Kehrwochenpflicht: Bis 1988 hatte jeder Mieter oder Eigentümer die Auflage, turnusmäßig mindestens einmal wöchentlich zu kehren. Bildquelle: fotolia.com © agrope (CC0 1.0).

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Kehrwochenpflicht: Bis 1988 hatte jeder Mieter oder Eigentümer die Auflage, turnusmäßig mindestens einmal wöchentlich zu kehren. Bildquelle: fotolia.com © agrope (CC0 1.0).

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Schwäbische Tradition: Kehrwoche – Everybody kehrs!

Sie ist ein schwäbische Institution – die Kehrwoche. Trotz ihrer Abschaffung 1988 wird der öffentliche Raum immer noch freiwillig gesäubert. Warum eigentlich? Die Kehrwoche wird nun wissenschaftlich untersucht – Soziologen gehen dem Streben nach sauberen Gehwegen auf den Grund.

Kehrwochenpflicht: Bis 1988 hatte jeder Mieter oder Eigentümer die Auflage, turnusmäßig mindestens einmal wöchentlich zu kehren. Bildquelle: fotolia.com © agrope (CC0 1.0).

Sie bleibt weiterhin eine typische schwäbische Tradition, die auf jeden Neuzugezogenen ins Ländle immer noch befremdlich wirkt – die gute alte Kehrwoche: mittlerweile ein schwäbisches Kulturgut. Ordnung und Sauberkeit, das Kehren und Fegen nehmen Häuslebesitzer oder Mieter in Baden Württemberg – und im Besonderen in Stuttgart – weiterhin tugendhaft ernst. Hier bemüht man sich um ein sauberes Trottoire, um saubere Gehwege oder einen sauberen Treppengang im Mietshaus, sonst redet die Nachbarschaft. Damit bei der Kehrwoche nichts schief geht, können sich die Stuttgarter im Internet praktische Putzgegenstände wie beispielsweise ein Bodenwisch-Set oder einen Staubwedel kaufen.

Dabei ist die wöchentliche Kehrpflicht in Stuttgart längst abgeschafft. Warum hat die Kehrwoche in Stuttgart überlebt, obwohl sie für öffentliche Straßen und Gehwege schon 1988 abgeschafft wurde? Warum ist das so? Ist es Tradition, die wachsame Nachbarschaft oder beides?

Mit diesen Fragen beschäftigen sich der Soziologe und Politikwissenschaftler Dr. Daniel Rölle und ein Projektteam von Studierenden des Lehrstuhls für Soziologie der Organisation von der Universität Speyer seit dem vergangenen Herbst. Die Forscher starteten eine repräsentative Umfrage: 5000 Adressen von Haushalten in Stuttgart sind zufällig ausgewählt und angeschrieben worden. Aber auch alle anderen Stuttgarterinnen und Stuttgarter konnten bei der Online-Umfrage teilnehmen. Gut 850 Freiwillige aus der Kehrwochen-Hauptstadt nahmen tatsächlich online nach Angaben der Forscher an der Befragung teil, und rund 630 machten dies auch vollständig.

Haben Sie in den vergangenen Tagen auch schon den Gehweg vor Ihrem Haus gekehrt? Stört es Sie, wenn in der Nachbarschaft nicht ordentlich gefegt ist? Um diese und weitere Fragen ging es in der Umfrage mit dem griffigen Namen „Who kehrs?“. Das Projekt läuft noch weiter, aber die Feldphase ist mittlerweile beendet und es liegen bereits erste Ergebnisse der Studie vor.

We like to „kehr“

Die Teilnehmer der Umfrage stünden der Kehrwoche überwiegend positiv gegenüber – das ist einer der ersten Befunde. Ganze 58 Prozent bewerten die Kehrwoche sehr – beziehungsweise überwiegend gut, nur knapp 18 Prozent bewerten sie negativ. Knapp 50 Prozent der Befragten gaben an, sich immer oder meistens an der großen Kehrwoche zu beteiligen – selbst dann, wenn Unternehmen beauftragt wurden die Kehrwoche zu erledigen, was weiterhin eine Seltenheit ist.

