Wird der bildungssprachliche Ausdruck "quo vadis“ zumeist als Ausdruck der Skepsis und Besorgnis verwendet, ist er durchaus berechtigt angebracht beim Betrachten der Entwicklung der dualen Berufsausbildung. Diese steh - mehr als 50 Jahre nach ihrer Einführung - in einer Phase der harten Prüfung.

Dabei sollte genau sie allen Beteiligten uneingeschränkt eines der wichtigsten Instrumente im Werkzeug-Koffer des Berufslebens sein. Den jungen Menschen, um dadurch ihre Chancen auf ein dauerhaftes und zufriedenstellendes Auskommen und Leben zu sichern. Den Betrieben, um dadurch die notwendigen Fachkräfte für morgen zu generieren. Und letztlich auch den politisch Verantwortlichen, um damit vernünftige Bedingungen für eine zufriedene Gesellschaft zu schaffen, die sich nicht weiter spaltet oder gar radikalisiert und - last but not least - um damit auch finanzielle Ressourcen zu sparen. Stichwort Arbeitslosengeld-Zahlungen, stabile Rentenkassen etc.
Und dennoch stehen Stand Mitte Mai „2,6 Millionen junge Menschen zwischen 20 und 35 Jahren ohne Berufsausbildung da“, bilanziert etwa Sylvia Bühler vom Verdi-Bundesvorstand. Passend dazu auch der Hilferuf des Handwerks: „Ende April waren bei unseren Handwerkskammern noch knapp 40 000 offene Ausbildungsplätze gemeldet“, so Handwerkspräsident Jörg Dittrich. Es sei schwierig für die Betriebe, genügend Bewerber zu finden. Dabei ist der Bedarf „besonders bei den Klimaberufen, also etwa bei Heizung-Sanitär-Klima, bei Elektroinstallateuren groß“. Ganz zu schweigen von den Gesundheitsberufen. Also vor allem die Schlüsselberufe, die für die Bewältigung der umweltpolitischen Wende und den Herausforderungen einer alternden Gesellschaft benötigt werden.
Eine nüchterne Bestandsaufnahme, die eine ernüchternde Sprache spricht. Ob da die von Bundesregierung, Wirtschaftsverbänden und Gewerkschaften ins Leben gerufene „Allianz für Aus- und Weiterbildung“ schnell Abhilfe schaffen kann, darf bezweifelt werden. Solange nämlich etwa die Quote von Ausbildungsbetrieben weiter rückläufig ist und solange sich Ausbildungsbetriebe in der Regel um Abiturienten kümmern und somit ausbildungswillige Real- und vor allem Hauptschüler in die Röhre gucken müssen. Solange an Schulen nicht deutlich stärker, pragmatischer und altersgerechter mögliche Berufswege vorgestellt und vermittelt werden und solange Jugendlichen teilweise die Bereitschaft flöten geht, die „Lehrjahre-sind-nicht-immer-Herrenjahre“-Zeit durchzustehen.
Dabei bietet eine duale Ausbildung jede Menge Vorteile. Gehalt, Praxisbezug oder auch der Wegfall von Zugangsbeschränkungen, um nur einige zu nennen. Sie wurden mit dem 1969 installierten Berufsbildungsgesetz (BBiG) erstmals bundesweit einheitlich geregelt - und damit zum Erfolgsmodell. Nicht umsonst wird Deutschland auf der ganzen Welt für dieses System bewundert. Ein Aspekt, der Mut machen kann - allen Beteiligten.
Von PZ-Redakteur
RALF BACHMAYER
19 Prozent...
... der vom Bundesinstitut für Berufsbildung (BIBB) befragten Jugendlichen können sich eine Ausbildung in einem Pflegeberuf gut vorstellen.
Für Hauptschüler spitzt sich die Situation weiter zu
Immer mehr Ausbildungsplätze werden einer Studie zufolge von Abiturienten besetzt, während es für Hauptschüler schwerer wird. Die Meinungen über Lösungswege gehen auseinander.
