„Offen mit dem Thema Hören umgehen“
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„Offen mit dem Thema Hören umgehen“

Wiebitte? Nicht immer ist es die Gruppe 50 Plus, die einen Hörverlust erleidet. FOTO: KRAKENIMAGES.COM-STOCK.ADOBE.COM

„Offen mit dem Thema Hören umgehen“

Hörspezialist Fabian Böhm erläutert im Gespräch mit PZ-Redakteur Ralf Bachmayer unter anderem, warum manche Hörgeräte einen trend auslösen und warum gerade auch auf das Hörvermögen von Kleinkindern geachtet werden sollte.

Gesundheit

Welche Bedeutung hat für Sie der Welttag des Hörens?Der Welttag des Hörens dient zur Aufklärung und stärkt medial die Präsenz unseres Sinnesorgans. Hörsysteme hatten lange einen schlechten Ruf, verbunden mit Schamgefühlen und großen staubigen, beigen Hörgeräten. Mittlerweile gibt es etliche moderne, beinahe unsichtbare Hörprodukte mit trendigen Image gewinnen. Wir sind auf einem tollen Weg der Aufklärung und gehen gesellschaftlich mit dem Thema Hören offen um – Prominente wie die Schauspieler Mario Adorf und Ulrike Folkerts tragen als Hörgeräteträger und der Hörgeräteindustrie dazu mit bei.Von den beteiligten Organisationen werden verschiedene Problemfelder in Sachen Hörversorgung angesprochen. Welche sind für Sie die dringendsten?Die Hörversorgung bei Kindern und Menschen, bei denen ein gängiges Hörsystem nicht mehr ausreicht. Bei diesen Menschen folgt dann eine Cochlea Implantat Versorgung (CI). Wir sind in Pforzheim Partner der weltweit vier größten CI-Hersteller und unterstützen mit unserer Expertise die CI-Kliniken und Menschen im Enzkreis. Die Aufklärung und gesamtheitliche Versorgung dieser speziellen Sonderversorgungen stellt immer wieder interdisziplinäre Hürden dar. Die kleinen Patienten und zum Teil tauben Menschen müssen aus meiner Sicht besser und enger an die Hand genommen werden, um Ihnen den bestmöglichen Versorgungsweg aufzuzeigen.

Hörtests spielen in diesem Zusammenhang auch eine große Rolle. Wer sollte am ehesten testen?

Menschen, die Ihr fünfzigstes Lebensalter erreicht haben, spielen hier eine wesentliche Rolle. Oft sind es die alltäglichen Situationen, bei denen ein Hörverlust zwar auffällt, aber oft noch unerkannt bleibt. Der Betroffene selbst bemerkt seinen schleichenden Hörverlust nur selten, es ist meistens das unmittelbare Umfeld, welches einen darauf hinweist. Bei Auffälligkeiten sollte ein Hörtest in einer HNO-Praxis oder direkt bei einem Hörakustiker durchgeführt werden. Das bringt sofort Klarheit. Betroffene können einen beginnenden Hörverlust an einfachen, klar beschreibbaren, Situationen erkennen. Es können Kinder- oder helle Frauenstimmen sein, welche unklar oder undeutlich verstanden werden. Auch ein gutes Indiz für eine leichte Hörminderung ist es, wenn der Fernseher immer etwas lauter läuft, als der Partner oder die Kinder dies zu Hause benötigen würden. In Gesellschaft, also in einem Lokal oder Restaurant, fällt ein Hörverlust jedoch am stärksten auf. Der Betroffene ist im Lärm eher angespannt und bei Gesprächen sehr konzentriert, um nichts zu verpassen. Dies strengt sehr an – ein Hörtest sollte also als Präventivmaßnahme betrachtet werden, so dass dauerhafte Hörschäden in der Zukunft auszuschließen sind.

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Fabian Böhm Böhm Hörakustik FOTO: PRIVAT

Wie sieht es mit Kindern aus. Wann ist dies notwendig?

Seit 2009 steht jedem Neugeborenen in Deutschland ein Hörscreening zu – Universelles Neugeborenen-Hörscreening, kurz UNHS genannt. Dies ist ein großer Meilenstein für die Prävention in der Hörakustik und der Hörversorgung von Kleinkindern. Dennoch werden im Rahmen weiterer Untersuchungen des Kindes beim Kinderarzt Hör- und Sprachtest innerhalb der U-Untersuchungen durchgeführt. Falls also in der Kita durch die Wahrnehmung des Erziehungspersonals oder bei einer U-Untersuchung eine Vermutung der Höreinschränkung vorliegt, wird das Kind umgehend zu einem Pädaudiologen oder zu einem Pädakustiker verwiesen. In speziellen Einrichtungen werden weitere Tests und schließlich eine Diagnostik durchgeführt. Bei einem Kleinkind sollte eine Hörgeräteversorgung nach den ersten sechs bis acht Lebensmonaten erfolgen, damit die Hirnbahnreifung audiologisch stimuliert wird und Sprache oder Geräuschwahrnehmung erlernt werden kann. Die ersten vier Lebensjahre sind also die akustisch prägendsten, da hier der Spracherwerb und die Hörlernkurve am stärksten sind. Halten Sie also bei Ihren Kindern die Augen und Ohren offen. Ob eine normale Hör- und Sprachentwicklung stattfinden kann, hängt stark von dessen Hörfähigkeit ab.

Hörgeräte sind bei der Versorgung der Menschen bei Hörschäden vielleicht das entscheidende Element. Wohin geht da technisch die Entwicklung?

Eine spannende Frage. Aktuelle Trends sind wohl der immer besser werdende Klang sowie eine wirkungsvolle Unterdrückung von Störgeräuschen durch die Hörsysteme. Dazu kommen Bewegungssensoren für Sturzerkennung und verbesserte Mikrofonausrichtungen, wie auch eine ausgereifte Bluetoothtechnologie. Letztere dient einer kabellosen Anbindung von Smartphones und TVs an die Hörsysteme. Außerdem stehen in der Hörgeräteindustrie aktuell akkubetriebene Systeme im Fokus. Mit den aktuellen Hörsystemen kann der Träger sein Hörerlebnis 24 Stunden lang genießen. Binnen drei Stunden Ladezeit ist der Akku wieder vollgeladen und für den kommenden Tag einsatzbereit. Ebenso ähneln moderne neue Im-Ohr-Hörsysteme immer mehr den bekannten Ear-Pods von Apple oder den Galaxy Buds von Samsung.

Hat Corona die Menschen zu einem eher nachlässigen Umgang mit ihren Hörproblemen verleitet?

Nach meiner persönlichen Einschätzung eher ein Nein. Die Menschen sind zwar vorsichtiger geworden und haben Angst, sich beispielsweise in der Stadt mit Corona anzustecken. Wenn es jedoch um die Hörgesundheit geht, sehe ich hier keine Nachlässigkeit. Gerade durch die Pandemie fällt insbesondere durch die anhaltende Maskenpflicht das schlechtere Hören mehr auf, als noch vor Corona. Das Problem: Das Lippenbild fällt weg und dadurch wird das Verstehen schwieriger. Sobald also eine sensible Phase bei einer beginnenden Schwerhörigkeit einsetzt, wird oft der Weg zum Akustiker gesucht. Ich denke, dass der anhaltende Fitnesstrend auch in Zeiten von Corona dafür sorgt, dass es sich die Menschen wert sind, nach ihrer Gesundheit zu sorgen. Dazu zählt auch unser Gehör.