Bei den meisten Teilnehmern dauere die große Kehrwoche 30 Minuten oder kürzer. Lediglich nur 10 Prozent kehrten länger als eine Zeitstunde. Aber, immerhin: dies reiche zumindest dafür, dass circa 72 Prozent der Befragten angaben, die Kehrwoche gründlich beziehungsweise sehr gründlich auszuführen, konstatieren die Wissenschaftler.

Ganze 28 Prozent gaben aber zu, sich nie oder selten an der Kehrwoche zu beteiligen. Über diese wird dann meist geredet.

Soziale Kontrolle durch die Nachbarschaft

Denn die Nachbarn kehren auch, und deshalb redet man auch über die Kehrwoche. Die soziale Kontrolle durch die Nachbarschaft sei nach den Erkenntnissen der Forscher ein wesentlicher Faktor für die schwäbische Kehrwoche.

Auf die Frage, warum die befragten Teilnehmer die Kehrwoche ausführen, gaben ganze 30 Prozent an, weil dies die Nachbarschaft ebenfalls macht. Ganz wichtig sei demnach das Geschwätz der Nachbarn: Jeder vierte der Befragten gab an, dass unter Nachbarn darüber gesprochen wird, wenn jemand die große Kehrwoche nicht erfülle oder sie nicht gründlich genug ausführe.

Darüber hinaus gaben 70 Prozent der Befragten an, einen Kehrwochenplan zu haben, und 47 Prozent betonten, die Kehrwoche aus Gründen der Routine durchzuführen.

Zwischenfazit der Forscher

„Rund 30 Jahre nach Aufhebung der Kehrpflicht in Stuttgart ist die Relevanz der großen Kehrwoche in der Stuttgarter Bevölkerung nach wie vorhanden“, bilanzieren die Forscher. Ein relevanter Erklärungsfaktor – neben der grundsätzlich positiven Bewertung der Kehrwoche – sei, wenn es um die Durchführung der großen Kehrwoche gehe, die wahrgenommene soziale Kontrolle durch die Nachbarschaft. „Dass bei 70 Prozent der Befragten ein Kehrwochenplan existiere, verstärkt diesen Kontrollmechanismus potenziell“, heißt in der Studie.

Wenn die Straße nicht gekehrt wird, reden die Leute. Bildquelle: fotolia.com © Manfred Herrmann (CC0 1.0).

Dass die Stuttgarter immer noch in weiten Teilen die große Kehrwoche machen, habe ihn „nicht überrascht", sagte Rölle. Als Grund nennt er die teilweise wütenden Reaktionen in zahlreichen Leserbriefen aus dem Jahr 1988 – das Jahr der Abschaffung der wöchentlichen Kehrpflicht.

Sozialpsychologisch konstatiert der Wissenschaftler dann: „Eine positive Einstellung zur Sauberkeit vermittelt Sicherheit. Dass die Kehrwoche aber als Synonym für Sauberkeit dient und den Befragten so ein Stück Sicherheit bietet, habe ich so nicht erwartet".

Ein weiterer Aspekt sei aber auch der Wohlfühlfaktor: Kehren gehöre bei vielen zu ihrem Lebens- und Wohngefühl dazu und vermittle ein Stück Lebensqualität.

Kehrwoche: Gemeinschafts-, Sicherheits- und Vorbildfunktion

Putzen ist demnach nach wie vor im Ländle in und fördert darüber hinaus das Gemeinschaftsgefühl, denn eine intakte harmonische Nachbarschaft zu haben, scheint für viele Schwaben eine hohe Priorität zu haben. Es wird gekehrt, weil die Nachbarn es erwarten und weil man es gleichzeitig von seinen Nachbarn erwartet. Das Kehren bekommt dann darüber hinaus eine Vorbildfunktion, die wechselseitige Kehr-Erwartungen entstehen lässt. Zugleich vermittelt die durch Kehrwoche erreichte Sauberkeit ein Gefühl der Sicherheit. Klingt plausibel.

Weitere Analysen werden darüber hinaus in den nächsten Monaten zeigen, welche weiteren Zusammenhänge zwischen den beschriebenen Befunden bestehen. So beispielsweise, ob sich Männer anders während der Kehrwoche verhalten als Frauen, oder ob es einen relevanten Zusammenhang zwischen Alter und einer Bewertung dieser schwäbischen Tradition besteht. Weitere Erkenntnisse folgen also.  

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