auch unsere Automobilzulieferer. Darüber hinaus exportiert Deutschland viel nach und importiert viel von China. Die Abhängigkeit ist also jetzt schon sehr hoch und man könnte sich nicht derart aus ihr befreien, wie das bei Russland der Fall war. Von Sanktionen ganz zu schweigen. Das hätte fatale Auswirkungen auf den Wirtschaftsstandort Deutschland. Die Arbeitslosigkeit würde zum Beispiel enorm steigen oder Produkte würden sich verteuern beziehungsweise knapp werden. Die durch die Pandemie verursachten Lieferkettenprobleme haben uns da ja schon einen Vorgeschmack gegeben. China ist nicht mehr nur das Billigproduktionsland, das es mal war.
PZ: Begrüßen sie vor diesem Hintergrund die Bestrebungen der Bundesregierung, den wirtschaftlichen Einfluss Chinas auf Deutschland zu begrenzen?
Philipp Mattheis: Das war ein überfälliger Schritt. Deutschland muss seine Lieferketten diversifizieren. Man war in der Vergangenheit viel zu blauäugig und naiv, was zu der starken Abhängigkeit geführt hat. Ich habe nur den Eindruck, dass man jetzt manchmal etwas übers Ziel hinausschießt beziehungsweise eine gewisse Heuchelei betreibt, indem man betont, mit dem einen autoritären Regime – Russland – auf keinen Fall Geschäfte zu betreiben, es mit dem anderen – China – aber tagtäglich tut. Da würde ich mir eine klarere Linie wünschen.
PZ: Zumal sich die Frage stellt, was es für diese Geschäfte bedeuten würde, überfiele Cina Taiwan. Könnte sich Deutschland dann dieselbe Haltung erlauben wie gegenüber Russland nach der Invasion der Ukraine?
Philipp Mattheis: Das ist am Ende eine moralische Frage. Klar aber ist, dass die Folgen für die Weltwirtschaft wesentlich gravierender wären.
PZ: Das bedeutet aber, wir sind durch die Wirtschaftsmacht Chinas in unserer westlichen Moral erpressbar.
Philipp Mattheis: Ich würde es andersrum formulieren: Das westliche System ist weltweit für die meisten Menschen attraktiv, weil es die größtmögliche Freiheit des Individuums garantiert. Diese Moral, die wir uns „leisten“, ist ein Vorteil, keine lästige Bürde. Darauf sollten wir uns hin und wieder besinnen.