
Die historische Aufnahme zeigt Gefangene der Nazis nach der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz.
dpa- dpa
Enzkreis. NS-Fahnder haben in mehreren Bundesländern wie auch im Enzkreis Wohnräume von mutmaßlichen ehemaligen SS-Wachmännern des KZ Auschwitz durchsucht und in Baden-Württemberg drei von ihnen verhaftet. Die drei Männer im Alter von 88 bis 94 Jahren sitzen in Untersuchungshaft, wie die Staatsanwaltschaft Stuttgart und das Landeskriminalamt am Donnerstag mitteilten.
Die Polizei hatte bereits am Mittwoch im Südwesten, Hessen und Nordrhein-Westfalen die Wohnungen von elf mutmaßlichen früheren NS-Schergen im Vernichtungslager Auschwitz durchsucht. Darunter waren auch Wohnräume im Enzkreis gewesen. Die Männer stünden im Verdacht, an der Tötung Deportierter beteiligt gewesen zu sein.
Die Ermittlungen gehen auf die Recherchen der Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg zurück, erklärte die Stuttgarter Staatsanwaltschaft. Die Zentralstelle hatte im November entsprechende Fälle an Anklagebehörden in mehreren Bundesländer abgegeben. In Auschwitz, dem größten der nationalsozialistischen Todeslager, wurden mindestens 1,1 Millionen meist jüdische Häftlinge ermordet.
Im Südwesten richten sich die Ermittlungen gegen sechs Männer im Alter von 88 bis 94 Jahren. In den Wohnungen im Enzkreis sowie in den Kreisen Rottweil, Freiburg, Rhein-Neckar, Ludwigsburg und Karlsruhe seien diverse Unterlagen sichergestellt worden. Fünf der Personen äußerten sich nicht zu den Vorwürfen.
Ein aus dem Enzkreis stammender 88-Jähriger erklärte, in Auschwitz gewesen zu sein. Eine Beteiligung an der Tötung von KZ-Insassen habe er bestritten, sagte eine Sprecherin der Staatsanwaltschaft. Der Mann wurde zusammen mit dem 92-Jährigen aus dem Rhein-Neckar-Kreis sowie dem 94-Jährigen aus dem Raum Ludwigsburg in das Justizvollzugskrankenhaus Hohenasperg eingeliefert.
Zu den konkreten Tatvorwürfen gegen die drei Männer aus dem Südwesten konnte die Staatsanwaltschaft Stuttgart noch keine Angaben machen. Die Auswertung der Unterlagen werde noch einige Zeit in Anspruch nehmen, sagte die Sprecherin.
In NRW wurde die Wohnung eines 92-Jährigen durchsucht. Er habe eingestanden, ab Anfang 1942 in Auschwitz gewesen zu sein, teilte das LKA in Düsseldorf mit. Eine Beteiligung an der Ermordung von Insassen habe er verneint. Es wird auch noch gegen zwei andere Männer aus Ostwestfalen und vom Niederrhein ermittelt.
Im Rhein-Main-Gebiet gab es Durchsuchungen bei zwei Männern im Alter von 89 und 92 Jahren. Die beiden sollen in den Jahren 1942, 1943 und 1944 zur Wachmannschaft des Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau gehört haben, sagte Oberstaatsanwältin Doris Möller-Scheu.
Bisher blieben viele mutmaßliche Täter straffrei, weil der Bundesgerichtshof 1969 im Fall Auschwitz festgelegt hatte, dass für eine Verurteilung der Wächter wegen Beihilfe zum Mord die individuelle Schuld nachgewiesen werden muss. Dies war vielfach nicht möglich.
In Vorermittlungen für den Prozess gegen den Aufseher im Vernichtungslager Sobibor, John Demjanjuk, hat aber die NS-Fahndungsstelle die Beihilfe zum Mord im KZ neu definiert. Dem widersprach das Landgericht München nicht. Nach Auffassung der Zentralstelle ist somit jeder belangbar, der in einem KZ dazu beigetragen hat, dass die Tötungsmaschinerie funktionierte - egal, ob direkt als Aufseher bei den Gaskammern oder indirekt etwa als Koch. 2011 hatte das Landgericht München Demjanjuk wegen Beihilfe zum Mord an mehr als 28.000 Menschen schuldig gesprochen.
Kurt Schrimm leitet die Zentralstelle zur Aufklärung von NS-Verbrechen in Ludwigsburg, die die detektivische Vorarbeit auf der Suche nach überlebenden NS-Schergen leistet. Am Freitag wurden die Folgen dieser Arbeit sichtbar – es gab mehrere Verhaftungen, eine davon im Enzkreis. Wie Kurt Schrimm erklärte, sei das „eine längere Geschichte“, denn: „Wir haben uns vor einigen Jahren entschieden, den ganzen Komplex Auschwitz noch einmal rechtlich zu überprüfen – spezialisiert auf die Aufseher. Bis dahin wurden die Aufseher nicht verfolgt.“
Im vergangenen Herbst hatte die Zentralstelle 30 Fälle von KZ-Wachleuten an die zuständigen Anklagebehörden in mehreren Bundesländern abgegeben. Eine Liste von 6000 Namen von KZ-Aufsehern sei durchgearbeitet worden. „Übrig blieben 49 Leute, die wir identifizieren und lokalisieren konnten. Und davon blieben letztlich 30 übrig“, so Grimm. Aber: Als Staatsanwalt in Stuttgart habe Grimm noch keinen Beschuldigten oder Angeklagten getroffen, der seine Tat zugegeben hätte, egal wie erdrückend die Beweislage, egal wie groß die Menge der Zeugen gewesen sei.
In der „Pforzheimer Zeitung“ lesen Sie am Freitag auf Seite 26 ein großes Interview mit NS-Verbrecherjäger Kurt Schrimm. Sie können das Interview auch im E-Paper auf PZ-news oder über die Apps für Smartphones und Tablet-PCs lesen.