
Pforzheim. Seit über zehn Jahren ist der Journalist Sandro Mattioli der Mafia in Deutschland auf der Spur. Er kennt Insider und warnt, die organisierte Kriminalität zu unterschätzen, nur weil es nicht ständig Tote gibt. Der wirtschaftliche Schaden, den zum Beispiel die 'Ndrangheta hinterlasse, sei extrem. Diesem Clan und seiner Ausbreitung in Deutschland widmet Mattioli sein neues Buch „Germafia“, das er am 23. September im PZ-Autorenforum vorstellt. Im Interview gibt der Experte Einblicke.
PZ: Ihr Buch heißt „Germafia – Wie die Mafia Deutschland übernimmt“. Wie tut sie das?
Sandro Mattioli: Die Mafia-Clans in Deutschland dringen im Verborgenen in Unternehmerkreise ein und bauen sich auch ein politisches Netzwerk auf. In Baden-Württemberg gab es in den 90er-Jahren ja den berühmten Fall von Ministerpräsident Günther Oettinger und seiner Freundschaft zum Stuttgarter Pizza-Wirt Mario L., der gerade in Italien zu knapp neun Jahren Haft verurteilt wurde – unter anderem wegen Mitgliedschaft in einem Clan der ’Ndrangheta aus Kalabrien. Und selbst im Bereich Fußball gibt es Hinweise darauf, dass sie sich einschleicht. So gehe ich im Buch der Frage nach, ob ein Mann, der als Fahrer beim FC Bayern angestellt ist und unter anderem Karl Heinz Rummenigge fährt, tatsächlich ein Mafioso ist, wie mehrere Quellen sagen.

Und, beschäftigt der FC Bayern einen Mafiosi?
Das konnte ich nicht zweifelsfrei belegen, weil dieser Mann in Italien nicht auffällig geworden ist und auch in Deutschland nicht kriminell in Erscheinung getreten ist. Aber es sind schon auffällige Verflechtungen. Zum Beispiel haben die Recherchen ergeben, dass eine Ferienanlage in Kalabrien, in der auch Rummenigge schon Urlaub gemacht hat, dem Cousin von Luigi Bonaventura, einem Ex-’Ndrangheta-Boss und Mafia-Kronzeugen, gehört – und dass ebendieser Cousin auch schon beim FC Bayern empfangen wurde.

Sind Sie auf weitere Verflechtungen zwischen Fußball und Mafia gestoßen?
Sicher ist, dass die Mafia in Italien ein großes Interesse am Thema Fußball hat. Da geht es zum Beispiel um Wettbetrug oder Transfergelder. Luigi Bonaventura, mit dem ich seit seinem Ausstieg befreundet bin, hat mir beispielsweise ein Video von seiner Hochzeit gezeigt, da waren mehrere Fußballer anwesend, einer hat später in der Champions League gespielt. Und sein Cousin, der von mehreren Kronzeugen als Mafiamitglied bezeichnet wurde, hat den FC Crotone in seiner Heimat Kalabrien gekauft, um den Verein wieder groß zu machen. Aus den Fanbereichen bei Juventus Turin oder Inter Mailand sind Mafia-Infiltrationen bekannt. Das beschränkt sich längst nicht mehr nur auf Süditalien.
In Ihrem Buch widmen Sie sich hauptsächlich der kalabrischen ’Ndrangheta. Ist das aktuell die wichtigste Gruppierung der Mafia in Deutschland?
Definitiv. Was die italienische Mafia anbelangt, gibt es vier große Organisationen. Das ist vorneweg die ’Ndrangheta aus Kalabrien. Dann ist es die Cosa Nostra aus Sizilien, die Camorra aus dem Raum um Neapel und die Sacra Corona Unita, die aber eine nachrangige Rolle spielt. Offiziellen Zahlen zufolge gibt es gut 1000 Mafia-Mitglieder in Deutschland – doppelt so viele wie noch vor zehn Jahren – und mehr als 500 davon gehören demnach zur ’Ndrangheta. Auch global gehört die ’Ndrangheta zu einer der wichtigsten und mächtigsten kriminellen Organisationen – es ist gesichert, dass sie auf allen Kontinenten und in mindestens 17 europäischen Staaten aktiv ist.
Bei Mafia denkt man klassischerweise an Drogen, Waffen, Falschgeld – Sie sagen, zu den kriminellen Geschäftsfeldern gehören heute auch Immobilien, Müllentsorgung, Bauwirtschaft, Wind- und Solarparks. Hat die Öffentlichkeit ein falsches Bild von den Aktivitäten der Mafia?
Ja und nein. Es gibt natürlich noch Drogen- und Waffenhandel, Produktfälschungen oder Schutzgelderpressung – auch wenn heute eher keiner mehr mit der Pistole vorbeikommt, um Geld abzuholen. Es ist eher so, dass zum Beispiel Gastwirten bestimmte Produkte – Wein oder Lebensmittel – mit einem gewissen Nachdruck zu überhöhten Preisen verkauft werden. Im Buch schildere ich das Beispiel einer Windelfabrik in der brandenburgischen Provinz, die als Joint Venture für die italienische Mafia und russische organisierte Kriminalität diente und in die Gelder aus Dubai geflossen sind. Vermutlich besitzt die 'Ndrangheta inzwischen sogar eine eigene Bank. Da haben wir aus meiner Sicht eine offene Flanke.

