
- Nico Roller
Pforzheim. Beim „Zirkus des Horrors“ bleibt einem die Luft weg – aber nicht vor lauter Angst, sondern vor Erstaunen über das, was die 22 Mitwirkenden zwei Stunden lang treiben. Sie spucken Feuer, sie zeigen waghalsige Akrobatik und sie fahren mit Motorrädern durch die Manege. Allerdings gibt es auch Menschen, denen die Veranstaltung ein Dorn im Auge ist. Schon vor der Premiere hatte ein Bürger in einer auch der PZ vorliegenden Mail Oberbürgermeister Peter Boch darum gebeten, „diesem antichristlichen Horrorzirkus gerade in dieser verrückten Zeit mit drohendem Weltkrieg und während der Corona-Zeit den Todesstoß zu verpassen“.
Dabei ist dem Zirkus das Schicksal der Menschen in der Ukraine eigenen Angaben zufolge alles andere als egal. Im PZ-Gespräch erklärt Direktor Joachim Sperlich, dass man kurzfristig noch vier Artisten aus der Ukraine engagiert habe, davon zwei mit Familien. In den kommenden Tagen sollen zwei weitere Frauen dazustoßen.
Und Sperlich sagt, man sei durchaus bereit, noch mehr aufzunehmen, ihnen Arbeit und Unterkunft zu geben. „Das ist einfach eine Verpflichtung für uns.“ Der Direktor betont, in seinem Zirkus gehe es nicht ums Fürchten, sondern um die Unterhaltung, darum, auch in schwierigen Zeiten ein bisschen Spaß zu haben.
Die Menschen in Verlegenheit zu bringen, ist der Job von Clown Andomalius, der genau weiß, wie er dem Publikum die Schamesröte ins Gesicht treibt: indem er Pfeile in Penis-Form verschießt, indem er männlichen Besuchern pinke Hasenohren aufsetzt, indem er Frauen zum Stöhnen bringt und Männer dazu, sich von ihrer Partnerin den Hintern versohlen zu lassen. Er redet gern und viel, die Akrobaten gar nicht. Während sich der Engel Eloa in luftiger Höhe an einem gelben Tuch verausgabt, turnt Rene Sperlich auf einem gefährlich wackelnden Turm aus übereinander gestapelten Stühlen, Handstand inklusive. Mit den Beinen nur in den Schlaufen zweier Seile hängend, zeigt Adele Fame einen Spagat, die „Skating Devils“ rasen mit Rollschuhen durch die Manege, die Mitglieder der Gruppe „Mystery of Ocean“ steigen sich für Handstände gegenseitig auf die Schultern. Mit einer großen Wippe schleudern sich Gesa, Felix und Attila gegenseitig durch die Luft: mal vorwärts, mal rückwärts, aber immer so, dass sie sich gerade so noch auffangen können.
Der Atem stockt
Und dann ist da noch das Todesrad, das aus zwei überdimensionalen, durch eine Querstange verbundenen Ringen besteht. Ringe, die sich ohne Unterlass drehen, immer weiter, immer schneller. Maik und Siegfried Sperlich balancieren auf ihnen, hüpfen, springen Seil und fallen auch mit einem Sack über dem Kopf nicht herunter. Dem Publikum stockt der Atem. Wirklich gruselig ist aber nur einer: Kurt Späth, der Freak, der sich Spritzen in die Haut bohrt, Nägel in die Nase hämmert, eine laufende Bohrmaschine verschluckt und an der Zunge eine Zuschauerin durch die Manege zieht.
Das Publikum ist hin- und hergerissen zwischen Staunen und Ekel. Doch Späth weiß, was er tut: Zum Finale steht er dann des Publikums wieder putzmunter in der Manege und holt sich zusammen mit seinen Kollegen den tosenden Beifall ab.