Philosoph Wilhelm Schmid kommt am 5. November ins PZ-Forum.
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Politik
PZ-Forumsreferent und Philosoph Wilhelm Schmid zu Gesprächsthemen mit Rechten: „Na, die müssen ja auch aufs Klo gehen“

Pforzheim. Weil jeder nur noch auf sich und seine Bedürfnisse schaut, geht der gesellschaftliche Zusammenhalt flöten, sagt Prof. Dr. Wilhelm Schmid. Am 5. November kommt der Philosoph ins PZ-Forum. Im Interview macht er sich stark dafür, nach allen Seiten für Gespräche offen zu sein, damit die Menschen wieder in der Mitte zusammenfinden können. Besonders optimistisch ist er aber nicht. Am Mittwoch, 5. November, um 19 Uhr geht Prof. Dr. Wilhelm Schmid dann im PZ-Forum der Frage nach „Was hält die Gesellschaft zusammen?“.

In Ihrem neuen Buch machen Sie sich auf „Die Suche nach Zusammenhalt“ – was ist denn der Kitt unserer Gesellschaft?

Prof. Dr. Wilhelm Schmid: Die Verlässlichkeit.

Und die ist Ihrer Ansicht nach verloren gegangen? Wer oder was ist schuld daran?

Die Deutsche Bahn hat angefangen und seither zieht es sich durch die ganze Gesellschaft. Keine Verlässlichkeit mehr. Wenn ich an eine Behörde schreibe, kann nicht mehr damit rechnen, dass in überschaubarer Zeit eine Antwort kommt. Wenn ich über eine Brücke fahre, kann ich mich nicht mehr darauf verlassen, dass sie nicht einstürzt. Und was das Zwischenmenschliche angeht, genau dasselbe. Ich erlebe es immer häufiger, dass Verabredungen nicht mehr eingehalten werden. Schon gar nicht pünktlich.

Und deshalb geht der Zusammenhalt in der Gesellschaft verloren?

Es gibt keinen Sinn mehr dafür, Dinge mittel- und längerfristig am laufen zu halten. Das gilt genauso für Beziehungen – sie kommen und gehen. Viele Menschen klagen dann über Einsamkeit. Aber es tut kaum jemand was dafür, der Einsamkeit zu entgehen, etwa durch die Pflege von Beziehungen.

Winterwetter in Niedersachsen
Verspätungen wohin man blickt: Verlässlichkeit sei der Kitt der Gesellschaft, sagt Wilhelm Schmid. Der sei verloren gegangen – und schuld daran sei unter anderem die Bahn.
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Blicken wir auf Deutschland: Die Polarisierung nimmt zu. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?

Das beunruhigt mich sehr, weil ich bemerke, dass es zu viele in der Gesellschaft gibt, die gar kein Interesse am Zusammenhalt haben – und zwar von rechts wie von links. Immer schön auf die Tube drücken, nach dem Motto: Der andere Teil soll mal verschwinden aus der Gesellschaft. Das ist doch keine Basis, liebe Leute.

Wie könnte man die demokratische Mitte dann wieder stärken?

Ich zögere, darauf zu antworten, denn ich kriege Ohrfeigen dafür, wenn ich sage: Leute, lasst das Gespräch nicht abreißen. Dann heißt es: Gespräch mit denen? Niemals!

Sie spielen auf die AfD an. Bei der sind Sie jüngst als Vortragsredner gelandet und haben danach gesagt, Sie würden es wieder tun. Das ist Ihnen öffentlich ganz schön um die Ohren geflogen…

Ja, genau. Weil sich niemand für das Ganze interessiert. Das war keine AfD-Veranstaltung. Ich wusste nichts davon. Ich betrachte die AfD als politischen Gegner. Ich habe nicht die geringsten Sympathien. Ich habe mich einem Saal voller hasserfüllter Gesichter gegenüber gesehen, und habe dann gemerkt, hier stimmt was nicht. Aber ich habe mich nicht entzogen. Ich habe das Gespräch gesucht, weil ich als Philosoph darauf vertraue, dass selbst dann, wenn Menschen im Moment etwas ablehnen, dann doch damit nach Hause gehen und vielleicht einen kleinen Moment der Besinnung einlegen.

Sie distanzieren sich von den Aussagen der Rechtsgesinnten dort. Sie sagen aber auch, Sie hätten Gemeinsamkeiten entdeckt. Welche?

Na, die müssen ja auch aufs Klo gehen.

Und das war die einzige Gemeinsamkeit? Ich dachte da jetzt eher an inhaltliche oder gedankliche Gemeinsamkeiten…

Nee, erst mal interessieren mich die menschlichen Gemeinsamkeiten. Alle Menschen müssen aufs Klo gehen. Alle Menschen haben Beziehungsschwierigkeiten. Alle Menschen sind daran interessiert, was zu essen. Warum nicht erst mal sich über solche Dinge unterhalten? Warum müssen wir denn mit dem anfangen, wo wir nicht zusammenkommen?

Sie strecken die Hand aus – aber dass sich Extreme durch Einbindung nicht in die politische Mitte zurückholen lassen, hat die Geschichte mehrfach gezeigt…

Ja, dann schließen wir sie halt aus der Gesellschaft aus. Wohin tun wir sie denn? Nach Moskau?

Haben Sie ein Patentrezept, um Rechtsextreme zu überzeugen, dass sie auf einem Weg sind, der einer gesunden Gesellschaft nicht zuträglich ist?

