

Gedichtband „Trauerjahre“ von Selda Falke: Schmerzliches Erinnern an Verlorenes und Ungesagtes
Neuenbürg. Selda Falke war wohl das, was man ein eigensinniges Kind nennt, voll mit jener Energie, die Träume gegen alle Widerstände verwirklicht. Als Schauspielerin unter ihrem Künstlernamen Selda Vogelsang konnte man ihre mitreißende Präsenz von 2008 bis 2015 auf der Bühne des Theaters Pforzheim erleben. Im Interview in ihrem Haus in Neuenbürg mit Blick aufs Schloss und den Schornstein der Pektinfabrik mutet sie wie ein Energiebündel an, das nichts aufhalten kann. Und doch gab es da einen Moment, der die Powerfrau komplett aus der Bahn geworfen hat und dem sie nun mit Gedichten in ihrem Buch „Trauerjahre – Über Liebe, Tod und Weiterleben“ gegenübertritt.
Die große türkische Schwester
Die 1979 in Mühlacker geborene, seit fünf Jahren in Neuenbürg lebende Selda Falke kommt aus einer türkischen Familie: „Da ist es üblich, dass die älteste Schwester Verantwortung für die jüngeren Geschwister übernimmt.“ Doch was die vier Jahre ältere Selen mit Selda verflochten hat, war so viel mehr als nur geschwisterliche Bande. Mutmacher und Zuflucht, Vertraute und Mahnerin, Kumpel und Förderin – Selda Falke hat ihrer Schwester so viel zu verdanken. Sie sollte daher die Patin ihres ersten Kindes werden. Doch vier Tage vor der Geburt stirbt ihre Schwester.
Ein Leben lang litt sie unter ihrer Sichelzellenanämie und heftigen Schmerzkrisen. Aber nie entließ sie Selda Falke aus ihrer Obhut. Selen ging zu ihren Elternabenden in der Schule, bot ihr Unterschlupf und finanzielle Hilfe, als die rebellische kleine Schwester mit 17 Jahren das Elternhaus verließ, um ihren eigenen Weg zu gehen.
Tiefschlag vier Tage vor der Geburt des ersten Kindes
Als Selda Falke ihren Beruf und ihre erste Ehe aufgab, um spontan auf die Schauspielschule in Stuttgart zu gehen, gab es Zoff mit ihrer Schwester. Aber: „Für mich taten sich plötzlich neue Räume auf“, sagt die Neuenbürgerin. Sie wurde erst wieder eins mit Selen, als die große Schwester im Publikum saß und Selda Vogelsang auf der Bühne erlebte. „Sie hat gesehen, was das Theater mit mir macht, dass es mich viel reifer werden lässt und dass es irgendwie eine Heimat für mich ist.“ Selen war wieder die Verständnisvolle, die stets Präsente.
Ihr Tod im Jahr 2013 kam nicht unerwartet, bedingt die Krankheit doch eine verminderte Lebenserwartung, aber dass Selen nicht mehr Patin wurde, war so kurz vor der Geburt nicht abzusehen. „Das war ein Tiefschlag. Ich war nach der Geburt sehr krank, konnte nicht mehr aufstehen“, erinnert sich Selda Falke, die sich ein ganzes Jahr lang wie gelähmt fühlte.
Gedichte gegen die Dunkelheit
2016 starb ihre Mutter an Krebs. Die Neuenbürgerin konnte sie in ihren letzten Lebensmoment begleiten und diesen Tod als sanftes Naturereignis, als Loslassen erleben. Im Jahr darauf starb ihr Vater. „Er hatte sich nach dem Tod meiner Mutter komplett aufgegeben“, so Selda Falke. Der Patriarch hatte der Rebellin das Leben oft schwer gemacht und doch erlebte sie seinen Tod als einen Schock, als den „Abgang des Letzten der Großen“.
Aus dem tiefen seelischen Loch herausgeholfen haben ihr die Gedichte, die sie wie Briefe an Verstorbene oder an einen das Leben nehmenden Gott formuliert, die wie eine Bilanz von verlorener Liebe oder verpassten Geständnissen wirken, wie ein letzter Gruß oder ein schmerzliches Erinnern an zu Lebzeiten Ungesagtes. Über 300 Gedichte hat sie geschrieben, Strophen, aus denen anfangs nur die lähmende Dunkelheit der Trauer spricht, zuletzt auch Verse, in denen man erste Schritte ins Licht herauslesen kann. Und sie weiß: „Durch die Trauer muss man alleine durch.“

126 Seiten mit Gedichten und Fotografien
Im Buch „Trauerjahre – Über Liebe, Tod und Weiterleben“ der Neuenbürgerin Selda Falke findet man auf 126 Seiten neben den Gedichten der Autorin auch 50 Fotos von Andreas Falke und Martina Bäurle. Es liegt zum Preis von 17,90 Euro bei der Buchhandlung „Thalia“ in Pforzheim aus.
Lesung mit Orgelmatinée am 24. November
Ihre Gedichte hören und Selda Falke live erleben kann man am Sonntag, 24. November, um 11 Uhr bei einer Orgel-Matinée mit Lesung in der evangelischen Stadtkirche Neuenbürg. Sie liest dort aus ihrem Buch „Trauerjahre“, klassische Musik spielen Jerzy Andrzejewski (Violine) und Bernhard Müller (Orgel).
Selda Falke singt ihr vertontes Gedicht "Ich bin dein Clown"
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Leerer Morgen
Ein Gedicht von Selda Falke aus ihrem Buch „Trauerjahre“
In die Dunkelheit versunken, kraftlos und müde, wie betrunken, Farben fehlen. Mag der Morgen doch kommen. Mag er noch so schön sein und bezaubernd. Ich sehe ihn nicht.
Wenn keine Wiese mehr grünt, wenn keine Blüte mehr Blüte ist in meinem Blick – Dann ist es egal, ob der Sommer nochmal kommt, ob Hunde bellen oder Drachen den Himmel schmücken.
Wenn Heu nicht mehr duftet, wenn mich nichts mehr berührt, wenn nichts mehr zurückfunkelt – Der Moment ist leer. Mein Morgen wird leer sein. Ebenso wie mein Gestern. Ich hänge an nichts mehr.
Was für eine Verschwendung! Vergeudet, die Luft, die ich atme. Ich, die nichts zu schätzen vermag. Ich, die weder Dank kennt noch Güte, noch Glück.
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