Von was für einem Umfang sprechen wir beim Geschäftsvolumen?
Es gibt Schätzungen, was den Umsatz der 'Ndrangheta anbelangt, die reichen von 30 bis 200 Milliarden Euro jährlich. Sie hat aus Jahrzehnten des Drogenhandels extreme Geldmengen angehäuft. Ziel ist nun, das kriminelle Geld in den legalen Wirtschaftsbereich oder auch in deutsche Immobilien zu bekommen. Dabei agiert sie sehr unauffällig, sehr unternehmerisch. Es ist nicht so, dass sie laufend irgendwelche Leute umbringt. Weil die Gewalt nur selten öffentlich sichtbar wird, ist aber auch der Ermittlungsdruck in Deutschland nicht so hoch, wie er sein müsste.
Haben die Institutionen in Deutschland die nötigen rechtlichen Mittel, um die Mafia effektiv zu bekämpfen?
Wenn wir die Gesetze konsequent anwenden, geht schon einiges. Aber Paragraf 129 im Strafgesetzbuch, der die Mitgliedschaft in einer kriminellen Vereinigung bestraft, wird eben so gut wie nie angewendet. Es gibt genau ein Urteil auf dieser Basis gegen einen Mafiosi, das 2021 in Konstanz gefällt wurde. Auch was die Vermögensabschöpfung anbelangt, haben wir in Deutschland erhebliche Probleme. In Italien ist das leichter. Da muss im Zweifel ein Verdächtiger erklären, dass er sein Vermögen nicht kriminell angehäuft hat – sonst wird es einfach beschlagnahmt.

Sie schreiben, die Mafia macht Geld zur Waffe…
Ja, das ist keine Waffe, die gezündet wird und dann spritzt Blut – sondern das ist eine Waffe, die Konkurrenten aus dem Weg räumt, ohne sie umzubringen. Wenn ich eine Gaststätte habe und nur einen Teil meines Erlöses erwirtschaften muss, weil der andere Teil aus irgendwelchen kriminellen Geschäften kommt, dann kann ich günstigere Preise anbieten und dann kommen die Leute natürlich zu mir und die Konkurrenz, die ehrlich arbeitet, hat das Nachsehen. Und so ist das im Grunde auch bei anderen Unternehmensbereichen, etwa in der Bauwirtschaft, wo Konkurrenten unterboten und riesige Aufträge an Land gezogen werden.
Sind Mafiosi überhaupt noch zu kriegen, wenn das Geld erst mal gewaschen ist?
Das ist schwierig. Da braucht es eine international funktionierende Zusammenarbeit der Strafverfolger und Kronzeugen. Das Fußvolk, das zum Beispiel den Drogenhandel organisiert, kriegt man sicher einfacher.
Bekannt ist, dass die Mafia im Südwesten seit jeher ziemlich aktiv ist – ist Ihnen bei Ihren aktuellen Recherchen speziell Pforzheim über den Weg gelaufen?
Tatsächlich führen die Spuren von den Ermittlungen zur Winkelfabrik in Brandenburg auch nach Pforzheim und Karlsruhe. Das ist auch in italienischen Akten vermerkt. Und ich habe früher auch schon recherchiert zu einigen Personen, die sich in Pforzheim aufhalten und im Mafiaumfeld aktiv sind.
Wie muss man sich das vorstellen, wenn Mafia-Vertreter vor Ort zusammenkommen – passiert das ganz klischeemäßig beim Inter-Fanclub oder in irgendeiner Pizzeria?
Ja, der Kern ist relativ archaisch, also es gibt die Treffen in Hinterzimmern. Bei einem Locale – also der örtlichen Mafia-Vereinigung – ist das im Grunde wie bei einem traditionellen Verein mit einem Schriftführer, dem Vorsitzenden und dem Kassier. Bloß gibt es da dann halt auch noch eine Person, die für die Planung von kriminellen Aktivitäten zuständig ist. Aber wenn irgendwelche wichtigen Entscheidungen anstehen, dann ist Italien mit im Spiel. Dann fährt da jemand runter und holt Erkundigungen ein.
Die Machtzentrale der ’Ndrangheta sitzt also immer noch in Kalabrien?
Es gab einmal den Versuch eines Mannes, in Norditalien ein neues Machtzentrum zu etablieren. Er hat diese diesen Versuch nicht überlebt. Die ’Ndrangheta besteht ja aus vielen verschiedenen Clans, und diese Clans sind wiederum in Locale unterteilt. Ganz oben gibt es eine Art Koordinierungsgremium, damit es nicht allzu viel Blutvergießen und Reibereien gibt. Und das ist das eigentliche Machtzentrum.