Redet nicht als Erstes über politische Fragen, redet als Erstes über das Leben. Die haben Ängste, genauso wie unsereiner auch. Die haben Erwartungen. Ich konnte einigen Gesprächen entnehmen, dass bei diesen Leuten offenbar der Glaube an das Glück sehr stark verbreitet ist. Dann kommt die Frage: Wer hält mich ab vom Glück? Und dann kommt die Antwort: Die Fremden, die Linken, die ganze Gesellschaft, der ganze Staat. So einfach ist die Welt für die. Wenn ich das verstehe, dann kann ich besser darauf antworten. Dann kann ich darüber reden: Bist du denn überzeugt, dass es im Leben wirklich um Glück geht? Wer hat dir das eingeredet?

Wenn nicht um Glück, um was sollte es dann im Leben gehen?

Das Leben zu bewältigen. Und das geht nicht immer mit Glück. Keine Beziehung kann darauf gründen, dass man mittel- und längerfristig 24 Stunden am Tag glücklich ist. Das ist eine vollkommen übertriebene Erwartung. Aber diese Erwartung ist in der Gesellschaft sehr virulent. Bei diesen Leuten aber in besonderem Maße.

Sie waren zuletzt auf Weltreise, haben Eindrücke gesammelt. Was hält die Menschen in anderen Ländern zusammen?

Nehmen Sie Argentinien. Dort heißt es: Die Malvinas, also die unter britischer Herrschaft stehenden Falklandinseln, sind unser. Allein das scheint die Gesellschaft zusammenzuhalten. Da sind alle Gesprächspartner einer Meinung.

Was wäre ein Thema, das Deutschland einen könnte?

Helgoland ist unser? Nein, für uns wäre es eine gute Basis, zu sagen: Es ist gut, dass Deutschland in der Mitte Europas liegt. Wir wollen nicht, dass Deutschland eine Region in der Nähe von Moskau wird.

Rechte Demonstration in Marzahn
Unversöhnlich stehen sich Rechte und Linke gegenüber – dabei gibt es jenseits der Politik durchaus Gemeinsamkeiten. An die müsse man anknüpfen, wolle man den Zusammenhalt der Gesellschaft wieder stärken, sagt Philosoph Wilhelm Schmid.
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Sie haben auch gesagt: Viele wollen gesehen und verstanden werden, aber nicht mehr sehen und verstehen. Ist das auch ein Seitenhieb auf Social Media?

Das ist eher ein Befund, dass die Selbstliebe für viele Menschen die Oberhand gewonnen hat. Da findet ein unglaublicher Narzissmus statt.

Wie kann man lernen, sich selbst nicht so wichtig zu nehmen und andere wieder zu sehen?

Leider nur durch Erfahrung. Wenn es einem schlecht geht, dann wird jedem klar, wie wichtig es ist, zur rechten Zeit auf andere Menschen zugehen, damit sie bereit sind, in einer schwierigen Zeit auch für mich da zu sein.

Leiden Sie im Alltag unter dieser allgemeingesellschaftlichen Gefühlslage?

Momentan schon ein bisschen, ja. Ich dachte, das Interesse daran, die Gesellschaft zusammenzuhalten, wäre größer. Aber ich muss konstatieren, dass das von links und rechts nicht gewünscht wird.

Wer könnte das Ruder herumreißen – die Politiker und Parteien?

Das hat mit Parteien nichts zu tun. Jeder einzelne Bürger und jede Bürgerin hat das in der Hand. Ich muss nicht danach fragen: Was machen andere? Ich muss als Erstes fragen: Was mache ich konkret? Aus der Einsicht heraus: Ich kann nicht allein leben. Mir ist klar, das Leben in Gesellschaft ist schwierig, weil es unterschiedliche Meinungen und Interessen gibt. Aber es ist auch schön. Zu wissen, es gibt andere, die sind für mich da und die Gesellschaft ist nicht gleichgültig mir gegenüber.

Zu erkennen, „Es liegt an mir, ich muss mich ändern“, ist ja eher unangenehm und mühsam. Glauben Sie da überhaupt dran, dass sich gesamtgesellschaftlich noch mal irgendwas verbessern wird?

Momentan habe ich nicht viel Hoffnung.

Und wo würde das im schlimmsten Fall hinführen?

Zum Bürgerkrieg.

Das ist für Sie eine reale Bedrohung in Deutschland?

Ja.

Ausstellung über Selbstbildnisse
Selbstverliebt: Das „Ich“ stehe heute im Mittelpunkt, sagt Philosoph Wilhelm Schmid. Es gehe darum, gesehen zu werden – gleichzeitig seien viele nicht mehr bereit, andere und ihre Bedürfnisse zu sehen.
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Zur Person

Wilhelm Schmid, geboren 1953, lebt als freier Philosoph in Berlin. Sein Schwerpunkt ist die Philosophie der Lebenskunst. Er beschäftigt sich auch in seinen Büchern mit der Suche nach Sinn, Glück, Liebe oder Zusammenhalt („Ich und Wir: Vom schönen und schwierigen Leben in Gesellschaft“, Suhrkamp 2025). Bekannt ist er als Experte aus TV-Sendungen wie „Nachtcafé“ oder „Das Philosophische Quartett“. Viele Jahre lehrte der mehrfach ausgezeichnete Schmid Philosophie an der Universität Erfurt. Er war Gastdozent in Lettland und Georgien sowie philosophischer Seelsorger an einer Schweizer Klinik.

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