
Pforzheim/Enzkreis. An der Haustür zum fünfstöckigen Mietgebäude in der Region stehen bunte Blumen, die Klingelanlage ist gepflegt und auch im Haus ist alles ordentlich. Die Treppen wollen fast kein Ende nehmen. Der Puls rast. Im 5. Stockwerk liegt die Wohnung, die Heinz B. (Name geändert) seit fast 20 Jahren gemietet hat. Schon damals war er leidenschaftlicher VfB-Fan, brennt für die Schwaben. Deshalb ist es nur logisch, dass ein Fanposter von Chris Führich genauso am Eingang hängt, wie ein Wimpel des Herzensvereins.
Nichts deutet auf das Drama hin, das Heinz B. vor einigen Monaten fast das Leben gekostet hätte. Ein Drama, das viel mit Einsamkeit zu tun hat. Und mit Armut.
Beim Bezug der Wohnung hat Inge (Name geändert), die Ehefrau von Heinz B., noch gelebt und er war berufstätig – wie schon sein Leben lang. Nach einer Ausbildung bei der Post arbeitete der inzwischen 68-Jährige bei einem Drehteile-Hersteller. Als seine Frau an Krebs erkrankte und immer hilfsbedürftiger wurde, kümmerte sich Heinz B. intensiv um sie. „Ich konnte sie nicht alleine lassen, und sie hat meine Hilfe gebraucht“, sagt der Senior.

Ein Nierenversagen im Jahr 2022 bedeutet den Tod seiner Frau. Innerhalb kürzester Zeit sterben auch seine Mutter und Schwester. Heinz B. ist allein. Seitdem gibt es keinen Halt mehr in seinem Leben. Der VfB-Fan fällt in sich zusammen. Seine Kontakte zu Freunden reißen ab. Auch seine lieb gewonnenen Treffen im Stammlokal besucht Heinz B. nicht mehr. „Ich habe alle Kontakte abgebrochen.“ Heinz B. schaffte noch, sich um seine Rente zu kümmern. Dann floss zumindest diese Zahlung. Sonst blieb aber alles liegen. So auch die Post.
Und so kam es, dass am 17. November 2024 Strom- und Gas gesperrt wurden. Das Datum sagt Heinz B. ohne in seinen Büchern nachzusehen. Das weiß er, denn das hat sich eingebrannt. „Dann wurde es dunkel und kalt in der Wohnung.“ Aber niemand bemerkt es, nur der Senior.

Kurz vor Weihnachten ging Heinz B. einkaufen. Das Geld dafür hatte er durch Flaschensammeln. Inzwischen war nämlich auch das Bankkonto gesperrt. Dann passierte es: Er brach zusammen und wurde mit dem Rettungswagen ins Krankenhaus gebracht. Herzinfarkt. Nach einer Woche in der Klinik wurde er entlassen. Heinz B. ging zurück in seine kalte und dunkle Wohnung. Ohne Lebensmittel, ohne Geld. Ein paar Tage später brach er erneut auf der Straße beim Flaschensammeln zusammen. Auch dieses Mal musste der Notarzt kommen. In der Klinik musste dem Senior ein Zeh amputiert werden und er wurde wegen Unterernährung behandelt. Drei Wochen dauerte der Krankenhausaufenthalt.
Dann trat ein Gerichtsvollzieher in das Leben von Heinz B.. Eigentlich sollte die Vollstreckung stattfinden, weil rund 4000 Euro an Schulden aufgelaufen waren, doch dann schaffte genau dieser Gerichtsvollzieher die Wende im Leben von Heinz B..