Junge Menschen mit Hauptschulabschluss tun sich einer Studie zufolge immer schwerer, einen Ausbildungsplatz zu bekommen. Gleichzeitig stieg in den vergangenen Jahren der Anteil der Abiturienten, die eine Ausbildung anfingen, deutlich, wie aus einer kürzlich veröffentlichten Forschungsinstituts für Bildungs- und Sozialökonomie Studie für die Bertelsmann-Stiftung hervorgeht. Von einer mangelnden Attraktivität der Berufsausbildung für Abiturienten und Abiturientinnen könne keine Rede sein, sagte Studienautor Dieter Dohmen laut Mitteilung.

Zwischen 2011 und 2021 verringerte sich der Anteil der Jugendlichen, die mit Hauptschulabschluss eine Lehre anfingen, demnach um ein Fünftel. Für junge Menschen ohne Schulabschluss spitzte sich die ohnehin schwierige Situation zuletzt zu: Die Übergangsquote lag der Studie zufolge 2021 bei 30 Prozent. In den vergangenen 15 Jahren hatte sie um die 35 Prozent geschwankt. Der Anteil der Abiturienten, die sich für eine Lehre entschieden, stieg dagegen von 35 auf 47,4 Prozent.
Die stellvertretende DGB-Vorsitzende Elke Hannack sagte, es passe nicht zusammen, wenn Arbeitgeber einerseits über fehlende Bewerber klagten, auf der anderen Seite aber vielfach eine „Bestenauslese“ betrieben. „Auch Jugendliche mit Hauptschulabschluss brauchen Chancen auf einen Ausbildungsplatz.“ Es gebe ein enormes Potenzial für mehr Ausbildung und damit zur Linderung des Fachkräftemangels. Das ungenutzt zu lassen, könne sich die Gesellschaft nicht leisten. Bei der geplanten Ausbildungsgarantie müsse nachgebessert werden. Die Ampelparteien haben die Garantie in ihrem Koalitionsvertrag verankert.
Das hält die Deutsche Industrie- und Handelskammer für den falschen Weg. „Die Ausbildungschancen für junge Menschen sind heute besser denn je - von der Hauptschule bis zum Abitur“, sagte der stellvertretende Hauptgeschäftsführer Achim Dercks. Zuletzt habe es dreimal mehr offene Ausbildungsstellen als Bewerber gegeben. „Wir haben daher momentan keinen Mangel an Chancen, sondern vielmehr einen Mangel an Orientierung.“ Ein Ausbau der Berufsorientierung und eine bessere Vermittlung seien die richtigen Maßnahmen.
Dass sich mehr junge Menschen für die Ausbildung entschieden, obwohl sie an die Hochschule könnten, sei ein guter Trend, sagte Dercks. Die Chancen für Jugendliche mit Hauptschulabschluss seien weiter sehr gut. Ihr Anteil unter den Azubis schrumpfe, weil auch ihr Anteil unter den Schulabsolventen insgesamt zurückgehe.
Eine intensivere Berufsorientierung forderte auch die FDP-Bundestagsfraktion. "Statt einmaligen Veranstaltungen sollte diese über den gesamten Bildungsverlauf mit Informationen, Praktika und Austausch mit den Kammern zusammengedacht werden“, sagte die bildungspolitische Sprecherin Ria Schröder. Gleichzeitig müsse die Qualität des ersten und mittleren Schulabschlusses erhöht werden.
Die Linken-Politikerin Nicole Gohlke kritisierte: „Es läuft was gründlich schief im Bildungssystem, wenn 630 000 Jugendliche im Alter von 15 bis 24 Jahren komplett durchs Raster fallen.“ Statt nur die Besten zu fördern, müsse der Staat mehr für jene tun, die Probleme bei der Ausbildungssuche hätten. Sie forderte etwa ein Recht auf Ausbildung.
Die Zahl der Ausbildungsverhältnisse ging der Studie zufolge im langfristigen Vergleich zurück: Während beim letzten Höchststand 2007 gut 844 000 Menschen in Ausbildung waren, lag die Zahl 2021 bei 706 000. Einen Einschnitt bedeutete hier die Pandemie. In den Jahren davor war die Zahl leicht gestiegen.
dpa