Bürokratieabbau passt nicht nur deutschen Mentalität, findet PZ-Redakteurin Catherina Arndt.
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Politik
Darum funktioniert Bürokratieabbau in Deutschland nicht

Es ist ein Wunsch, der besonders häufig aus der Wirtschaft zu hören ist: Die überbordende Bürokratie im Land müsse endlich reduziert werden. Wer hat sich nicht schon mit einer Behörde rumgeärgert oder ist Formularen verzweifelt? Doch so sehr wir uns danach sehnen – ein radikaler Bürokratieabbau passt nicht zur deutschen Mentalität. Um das zu erkennen, muss man nur einen Blick in die akkurat gepflegten Kleingärten der Nation oder die endlose Liste von DIN-Normen werfen.

Ein Kommentar von PZ-Redakteurin Catherina Arndt

Die Regierungen von Bund und Ländern hatten sich bereits vor Jahren der Entschlackung von Vorschriften angenommen. Im vergangenen Jahr beschloss der Bundestag gar ein Bürokratieentlastungsgesetz, im Südwesten hat Ministerpräsident Winfried Kretschmann das Projekt zur Chefsache erklärt – die sogenannte Entlastungsallianz hat bereits mehrere Maßnahmen-Pakete auf den Weg gebracht. Bislang ist das für viele im täglichen Leben kaum spürbar. Vielleicht ist das auch besser so. Genauigkeit, Ordnung, Pünktlichkeit – Tugenden, die hierzulande besonders viel wert sind. Merkmale, die zufälligerweise auch unsere Bürokratie ausmachen. Ein radikaler Abbau würde bedeuten, diese Prinzipien infrage zu stellen – und damit auch einen Teil unseres Selbstverständnisses.

Weniger Vorschriften bedeuteten idealerweise zwar auch mehr Freiraum, schnellere Prozesse und einen geringeren Verwaltungsaufwand. Die Folge wäre allerdings ein höherer Ermessensspielraum für Entscheidungsträger. Und der erfordert ein höheres Maß an Vertrauen. Er erfordert eine Akzeptanz dafür, dass bei gleichen Gegebenheiten vielleicht unterschiedliche Entscheidungen gefällt werden. Diese Toleranz liegt in unerreichbarer Ferne: Prozesse sind nicht ohne Grund bis ins letzte Detail durchdacht – jede Ausnahme, jeder Spezialfall und jede potenzielle Lücke will in Deutschland geregelt sein. Diese Gründlichkeit macht Gesetze weniger angreifbar – und deutsche Produkte gelten nicht zuletzt wegen zahlreicher Prüf- und Zulassungsverfahren weltweit als besonders hochwertig.

Man darf aber nicht vergessen: Die Betonung im Kampf gegen die Bürokratie liegt immer auf dem Wort „überbordend“. Ein stilles Eingeständnis, dass Bürokratie an sich nicht das Problem ist – kritisiert werden nur ihre Auswüchse. Aber wo verläuft die Grenze zwischen notwendiger Ordnung und lähmender Überregulierung? Der Wunsch nach weniger Verwaltungsaufwand ist ein frommer. Aber auch der Bürokratieabbau will in Deutschland geregelt werden. Mit standardisierten Prozessen, zentralisierten Plattformen, Modellregionen und Pilotprojekten – wir sind halt, wie wir sind.