
Pforzheim. "Ich war entsetzt", erinnert sich Ulrike Lang zurück. Drei Jahre ist es her, dass sie mit ihrem Auto mitten auf der Tiefenbronner Straße anhielt. Vor ihren Augen habe sie "die Folgen eines Massakers" entdeckt: Dutzende Kröten auf der Fahrbahn – teils lebendig, teils tot. Sofort stieg sie aus, trug die Kröten, die noch eine Chance hatten, über die Straße und setzte sie ins Gras.
Es sei viel zu gefährlich gewesen, ohne Warnweste einfach anzuhalten und auszusteigen, habe Gerold Vitzthum sie sofort am Telefon gerügt. Die Nummer des Vorsitzenden des Naturschutzbundes (Nabu) Pforzheim/Enzkreis hatte Lang zurück zu Hause direkt im Internet gesucht. Wie sie den Tieren helfen könne, wollte sie von dem Experten wissen – und seit diesem Tag ist sie ehrenamtliche Helferin bei den Krötensammlungen.
Von Ekel keine Spur
Sechs Retter sind sie, die in Pforzheim am Seehaus und im Mäuerach im Einsatz sind. Von Februar bis April machen sie sich jeden Abend mit Eimern und Taschenlampen auf den Weg zu den Zäunen. Das Ziel der Kröten sind die Gewässer, in denen sie selbst geboren wurden. Jahr für Jahr kehren die erwachsenen Tiere dorthin zurück, um ihre Eier abzulegen. Am Seehaus gibt es eigene dauerhafte Leitsysteme, die den Kröten einen unproblematischen Weg vom Wald zum See garantieren. Steinwände halten die Tiere davon ab, auf die Straße zu hüpfen und in regelmäßigen Abständen gibt es Tunnel, durch die die Kröten unter der Straße hindurch gelangen. Dort, wo die Leitsysteme enden und dennoch Tiere unterwegs sind, hat der Nabu Zäune aufgebaut. Auf diesen liegt der Fokus der Helfer. Sie laufen die Zäune ab, sammeln die Tiere in Eimern und bringen sie auf die andere Straßenseite.

PZ-news begleitet die Helfer bei der Krötensammlung
"Auf keinen Fall sollte man sie direkt in den See setzen, denn es liegt in ihrer Natur, selbst zum Laichgewässer zu laufen", erklärt Lang an diesem Abend. So wenig wie möglich in die Natur eingreifen wollen die Retter. Ulrike Lang trägt Einmal-Handschuhe, um keine Keime an die hoch empfindlichen Tiere weiterzugeben. Ob sie Ekel verspüre, wenn sie die grün-braunen Kröten auf die Hand nehme? "Quatsch, die fühlen sich total weich und zart an, ich liebe es", schwärmt Lang. Magdalena und Max ging es anfangs anders. Die beiden Kinder sind heute mit ihrer Mutter Katrin Ruß und ihren Großeltern bei der Sammelaktion dabei. "Erst kam mir nur ein ‚Ihhh!‘ entgegen, als ich es meinen Enkeln erzählte", sagt Oma Rosemarie Sonntag. Doch bereits nach der ersten Überwindung hätten die Kinder gar nicht mehr aufhören wollen, nach Kröten zu suchen.
Autos töten Kröten auch ohne Berührung
Mehrere Autofahrer rasen an diesem Abend an den großen und kleinen Helfern vorbei – trotz der Tempo 30-Zone während der Krötenwanderungszeit, trotz der neongelb leuchtenden Warnwesten. Kröten müssen dank den Sammlern aber nicht leiden. Helferin Nicole Troll stellt trotzdem klar: "Wer denkt, er sieht die Kröte, weicht aus und rettet sie so, liegt falsch. Fährt man schneller als 30 Stundenkilometer nah an einem Tier vorbei, platzt es durch eine entstehende Druckwelle."
Die ersten Kröten wurden bereits am 23. Februar gesichtet. Sobald es über fünf Grad und mild-feuchtes Wetter hat, werden sie aktiv. Im Dunkeln laufen sie los – wenn es nachts zu kalt wird, graben sie sich im Boden ein und verharren bis zum nächsten Abend. Anfang April sind viele schon auf der Rückwanderung in Richtung Wald. Auf grob 1000 Kröten am Seehaus und etwa 3000 im Mäuerach schätzen die Sammler die Anzahl. Sie notieren minutiös jedes Tier, dass sie einsammeln und vermerken das Geschlecht – weit mehr Männchen als Weibchen sind es. Bereits ein kurzer Blick reicht Ulrike Lang, um zu sagen, worum es sich handelt: Die Männchen sind um einiges kleiner und an ihren schwärzlichen Schwielen am Daumen und den nächsten beiden Fingern gut zu erkennen. Hat ein Männchen noch kein Weibchen gefunden, bemüht es sich, eines durch Quaken anzulocken. Sobald das Männchen ein Weibchen erspäht, versucht es, auf dessen Rücken zu klettern und klammert sich fest.
Dieses Quaken im Ohr begleitet die Retter Abend für Abend erneut auf ihrer Route entlang der Zäune. "An manchen Tagen ist es richtig anstrengend, da sind auch mal 200 Kröten am Zaun", erzählt Nicole Troll. Und doch könnte es kaum entspannender sein. "Da oben sieht man den Großen Wagen am Sternenhimmel, da hinten hört man die Kröten, ansonsten Ruhe und frische Luft – was könnte nach einem vollgepackten Arbeitstag überhaupt entspannender sein?", fragt Ulrike Lang und ergänzt: "Gut für uns und für die Kröten."