Der Nachbar des Seniors wusste, dass dieser im Krankenhaus ist. Und so besuchte der Gerichtsvollzieher den Senior in der Klinik. Dem aufmerksamen Beamten wurde schnell klar, dass etwas nicht stimmen kann, und er stellte einen Antrag auf Betreuung. Und dann ging alles ganz schnell. Heinz B. war gerade aus der Klinik entlassen worden und wieder zu Hause. Immer noch war alles kalt und dunkel. Er hatte nichts zu Essen. Und seine zwei Wellensittiche, die ihm immer Gesellschaft leisteten, waren tot. Erfroren oder verhungert.
Kaum zu Hause, klingelte Kerstin Neub-Adam vom Pflegestützpunkt an Heinz B.s Tür. Nichts passierte – ohne Strom kommt auch das Klingelsignal nicht an. Mit Beamten des Ordnungsamts und mit dem Nachbar, der einen Schlüssel hat, betrat Neub-Adam die Wohnung. Vorgefunden haben die Beamten und sie Heinz B., der völlig kraftlos und fast verhungert auf seinem durchgesessenen Sofa hockte. „Zuerst musste er mit Nahrungsmitteln versorgt werden“, berichtet Neub-Adam. Der PZ-Hilfsverein „Menschen in Not“ half mit Aldi-Gutscheinen für die Erstversorgung. Ebenso hat der Verein die Wieder-Inbetriebnahme des Gaszählers und die Stromrechnung bezahlt.

Als nächstes musste der Hausarzt konsultiert werden. „Der letzte Besuch lag aber schon fünf Jahr zurück und man sagte, dass Heinz B. nicht mehr als Patient willkommen sei.“ Kerstin Neub-Adam ließ sich mit dem Senior nicht aufhalten. Sie fuhr mit ihm zur Hausarzt-Praxis und wartete. Die Gesundheitskarte war jedoch abgelaufen. Nach kurzfristiger Rücksprache mit der Krankenkasse klappte es dann doch, und auch der Hausarzt hatte Mitleid. Er versorgte die Amputations-Wunde am Fuß. Ein Rezept für Zusatznahrung stellte er leider nicht aus. Inzwischen ist der Eingriff gut verheilt und Heinz B. legt langsam an Kilos zu.

Im Gespräch wird er zunehmend zugänglich und es gibt Momente, in denen er sogar ein paar Mal lächelt. Dann, wenn er vom VfB erzählt. Da ist er Ehrenmitglied. Unzählige Fotos zieren das Wohnzimmer. Heinz B. mit Guido Buchwald, Heinz B. mit seiner Frau bei einem Mitglieder-Treffen, ein Bild des Kaders der vergangenen Saison und viele Einzelfotos großer Stars. Stoffhund Pinto, einst Liebling seiner Frau, und nach dem VfB-Spieler Roberto Pinto benannt, sitzt mit etwas zu engem VfB-Trikot an der Stelle auf dem Teppich, wo bis vor kurzem der Käfig der Wellensittiche stand. Beim genauen Hinschauen sind Reste der Einstreu zu sehen. Sonst ist bei dem Senior alles tip top aufgeräumt.
„Als ich wieder Strom hatte, ist die Waschmaschine von morgens bis abends gelaufen, damit alles wieder richtig sauber wird“, verrät Heinz B..

Die Erinnerungen an frühere Reisen geben ihm Halt. Ornamente und Bilder aus Ägypten, Fotos von Jamaika und Reggae-Ikone Bob Marley, Stücke aus Thailand oder von Ibiza haben ihre festen Plätze.
Inzwischen kommt zwei Mal täglich der Pflegedienst zur Medikamentengabe und schaut, wie es Heinz B. geht. Der Verein „Hello Nächstenhilfe“ unterstützt den Senior beim Einkaufen.
Und wie konnte das alles passieren? Ein Fehler der Krankenkasse scheint der Grund für die Misere von Heinz B.. Von seinen 1200 Euro Rente hat die Krankenkasse monatlich 600 Euro abgebucht. „Dagegen hätte man Einspruch einlegen müssen“, sagt die Sozialarbeiterin. Das hat aber nie jemand für Heinz B. gemacht. Denn dann hätten auch Wohngeld oder Grundsicherung beantragt werden können.
„Die Kasse hat das einfach über viele Jahre hinweg einbehalten und jetzt, nach der ganzen Misere, einen ersten Teil zurückerstattet“, so Neub-Adam weiter.
Als nächstes besucht noch der Medizinische Dienst den Senior, um den Pflegegrad zu bewerten.

Dann muss die Bank noch ein Pfändungsschutzkonto einrichten. So wird es hoffentlich nicht mehr lange dauern, bis ein großer Wunsch von Heinz B. in Erfüllung geht: Endlich wieder selbst etwas Geld abheben und dann ein Schnitzel mit vielen Beilagen essen und Musik von neuen CDs hören.