Ein Mann der klaren Worte: Uli Borowka. Foto: Ketterl
Uli Borowka signiert ein Buch für Dieter Kluiber (rechts). Links der Pforzheimer Johannes Hager, der Borowka in seiner Vereinsarbeit unterstützt. Foto: Ketterl
Aufmerksame Zuhörer fand der ehemalige Nationalspieler und trockene Alkoholiker bei seinem Auftritt im Forum der Pforzheimer Zeitung. Foto: Ketterl
Sport
Uli Borowka im PZ-Forum: Einmal Abgrund und zurück
  • Udo Koller

Pforzheim. Wenn Uli Borwoka seine Geschichte erzählt, beginnt er gerne an dem Punkt, der fast das Ende gewesen wäre. Sein Ende. Der Tag, als er nicht mehr leben wollte. Mit gerade einmal 33 Jahren. In seiner Biografie, aus der er auch am Mittwochabend im PZ-Forum liest, beschreibt er im einleitenden „Anpfiff“ anschaulich, wie er auf einer dreckigen Matratze aufwacht, in seiner 250-Quadratmeter-Villa im noblen Bremer Stadtteil Oberneuland.

Die Matratze liegt da, wo bis vor kurzem noch das Designersofa stand. Das Wohnzimmer ist leer, ebenso wie das ganze Haus. Frau weg, beide Kinder weg, Möbel weg. Die drei Autos, die früher vor dem Haus standen auch. Die Villa steht zum Verkauf. Die Frau ist mit den Kindern geflohen, „weil ich sie sturzbetrunken im Streit mit den Kopf gegen die Wand geschlagen habe“, wie in Borowkas Biografie zu lesen ist. Auch seinen Job ist er los. Bei Werder Bremen haben sie den ehemaligen Fußball-Nationalspieler rausgeworfen, weil er Alkoholiker ist.

Und nun: „Ich besaufe mich. Das kann ich gut“, heißt es in der Biographie weiter. Später wird Uli Borowka an den Karton mit den Medikamenten gehen. Er wird Schmerzmittel und Schlafmittel nehmen, ein halbes Glas damit füllen, es mit Rotwein und Bier runterkippen. Das einleitende Kapitel in der Biografie endet mit dem Satz: „Mein Name ist Uli Borowka und ich werde mir jetzt das Leben nehmen.“

Das hat dann doch nicht geklappt. Uli Borowka hat überlebt, wohl auch, weil sein Körper durch den Profifußball gestählt genug war, um all das wegzustecken, was jahrelang in ihn hineingeschüttet worden war. Am Ende waren das ein Kasten Bier am Tag, dazu einige Flaschen Wein, oder ein bis zwei Flaschen Schnaps.

Nach dem Selbstmordversuch 1996 hat es noch eine Weile gedauert, bis Borowka endlich in einer Entzugsklinik gelandet ist. Seit dem Jahr 2000 ist er trocken. Aber auch danach hat es noch einige Jahre gedauert, ehe der Ex-Profi, den sie wegen seiner Härte auf dem Platz „die Axt“ nannten, wieder vollends in der Spur war. Er fand eine neue Frau und wurde erneut Vater – eine Tochter. Er schrieb zusammen mit dem Journalisten Alex Raack seine Biografie „Volle Pulle – Mein Doppelleben als Fußballprofi und Alkoholiker“. Er gründete den Verein „Uli Borowka Suchtprävention und Suchthilfe e.V.“.

Einmal Abgrund und zurück. Uli Borowka hält jetzt Vorträge. In Schulen. In Firmen. Bei Vereinen. Bei Fanprojekten. In Gefängnissen. Uli Borowka weiß, dass es längst nicht mehr nur um Alkohol geht. Das größte Problem gerade bei jungen Fußballprofis ist die Spielsucht. „Die setzen schon morgens auf dem Weg zum Training 3000 Euro auf irgendein Kamel in Abu Dhabi. Mit dem Smartphone geht das heute problemlos“, erzählt der 56-Jährige.

Uli Borowka redet gern und viel. Er kann das. Er macht das gut. Er redet frei von der Leber weg. Auch im PZ-Forum. Meist ernst, manchmal aber auch lustig. Er berichtet, wie das alles begann mit dem Alkohol, damals in seiner Maschinenschlosserlehre im heimischen Sauerland. Wie er schon früh bemerkte, dass er immer mehr und unkontrollierter trank, als die Kollegen. Wie die Profikarriere in Mönchengladbach begann, unter Trainer Jupp Heynckes. Mit Mitspielern wie Lothar Matthäus. Wie der Druck und die Versagensängste kamen und der Alkoholkonsum zunahm. Wie er am Abend vor den Spielen zunächst noch kontrolliert genug war um sich zurückzuhalten. Nach den Spielen gab es dann kein Halten mehr. „Der Alkohol war die Belohnung.“

Richtig schlimm mit dem Saufen wurde es aber erst, nachdem Borowka zu Werder Bremen gewechselt war. Das Problem war bekannt, wurde aber toleriert, solange die Leistung stimmte. Borowka beschreibt, wie nach und nach ein System von Abhängigkeiten entsteht. Er erzählt, wie er eines morgens nach einem Filmriss in seinem Auto auf einer Autobahnraststätte aufwacht und seinen Trainer Otto Rehhagel anruft, weil er das Training verpassen wird. Er erzählt etwas von gesundheitlichen Problemen, aber Rehhagel weiß genau, was los ist. Er bestellt den Spieler zum Rapport – und gemeinsam einigt man sich auf „Magen-Darm-Infekt“, um das Fehlen im Training zu erklären.

„Co-Abhängigkeit“ nennt Borowka das rückblickend. Er weiß: Ein Alkoholiker zieht immer andere Menschen in seinem Umfeld mit nach unten. Am schlimmsten trifft das die Familienangehörigen. „Jahrelang habe ich den anderen die Schuld an allem gegeben. Heute weiß ich, dass meine Frau sich und die Kinder vor mir schützen und der Verein sich von mir trennen musste“, sagt Borowka.

Der Ex-Profi ist bei seinem Vortrag dann am besten, wenn er seine eigene Situation schonungslos und im doppelten Wortsinne nüchtern analysiert, ganz ohne falsche Sentimentalität. Er versucht, die Menschen dafür zu sensibilisieren, wie gefährlich der allgegenwärtige Alkohol für die Gesellschaft ist. Die offizielle Zahl von 1,5 Millionen Alkoholkranken in Deutschland bezweifelt er, spricht von acht Millionen. Keine Feier und kein Fest ohne Alkohol. „Vereine sind geradezu prädestiniert, Jugendliche zum Alkohol zu bringen“, sagt der 56-Jährige. Die Signale an die Jugend seien verheerend. Das beginne damit, dass viele Väter und Mütter mit der Bierflasche an der Bande stehen, wenn ihre Kinder Fußball spielen. In diesem Augenblick wünscht man sich den einen oder anderen Jugendtrainer mehr im Publikum.

Uli Borowka hat die Kurve gekriegt. Heute lebt er mit Frau und Tochter in der Nähe von Hannover. Zu den Kindern aus erster Ehe gibt es nach langer Funkstille wieder eine zarte Annäherung. „Jeder findet seinen Weg“, sagt der trockene Alkoholiker. „Die einen gehen in die Kirche, ich gehe in meine Werkstatt.“ Dort schraubt er an Maschinen herum. Er repariert Dinge, die kaputt sind. So, wie er es letztlich auch mit seinem Leben geschafft hat.