
Pforzheim. Fahrpläne, Formulare, oder auch Grußkarten: Wer nicht richtig lesen und schreiben kann, bekommt in allen Bereichen irgendwann Probleme. Vor diesen steht nicht etwa eine vernachlässigbare Minderheit, sondern laut des Kultusministeriums in Stuttgart etwa 800 000 Erwachsene – allein in Baden-Württemberg. Geholfen wird ihnen in landesweit neun Grundbildungszentren. In Pforzheim und dem Enzkreis ist dieses beim Internationalen Bund (IB) angesiedelt. Neben den Betroffenen will das Team nun auch mit Hilfe einer neuen Online-Vortagsreihe jene erreichen, die mit dieser Gruppe zu tun haben – und sie in die Verantwortung nehmen.
Eine wichtige Rolle, erklärt die Regionalleiterin des IB Ostbaden Liane Bley, hätten dabei die Unternehmen. Denn die Mehrheit der Betroffenen sei berufstätig, häufig als Pfleger, Reinigungskräfte oder Bauarbeiter. Deshalb biete der IB auch Grundbildungskurse direkt am Arbeitsplatz an, die bislang für die Unternehmen kostenlos seien. Die Einsicht der Geschäftsleute, so Bley, dass auch ihre Mitarbeiter Hilfe gebrauchen könnten, fehle aber oft. Denn die Betroffenen seien meist mit die fleißigsten und haben ausgeklügelte Systeme entwickelt, um ihre Defizite zu verschleiern. „Doch ohne Unterstützung bleiben diese Menschen über kurz oder lang auf der Strecke“, ist Bley überzeugt. Denn an der mangelnden Grundbildung hänge viel mehr als Lesen und Schreiben. Daher hat der IB seit 2019 in seinen Kursen Menschen nicht nur bei der Alphabetisierung unterstützt, sondern auch für die Themen Gesundheit, Arbeit und Finanzen sensibilisiert.
Neben der reinen Wissensvermittlung gehe es auch um Würde. „Viele haben schlechte Erfahrungen gemacht, sie schämen sich“, weiß Veska Nikolova. Seit März leitet die Pädagogin, die auch Deutsch als Fremdsprache studiert hat, nicht nur die Kurse für Erwachsene, sondern auch die Tandem-Angebote, bei denen Kindern mit ihren Eltern lernen. Viele Grundschüler könnten daheim aufgrund von Analphabetismus in der Familie nicht unterstützt werden. „Wir holen die Eltern mit ins Boot, so lernen beide“, sagt Nikolova. Der Beziehungsaufbau zu den Lernenden sei wichtig, um ihnen die Ängste zu nehmen.
Vernetzen sollen sich Betroffene wie Unterstützer auch bald im Sprachtreff im „Café Carlo“. Ab Ende des Monats, so Bley, solle dort Raum zum Austausch geboten werden. Am 25. November startet dann auch die Online-Reihe mit sechs Vorträgen zum Thema, die sich in erster Linie an Pädagogen, Unternehmer und Ausbilder richtet. Den Auftakt macht Tim-Thilo Fellmer. Der Legastheniker ist Autor und Verleger.
Infos und Anmeldung zu den Vorträgen per E-Mail an michaela.lepp@ib.de oder veska.nikolova@ib.de sowie telefonisch unter (07231) 3861905 oder (07231)3861913.