Im Impfeinsatz ist der renommierte Orthopäde Dr. Ludwig Bös ständig – hier am Freitag in Birkenfelds Schwarzwaldhalle. Der Mann spricht aus Erfahrung. Fotos: Moritz
Region
Impfungen laufen nur schleppend – die Mängelliste eines Arztes aus der Region

Enzkreis/Pforzheim. Dr. Ludwig Bös aus Neulingen engagiert sich in den regionalen Impfzentren. Der Mitbegründer der Pforzheimer Arcus-Klinik hat mit seiner langjährigen medizinischen Erfahrung eine klare Vorstellung davon, warum der bundesweite Corona-Kampf schleppend gestartet ist.

Schnelles Impfen ist die stärkste Waffe gegen die Pandemie: Davon ist auch Dr. Ludwig Bös überzeugt. Der 67-jährige Orthopädie-Experte ist seit vier Jahren raus aus dem Berufsleben, ist als Mediziner derzeit umso aktiver in Impfzentren und -teams. Und er erlebt Terminfrust, chaotische politische Kommunikation, Datenschutz, der pragmatische Lösungen erschwert, und viel Bürokratie, die medizinischem Personal, den Verwaltungen vor Ort und den Impfwilligen aufgehalst wird. Der PZ schildert er die Probleme, wie er sie sieht.

Mangel an Impfstoff

Die Impfkampagne sei bislang geprägt von der Mangelverwaltung, sagt Dr. Ludwig Bös im PZ-Gespräch. „Das ist nun mal so, damit muss man leben.“ Er macht den Verantwortlichen dabei keinen Vorwurf und hält den handelnden Politikern zugute, dass sie „ein europaeinheitliches Vorgehen ohne Vordränglertum“ hätten schaffen wollen. Allerdings seien sie von anderen Staaten wie Israel oder den USA „mit Ellbogenmanier“ rechts überholt worden. So seien die Kapazitäten der Impfzentren wie demjenigen in Mönsheim (KIZ) lange Zeit nur zu einem Bruchteil ausgelastet gewesen. In der vergangenen Woche kam das KIZ erstmals zur halben Auslastung. „Kreisbrandmeister Carsten Sorg sagt mir, man könnte die Kapazitäten hochfahren, sobald genug Impfstoff da sei“, sagt Dr. Bös. Und wenn jetzt wieder über Strukturen diskutiert werde: „Die Zentren funktionieren gut, also sollte man diese Kapazitäten auch ausnutzen.“ Wenn nun Hausärzte und hoffentlich bald auch Betriebs- und Fachärzte mit ihrer Kompetenz eingreifen – umso besser. Doch auch da zeigt sich derzeit die eine, entscheidende Grenze: der Mangel an Impfstoff.

Mangel an Abstimmung

Alle Impfzentren sind Landeseinrichtungen. Trotzdem erlebe er keine koordinierte Zusammenarbeit zwischen ihnen – trotz sporadischer Aushilfen etwa von Mobilen Teams aus Karlsruhe zu Beginn. In der Praxis werde zunächst auf Kreisebene geplant und gearbeitet. Auch in Mönsheim und Pforzheim zum Beispiel, obwohl die Logistikzentralen so nah beieinander seien. Nach der jüngsten Einrichtung der kommunalen Pop-Up-Zentren – Bös war zum Start in Feldrennach und in Birkenfeld persönlich im Einsatz – zeige sich nun ein weiteres Abstimmungsproblem. Nach dem Signal eines Hausarztes, er könne Patienten in der Praxis versorgen, hätten einige ihre vereinbarten Termine im Pop-Up-Zentrum platzen lassen. Auch so etwas bremse das Tempo.

Mangel an Anmeldelogistik

Der PZ schildern Leser immer wieder den Frust, die zentrale Impfterminvergabe des Landes trotz zahlreicher Versuche gar nicht erst zu erreichen. Dr. Bös, der an der privaten Arcus-Klinik ständig mit Fragen der Verbesserung von Strukturen, Abläufen und Prozessen befasst war, versteht nicht, warum nicht mehr Sachverstand aus der Wirtschaft genutzt wird. Sein Gegenbeispiel ist Bremen, das beim Impftempo weit vor Baden-Württemberg rangiert. Dort werden Impfberechtigte von einem stark ausgestatteten Call Center betreut, dessen Personal und Technik von einem Zusammenschluss Bremer Unternehmen gestellt werden. Leute, die sonst in Kurzarbeit wären, arbeiten dort auf Rechnung des Landes – oft Profis für Terminkoordinationen. Rund 120 Mitarbeiter hat das Call Center fürs Land Bremen mit rund 681 000 Einwohnern. Baden-Württemberg hat 11,1 Millionen Einwohnern. Die Zahl der Vollzeitstellen im Call Center, die alleine Termine in Baden-Württemberg vergeben, gibt das Land mit 500 an. Dr. Bös selbst ist durch seinen Einsatz als Impfarzt ohne Call Center an die erste Spritze gekommen. Der Anruf für den Termin der Zweitimpfung sei schnell und zuverlässig gekommen. „Ist man einmal drin im System, funktioniert’s auch“, sagt er. Nur bis man eben drin ist ...

