
Bei einer Rede im Rahmen der Wiedereröffnung der Synagoge in der Reichenbachstraße wirkte Merz tief bewegt, insbesondere als er über den Holocaust sprach. Seine Stimme brach, er machte Pausen und zeigte sichtbar, wie stark ihn dieses Thema berührt. Doch zeigt der Kanzler zu viele Emotionen? Diese Meinung haben zwei PZ-Redakteure.
Pro: Lisa Scharf, PZ-Redakteurin
Um eines gleich mal klarzustellen: Es geht hier nicht darum, irgendjemandem das Weinen zu verbieten. Im Gegenteil. Dass Friedrich Merz bei der Wiedereröffnung der Synagoge in München die Stimme stockte und ihm die Tränen kamen, war zutiefst menschlich. Es machte ihn nahbar. Etwas, das der Kanzler dringend nötig hat. Sein Problem ist nämlich nicht ehrliche Rührung – sondern seine Hitzköpfigkeit. Die verleitet ihn regelmäßig zu verbalen Ausfällen („Sozialtourismus“, „kleine Paschas“). Aber nicht nur das – er lässt sich auch politisch von seinen Empfindungen treiben. Die gemeinsame Abstimmung mit der AfD im Bundestag im Januar hat er in einer emotionalen Reaktion auf das Attentat von Aschaffenburg angezettelt. Wäre Friedrich Merz eine Frau, würde man ihn wohl hysterisch nennen.
Immerhin: Seit er vom Oppositionsführer zum Bundeskanzler befördert wurde, tritt der Sauerländer deutlich gemäßigter auf. Von diesem Merz darf er gerne mehr zeigen – Tränen inklusive.
Kontra: Ralf Kohler, PZ-Redakteur
Einige sprechen Friedrich Merz Empathie ab, und all die sollten ihre Meinung nun revidieren. Dieser vermeintlich kalte Typ, dem zuletzt vorgehalten wurde, auf Kosten der Bürgergeld-Empfänger sparen zu wollen, hat nun auf eindrucksvolle Weise eine andere Seite gezeigt. Vermutlich beschlichen den Kanzler während ihm bei seiner Rede zur Wiedereröffnung der Münchner Synagoge die Tränen kamen, genau wegen dieses Umstands sogar gemischte Gefühle: Gerade für jemanden in seiner Position ist es nicht angenehm, öffentlich um Kontrolle ringen zu müssen.
Ganz wichtig: Das Weinen des Kanzlers war nicht kalkuliert, sondern spontan – zu 100 Prozent authentisch. Zudem hat Merz nicht wegen irgendeiner Nichtigkeit losgeheult. Ihm kamen die Tränen, als es um Leid, Tod, Schuld, Zerstörung, Neuanfang und quälende Fragen ging!
Merz ist offenbar jemand, der Themen nicht nur oberflächlich betrachtet, sondern dessen Gedanken in die Tiefe gehen: Dem Land mit allerlei politischen und gesellschaftlichen Herausforderungen wird er damit guttun.