In vielen Filmen wird die Mafia schon fast verherrlicht. Die Bosse werden oft sehr charismatisch dargestellt. Sie haben ja auch schon Menschen aus der Organisation kennengelernt. Hatten Sie jemals Angst, ihrem Charme zu erliegen?
Nein, das kann ich entschieden zurückweisen. Auch weil mir immer bewusst ist, dass sie Teil einer Organisation sind, die extrem viel Leid geschaffen und viele unschuldige Menschen getötet hat.Aber es gibt einen wahren Kern: Die Mafia schlägt ihr Kapital vor allem aus Beziehungen. Und um die aufzubauen, braucht es Leute, die tatsächlich charismatisch sind und und sehr gut darin sind, Kontakte zu pflegen. Auch der Mario L. ist ja ein sehr charismatischer, umgänglicher, freundlicher Typ. Und trotzdem ist er zugleich Mafioso und Teil eines ’Ndrangheta-Clans.
Und wie war das mit Luigi Bonaventura, mit dem sie seit seinem Ausstieg vor 13 Jahren befreundet sind?
Auch bei ihm habe ich mich am Anfang immer gefragt: Was will dieser Mensch jetzt von mir? Stimmt das, was er mir sagt? Er hat Morde begangen und in Auftrag gegeben. Das ist ein sehr komisches Gefühl, wenn man vor einem Mörder steht, zugleich aber den Menschen auch irgendwie sympathisch findet. Da gerät die Vorstellung von Gut und Böse ganz schön durcheinander, wenn da auf einmal jemand ist, der Täter, aber auch Opfer des Systems ist, aus dem er raus will.
Sind Sie seitens der Mafia schon einmal konkret bedroht worden?
Ich weiß, dass ich dort unter Beobachtung bin. Und es gab auch schon Einschüchterungs- oder Bedrohungsversuche. Das ist aber ein Stück weit auch leider Normalität, wenn man zu dem Thema arbeitet.
Da bleibt also nur, darauf zu bauen, dass die Mafia hierzulande nicht durch Gewalttaten auffallen will…
Genau so ist es, ja. Aber man weiß nie, ob das so bleibt oder ob das nicht auch irgendwann kippen kann. Das ist das Beunruhigende. Aber ich bin überzeugt von dem, was ich mache – und ich weiß, dass es wichtig ist, weil ich einfach sehe, dass wir hier in Deutschland eine Gefahr haben, die nicht entsprechend wahrgenommen wird. Wenn ich mich einschüchtern lassen würde, hätten sie ihr Ziel erreicht.
Und ein ganz wichtiger Faktor: Ich bin ja nicht allein. Ich bin vielleicht als Autor von dem Buch allein, aber ich bin auch Vorsitzender des Vereins „Mafianeindanke“ mit fast 250 Mitgliedern, die in der Sache genauso kämpfen.
Am Montag, 23. September, um 19 Uhr stellt Sandro mattioli sein neues Buch „Germafia – Wie die Mafia Deutschland üebrnimmt“ im PZ-Forum vor. Karten (10,50 Euro/mit PZ-Abo-Card 6,50 Euro) sind erhältlich bei der PZ (Poststraße 5) unter (0 72 31) 93 31 25 oder unter www.pz-forum.de.