Papierkrieg und Impfalltag: Darüber hat Bös mit dem Geschäftsführenden PZ-Verleger Thomas Satinsky (rechts) und Redakteur Alexander Heilemann (links) gesprochen.

Übermaß an Datenschutz

„Im Kampf gegen die Pandemie müssen derzeit einige Grundrechte eingeschränkt werden – aber ausgerechnet auf den Datenschutz wollen wir nicht verzichten“, sagt Dr. Bös. Auch das schaffe bürokratischen Aufwand. Siehe die jetzt gestarteten kommunalen Vor-Ort-Impfzentren für über 80-Jährige. Städte und Gemeinden mussten das ohne Informationen darüber organisieren, wer aus der Altersgruppe schon geimpft wurde oder schon einen anderen Termin hat. Also mussten die Bürgermeister umständlich alle ansprechen. Eine funktionierende CoronaApp, die wirklich helfen könnte, scheitere auch am Datenschutz. „Und bei einem elektronischen Impfpass wie in Israel, der die Rückkehr zu mehr öffentlichem Leben mit Impfschutz ermöglicht, wird deshalb genauso zerredet“, fürchtet Bös. Zwischen Bedenken um persönliche Daten und den Umgang mit Impfverweigerern würde am Ende der Alltag aller noch lange leiden, selbst wenn im Lauf des Jahres genügend Impfstoff da wäre. Es räche sich jetzt, dass im Gesundheitswesen die Digitalisierung nicht gezielt genutzt werde. „Niemand kann zum Beispiel sagen, dass Dänemark unverantwortlich mit Daten der Bürger umgeht, obwohl es dort elektronische Patientenakten gibt“, so Bös. Grundsätzlich liegen dort jedem Arzt wichtige Untersuchungsergebnisse, Infos über eingenommene Medikamente oder Vorerkrankungen vor – wenn der Patient der Freigabe zustimmt.

Übermaß an Schlechtreden

Astrazeneca ist für Dr. Bös das Paradebeispiel. Er habe es so oft schon verimpft ohne irgendein ernstes Problem. Negative Schlagzeilen fänden in der Regel aber mehr Beachtung als positive Meldungen. Ängste würden dann bei Entscheidungen dominieren und die realen Risiken in den Hintergrund drängen. „Es ist sicher, Ältere weiter mit Astrazeneca zu impfen, aber das wäre es zum Beispiel für jüngere Männer auch“, sagt Bös. Doch das sei jetzt totgeredet. Bei Schutzmaßnahmen passiere dasselbe, weil auch politische Lager ihre Konflikthaltung in der Krise nicht aufgeben würden. Oder Länder und Bund bringen sich gegeneinander in Stellung.

Übermaß an Bürokratie

Organisieren wir uns zu Tode? Die Frage der PZ bejaht der Mediziner mit unternehmerischer Erfahrung. Kein neues Problem, findet er. An der Arcus-Klinik habe er Daten seiner eigenen Patienten, die er in der Praxis behandelt habe, im Falle einer nötigen Operation im Klinikbereich ein Stockwerk höher nicht mitnehmen dürfen, weil Praxis und Klinik als zwei getrennte Gesellschaften organisiert waren. Und beim Impfen? Patienten wundern sich manchmal über die Flut von Formularen, die sie vorweisen müssen, wo bei anderen vorbeugenden Spritzen das Impfbuch reicht. Dr. Bös hat bei den Einsätzen in Heimen erlebt, wie Verwaltungskräfte die Dokumente selbst auf Papier von Patient zu Patient ausgefüllt haben. „Nach dem Einsatz mussten sie dann die vielen Zettel am Computer in vorgegebene Masken eintragen – anstatt, dass das Land eine Software dafür entwickelt hätte und alles direkt digital erfasst wird“, so der Neulinger. Ein anderes Beispiel sieht er in der Einbeziehung niedergelassener Ärzte. Die impfen seit Jahr und Tag zuverlässig, geräuschlos. Der gelungene Start in den Praxen sei der beste Beweis. Bös ärgert aber, wenn der Hausärzteverband daraus ableite, die Zentren nach ihrer Pionierarbeit ersetzen zu wollen. Erfolgreich sei man nur miteinander.