

Der Countdown läuft: Nach diesem Wochenende steht ein neues Schuljahr vor der Tür. Nicht nur, dass wieder etliche Erstklässlerinnen und Erstklässler ihren Schulstart feiern, auch das neue neunjährige Gymnasium kommt nun in die Fläche. Ist das ebenfalls ein Grund zur Freude? Ein Blick in die Region zeigt: Die Reaktionen bei Schulleitern und Bildungsgewerkschaftern dazu gehen eher in die Richtung „Ja, aber…“.
„Im Prinzip eine gute Sache, aber in der Ausführung ist noch viel Luft nach oben“, sagt Henriette Dieterle, Schulleiterin am Salzach-Gymnasium in Maulbronn. Im Prinzip freue sie sich auf G9, betont sie, weil es mehr Zeit für die Schülerinnen und Schüler zum Lernen gebe. Mentoring, die Unterstützung von Schülerinnen und Schülern in ihrer Lernentwicklung, sei ein gutes Element. Aber: Viele Fächer würden ab Klasse 7 und 8 dreistündig, beziehungsweise einstündig unterrichtet. „Wie soll man da individuell auf die Schüler eingehen?“, fragt sie. Das Doppelstundenmodell werde faktisch abgeschafft. Dazu komme: Durch die Dehnung von acht auf neun Jahre werde man zur „Halbtagsschule“, was an den gesellschaftlichen Realitäten jedoch vorbeigehe.
Dass das Interesse an G9 aber grundsätzlich da ist, hat Hartmut Westje-Bachmann, Schulleiter des Lise-Meitner-Gymnasiums (LMG) in Köngisbach-Stein, schon vor der G9-Reform registriert. Das LMG ist seit dem Schuljahr 2013/2014 G9-Versuchsschule – eine von landesweit 43. Nächste Woche wird er rund 120 Fünftklässlerinnen und Fünftklässler begrüßen. Etwa so viele wie auch vergangenes Jahr. Zum neuen Schuljahr werden zuerst die Klassen 5 und 6 auf das neue G9-Modell umgestellt. „Wie bei allen anderen Schulen“, sagt er. Ab der jetzigen Klasse 7 werden die Schülerinnen und Schüler noch nach dem alten LMG-Modell unterrichtet. Und welches Konzept ist besser? In dem des Landes seien viele Dinge übernommen worden, die davor am LMG erprobt wurden, sagt er.
Das alte Modell sei natürlich besser, legt sich Andreas Enderle, Schulleiter des Enztal-Gymnasiums in Bad Wildbad, fest. Auch seine Schule war im G9-Modellversuch mit dabei. Kommende Woche werden dort 65 Fünftklässlerinnen und Fünftklässler erwartet. Im neuen Modell sei die Schule bei den Poolstunden, also Stunden, mit denen die Schule den Fokus auf bestimmte Bereiche legen kann, etwas schlechter gestellt. Schwer hätten es aber unter anderem Schulen, die bilinguale Züge oder Sonderprofile haben, weil diese bei der Umstellung nicht abgebildet worden seien.
Wie sieht es in Mühlacker aus? Am Theodor-Heuss-Gymnasium gab man sich noch vor sieben Monaten optimistisch, was das neunjährige Gymnasium angeht. Und jetzt? Auf die PZ-Anfrage wollte oder konnte sich die Schulleitung nicht äußern. Edith Drescher, geschäftsführende Schulleiterin der Pforzheimer Gymnasien, sagt zu G9: „Wie sich die Konzepte entwickeln, werden wir sehen.“ Grundsätzlich denke sie, dass ihre Kolleginnen und Kollegen die Rückkehr des G9 begrüßt haben.
Auch wenn die Einführung überhastet gewesen sei, sei vieles wie beispielsweise die Innovationselemente auf den Weg gebracht worden.
Und was sagen die Bildungsgewerkschaften und -verbände dazu? Andreas Schuler ist in der Landesfachgruppe Gymnasien der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) tätig. „Generell ist das neue G9 kein großer Wurf“, betont er. Der Reform kann er auch etwas Gutes abgewinnen: ein Jahr länger lernen, sowie die Elemente Demokratiebildung und Nachhaltigkeit. Aber: Durch ein fehlendes Ganztagskonzept werde r die soziale Benachteiligung gefördert. Und: „Die Einstellungssituation für junge Lehrkräfte an sei eine Katastrophe“, sagt er, da es im neuen Modell weniger Wochenstunden gebe. Martina Scherer, Lehrerin am Reuchlin-Gymnasium in Pforzheim und Landesvorsitzende des Philologenverbands Baden-Württemberg, sieht das neue G9 positiver. Wobei sie auch sagt, dass dreistündige Hauptfächer ab Klasse 7 kein vertieftes Lernen mehr zuließen. Ihr Appell: Bei einem aufwachsenden G9-Zug, gelte es die Lehrkräfteversorgung sicherzustellen und eine Reserve aufzubauen. Man wisse auch noch nicht, welche Komponenten der Reform sich in beispielsweise höheren Klassenstufen ausgestalten würden.
Innovationselemente und Anmeldezahlen
Das neue G9 umfasst fünf zentrale Elemente: In Klasse 5 werden die Fächer Deutsch, Mathe und die erste Fremdsprache gestärkt. Zudem liegt der Fokus auf dem naturwissenschaftlichen Bereich, der Demokratiebildung, der beruflichen Orientierung und der Lern- und Leistungsentwicklung durch Schülermentoring. An den allgemeinbildenden Gymnasien im Enzkreis gibt es nach Auskunft des Regierungspräsidiums Karlsruhe (RP) 469 Anmeldungen für die fünften Klassen. 44 mehr als im vergangenen Jahr. Durch die verringerte Stundenzahl pro Woche im G9 gehen das Kultusministerium und das RP Karlsruhe davon aus, dass vorübergehend an den allgemeinbildenden Gymnasien weniger Lehrkräfte gebraucht werden. G9 wird die Regel, es gibt aber noch die Möglichkeit, nach acht Jahren zum Abitur zu kommen, wenn Gymnasien beim Regierungspräsidium einen Antrag zur Einrichtung eines G8-Zugs stellen.