Sind Ost und West zusammengewachsen?
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Politik
Tag der Deutschen Einheit: Sind Ost und West zusammengewachsen?

1990 sind Ost- und Westdeutschland zu einem deutschen Staat zusammengewachsen mit gemeinsamen Institutionen, Gesetzen und einer gemeinsamen Regierung. UNd noch heute feiern wir am 3.Oktober den Tag der Deutschen Einheit. Aber sind Ost und West wirklich zusammengewachsen? Zwei PZ-Redakteurinnen sind unterschiedlicher Meinung.

Pro: Marion Dühnen, PZ-Redaktionsmitglied

1990 sind Ost- und Westdeutschland zu einem deutschen Staat zusammengewachsen mit gemeinsamen Institutionen, Gesetzen und einer gemeinsamen Regierung. So viel steht fest. Identisch sind diese Landesteile zwar nicht – das müssen sie aber auch gar nicht sein. Natürlich gibt es Unterschiede, die allerdings immer kleiner werden. Gregor Gysi sagte 2022, es gehöre zu den größten Irrtümern seiner politischen Karriere, dass auch er dachte: Das ist in einer Generation erledigt. Bayern trat 1871 dem Deutschen Kaiserreich bei und auch nach mehr als 150 Jahren gibt es noch eine starke bayerische Eigenidentität. Daran stört sich auch niemand. Ja, der Osten ist immer noch ärmer als der Westen, was vor allem mit den Folgen des Kommunismus zu tun hat. Auch deshalb sind die Menschen politisch unzufriedener. Ansonsten sind Ost und West kulturell längst verflochten. Entgegen der Befürchtungen hat sich keine zweite deutsche Sprache entwickelt und gemeinsame Arbeits- und Lebensweisen oder Konsumgewohnheiten zeigen, dass die Teilung im Alltag kaum noch eine Rolle spielt.

Umfrage der Woche: Sind Ost und West zusammengewachsen?

Kontra: Lisa Scharf, PZ-Redakteurin

Die Zahlen sprechen eine eindeutige Sprache: Die Mehrheit der Deutschen hat auch nach 35 Jahren nicht das Gefühl, Teil eines geeinten Volks zu sein. 61 Prozent aller Bundesbürger sehen mehr Trennendes als Einendes, unter den Ostdeutschen sagen das sogar 75 Prozent. Das ist traurig, das ist erschreckend – aber es ist nun mal die Realität. Dabei ist es ja nicht so, dass sich nichts getan hätte seit der Wende. Auch diese Zahlen gibt es: Lohnniveau, Rentenniveau, Lebenserwartung – in all diesen Bereichen gleichen sich Ost und West immer weiter an oder sind sogar schon fast auf einem Niveau. Das sind Erfolge, zweifellos. Sie können und dürfen aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Entfremdung zwischen Ost und West wächst. Dass sich im Osten mehr Menschen abgehängt fühlen, dass dort die Unzufriedenheit mit der Demokratie größer ist – das ist sozialer Sprengstoff für die bundesdeutsche Gesellschaft. Faktisch mögen sich Ost und West also angleichen, von einem wirklich geeinten Deutschland entfernen wir uns aber immer weiter.

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