
Keltern/Santiago de Chile. Nach seinem WM-Triumph strahlte Radsportler Moritz Augenstein übers ganze Gesicht und reckte die linke Faust Richtung Hallendach. Vor lauter Freude drückte er dann auch noch Mechaniker Lu Eckert einen Kuss auf die Wange. Etwas später sagte der Dietlinger: „Mein erstes großes internationales Rennen, und dann gleich Weltmeister. Das ist unbeschreiblich. Ich bin schon mit Ambitionen angereist, eine Medaille zu gewinnen, aber dass es so super läuft, hätte ich mir nicht träumen lassen.
Das alles geschah fern der Heimat, denn die Bahnradfahrer ermitteln ihre Weltmeister dieser Tage in Santiago. Nach seinem Erfolg im Scratch hat der 28-jährige Augenstein bis zum Sonntag noch zwei Medaillenchancen – im Omnium sowie im Madison zusammen mit dem aktuellen Titelträger dieser Disziplin, also mit dem zehn Jahre älteren Roger Kluge.
Vor neun Monaten rückte für Augenstein selbst die Teilnahme am Saisonhöhepunkt in weite Ferne. Der 27. Januar wurde für ihn und fünf Kameraden aus dem deutschen Nationalteam ein schwarzer Montag. Dass sie beim Training auf Mallorca vom Auto eines 89-Jährigen angefahren wurden, war ein Schock. Vor allem erlitten Augenstein und Co. erhebliche Verletzungen.
Zuvor hatte das Jahr gut begonnen: Da er ins Nationalteam berufen wurde, bekam Augenstein eine Stelle bei der Sportförderkompanie der Bundeswehr, die es ihm ermöglichte, seine Arbeitsstelle aufzugeben, um ein Leben als Rad-Profi zu führen.
Charakteristisch für ihn ist der regelmäßige Wechsel zwischen Bahn und Straße. Die Erfolgsbilanz zeigt freilich, dass er im Bahnradsport die besseren Chancen hat.
Olympia in L. A. lockt
Inzwischen sei öfter von Los Angeles die Rede gewesen, sagte Christian Rupf, Vorsitzender von Augensteins Heimatverein RSV Schwalbe Ellmendingen, der „Pforzheimer Zeitung“ am Freitag. Das heißt, die Olympischen Spiele in rund drei Jahren sind nun das Traumziel des Radsportlers.
Als Rupf am Freitag um etwa 7 Uhr in Pforzheim aus dem Bett stieg, erblickte der Ellmendinger Vereinschef auf dem Handy gleich Nachrichten, die ihn über Augensteins Triumph informierten. Die erfreuliche Neuigkeit erreichte Rupf an seinem 36. Geburtstag. Den hatte offenbar auch der frischgebackene Weltmeister auf dem Schirm, wie Augensteins Antwort auf Rupfs Glückwunsch zum Titel zeigte.
Mit Augenstein stehe er regelmäßig in Kontakt, sagte Rupf. Die Verbindung ist enger als zu Benjamin Boos, der bei der WM in Chile mit dem deutschen Vierer den fünften Platz belegt hat. Der ist auch ein paar Jahre für den RSV Schwalbe gefahren, jedoch nicht in der Region, sondern in Steißlingen in der Nähe des Bodensees zu Hause. Den 22-Jährigen hatte es bei dem Unfall zu Jahresbeginn noch heftiger erwischt.
Während sich Boos ins Team einfügen musste, konnte Augenstein bei der Entscheidung im Scratch freier agieren. Letztlich zeigte er ein taktisch starkes Rennen. Typisch für den Dietlinger sei, von vorne zu fahren, und das habe er auch dieses Mal gemacht, sagte Rupf.
Trotz der diversen Rückschläge ist Augenstein schon mehrfach in Keltern im Rathaus zu Gast gewesen und hat sich dort ins Goldene Buch eingetragen. Der nächste Termin dort soll gleich am Tag nach der Rückkehr sein, zumal Augenstein andernfalls wohl länger nicht greifbar wäre. Dienstag, 15 Uhr, hat Bürgermeister Steffen Bochinger nach Rücksprache mit Augensteins Onkel Jürgen Straka als Zeitpunkt für den Weltmeister-Empfang ins Auge gefasst.
„Ich habe mich echt gefreut“, sagte Bochinger, der ebenfalls schon in aller Frühe von Augensteins Weltmeistertitel erfuhr, der PZ. „Es ist schön für uns, so jemanden in Keltern wohnen zu haben“, erläuterte er und fügte hinzu, dass das Besondere ist, dass Augenstein sogar ein Kind der Gemeinde ist. „Schon heimatverbunden“ ist der neue Weltmeister aus Sicht von Schwalbe-Funktionär Rupf. Er attestiert Augenstein „eine gewisse Lockerheit“, die angesichts der erforderlichen Disziplin nicht selbstverständlich erscheint: „Er ist ein lustiger Typ, der mit allen gut zurechtkommt.“
Auch Bürgermeister Bochinger hat ein positives Bild: „Das ist keiner, der sich in den Vordergrund stellt; er ist eher zurückhaltend. Als er die Verletzungen hatte, hat er sein Ziel nicht aus den Augen verloren.“ Der Rathaus-Chef erzählte auch, wenn er mit dem Auto auf dem Heimweg sei, komme ihm Augenstein oft auf dem Rad entgegen.
Bochingers Affinität zum Sport zeigt sich darin, dass er der Nationalelf der Bürgermeister angehört, aber auch darin, dass er mit Familie Olympia in Paris besuchte. Nun sollte er vielleicht einen Sommerspiele-Trip nach L. A. planen. Diesen Gedanken findet der 49-Jährige verlockend, sagt aber doch: „Los Angeles ist eine andere Hausnummer – auch finanziell.“
