
- Lisa Belle
Pforzheim. Es ist, als habe sie die Welt verschluckt, wenn Menschen aus dem Leben fallen und keiner weiß, wohin. Weil sie selbst oder ein anderer es ihnen nimmt, weil ihnen ein Unglück zustößt oder weil sie sich dazu entschieden haben, ein neues zu beginnen.
Früher oder später werden sie vermisst – und damit zur Aufgabe der Polizei. Seit Februar hatte die Kriminalpolizei in Pforzheim nach einem vermissten Mann gesucht, am Montag wurde er tot nahe der Autobahn gefunden. Sein Schicksal ist seither traurige Gewissheit. Doch es gibt auch in Stadt und Region Menschen, die verschwunden und nie wieder aufgetaucht sind. Nicht immer ist es für die Beamten einfach, den Spuren der Vermissten zu folgen. Warum, das erklärt Ulli Conle, Kriminalhauptkommissar und seit 34 Jahren bei der Polizei.
Was sind das für Menschen, die freiwillig verschwinden?
Neben einem Verbrechen oder Suizid müsse auch ein freiwilliges Untertauchen der Verschwundenen in Betracht gezogen werden. Die Zahl der als vermisst gemeldeten Kinder und Jugendlichen ist um das Vierfache höher als die der Erwachsenen, sagt Conle. „Die sind aber meistens im Nu wieder da“, oft handle es sich etwa um Schulschwänzer. Die Masse der Fälle sei nach einem oder zwei Tagen aufgeklärt. Bei Erwachsenen, die ihren Aufenthaltsort schließlich frei wählen könnten, seien es Männer wie Frauen, „die sich ausklinken“. Bis 30 treibe sie häufig „Abenteuerlust oder Streunertum“, um die 50 der Wunsch, nach einem Misserfolg neu anzufangen.
Was können Angehörige tun, wenn sie jemanden vermissen? Neben der Information der Polizei ist es ratsam, bei der Arbeitsstelle, Freunden und Bekannten nachzufragen, aber auch in Krankehäusern.
Welche Möglichkeiten der Suche hat die Polizei?
Das hartnäckige Gerücht, dass die Polizei erst 24 Stunden nach einem Verschwinden tätig wird, ist falsch. Wenn Eigen- oder Fremdgefährdung und damit eine Gefahr für Leib und Leben besteht – bei Kindern und Jugendlichen wir dies immer angenommen – handelt sie sofort. Wichtige Informationen kann die Befragung des Umfelds über den Grund des Verschwindens und mögliche Aufenthaltsorte liefern. Diese überprüft die Kripo dann – „das kann bis ins Ausland gehen“, sagt Conle. Ob sie sofort Suchmaßnahmen einleitet, muss die Polizei von Fall zu Fall entscheiden. Handelt es sich bei den vermissten um Kinder, hilfsbedürftige oder suizidgefährdete Menschen, muss schnell gehandelt werden. Viele Möglichkeiten können zum Einsatz kommen: Suchen in der näheren Umgebung, Information von Taxi- und Busfahrern, Handyortung, Hubschrauber mit Wärmebildkamera, eine Hundertschaft der Polizei samt Hunden oder Tauchern. Nicht immer sind alle sinnvoll. „Ich scheue mich nicht, zur Rettung eines Menschenlebens alles einzusetzen, was die Polizei zur Verfügung hat – aber manches ist einfach nicht zielführend“, sagt Conle. Eine Wärmebildsuche über einer belebten Innenstadt zum Beispiel.
Was, wenn die Suche nicht zum Erfolg führt?
Gibt es keinen Verdacht auf ein Verbrechen, bleibt meist vor allem eines: abwarten. „Vielerorts fehlen Leute, die nie wieder auftauchen“, sagt Conle, „bei denen man nur vermuten kann, dass sie sich das Leben genommen haben, aber wir wissen es nicht sicher.“ Es bleibt die Möglichkeit, die Öffentlichkeit über ein Foto des Vermissten in die Suche einzubeziehen. Die Polizei sichert auch DNA der Vermissten – aus Zahnbürsten, Rasierern oder Tampons–, fordert ärztliche Befunde wie Röntgenbilder an, vermerkt Kleidung und Tätowierungen. All das hilft, um einen Menschen später zweifelsfrei identifizieren zu können. „Wenn wir nichts haben, schmort der Fall in den Akten, bis wir zusätzliche Erkenntnisse haben – und die kommen oft erst mit dem Auffinden eines Skeletts oder einer Leiche.“ Dann werde überprüft, ob es eine Fremdeinwirkung gab.
Wird die Polizei in allen Fällen tätig?
Nein. Schließt die Polizei bei einem Erwachsenen eine Gefahr für Leib oder Leben aus, „lehnen wir eine Vermisstenanzeige auch ab“, sagt Conle. Dann werde die Person nicht zur Fahndung, sondern zur Aufenthaltsbestimmung ausgeschrieben.
Und wenn jemand gar nicht gefunden werden will?
Es gebe Menschen, die untertauchen und gar nicht gefunden werden möchten, sagt der 56-Jährige: „Stichwort Seitensprung“. Man habe auch mal einen vermissten Pforzheimer in Thailand gefunden. Er habe nach einem beruflichen Misserfolg dort ein neues Leben angefangen – und wollte keinen Kontakt zu den Menschen aus seinem früheren. Diese bekämen dann nur die Information, dass der Gesuchte am Leben ist.
Welche Pforzheimer unter 18 Jahren werden vermisst?
Elf Menschen aus den Zuständigkeitsbereich der Pforzheimer Kriminalpolizei sind seit 2007 verschwunden und noch immer vermisst. Drei davon fallen als Minderjährige unter die Zuständigkeit des Hauses des Jugendrechts: eine junge Frau, die der Jugendhilfeeinrichtung Niefernburg den Rücken gekehrt hat, ein junger Mann, der sich nach Österreich aufmachen wollte und ein minderjähriger unbegleiteter Flüchtling. „Es kann sein, der ist mittlerweile in Frankreich oder zurück in seine Heimat – da bekommen wir keine Rückmeldung“, sagt Conle – „eine Karteileiche“.
Und Erwachsene?
Zwei Frauen, die ihren Selbstmord angekündigt hatten und trotz intensiver Suche der Polizei nie gefunden wurden, ein Mann, der von einem Schnorchelausflug in der Südsee nicht zurückkam, eine Seniorin, die ihre Wohnung auflöste und verschwand – „ein Fall mit vielen Unbekannten“, sagt Conle. Ein psychisch auffälliger junger Mann, „ein Streuner“, der sich der gerichtlichen Betreuung entzog sowie ein Obdachloser, der bereits im Vorfeld „wiederholt abgängig“ gewesen sei. Das Auto einer Pforzheimerin, die sich nach einer Meinungsverschiedenheit auf den Weg zu einer Bekannten gemacht hatte, wurde am Rhein gefunden – von ihr selbst fehlt jede Spur. Der jüngste Fall: Eine junge Frau, psychisch auffällig, ohne festen Wohnsitz, verlässt in Bayern einen Zug – und dort verliert sich ihre Spur.
Fünfjährige Inga seit zwei Jahren vermisst
Hubschrauber kreist: Vermisster Mann gefunden
Keine Anhaltspunkte: Suche nach Vermisster vorübergehend eingestellt