
Kronzeugin Maria G. sagt gegen die Mafia aus. Jetzt muss sie um ihr Leben und um das Wohl ihrer Kinder fürchten.
Edgar Venneman- David Schraven/correctiv.org
Maria G., 35, arbeitete für die ’Ndrangheta, bis sie zur Kronzeugin von Ermittlern wurde. Dann spürte die Mafia sie auf. Maria musste nach Deutschland fliehen. Sie sprach mit CORRECTIV, „stern“ und RTL über ihr Schicksal und die Mafia in Deutschland.
Manchmal wünscht sich Maria G., gar nicht am Leben zu sein. „Ich bin im Oktober 1981 geboren und es wäre besser, wenn das nicht passiert wäre,” sagt die Mafia-Kronzeugin über ihre Geburt in Deutschland. Denn in ihrem Leben hat sie bisher nur Gewalt, Ausbeutung und Angst vor Rache durch die Mafia erfahren.
Maria G. wuchs als Kind einer italienischen Gastarbeiterfamilie in der Nähe von Stuttgart auf. Mit 12 Jahren arbeitet sie am Fließband in einer Fabrik. Und sie geriet früh in die Fänge der Mafia. Mit 16 Jahren lernte sie bei einem Urlaub in Italien ihren ersten Mann kennen: ein Mitglied der Mafia-Gruppierung der ’Ndrangheta. Sie wird mit dem Mann verheiratet, bekommt schnell Kinder. Ihr Mann führt sie in die Welt der Mafia ein. Maria G. wurde zur Drogenhändlerin und war in Menschenhandel verwickelt. und versuchte immer wieder, dem Verbrechen zu entkommen.
Doch alles im Leben von Maria G. war nun mit der Mafia verflochten. Ihr sozialer Zusammenhalt. Alles, was sie kannte. Als sie sich von ihrem gewalttätigen Mann trennen wollte, setzte es Schläge. Ihre Familie zwang sie, die Ehe weiter zu führen. Nachdem Maria G. zur Polizei ging, um sich von ihrem Ehemann zu lösen, versuchte er nach Aussage von Maria G., sie zu töten. Er versuchte, ihr den Mund und das Gesicht mit Säure auszuwaschen. Eine Prozedur, mit der häufig Mafia-Zeugen ermordet werden. Von den wenigen bekannten Frauen, die bislang gegen die Mafia aussagten, wurden mehrere auf diese Art umgebracht. Das Leben von Maria G. war von Kriminalität und Gewalt geprägt.
Währenddessen zog ihr Mann die Fäden in seinem Mafia-Clan und stieg auf. Er half einem Boss aus dem Clan der Morfò bei der Flucht nach Deutschland und tauchte schließlich selbst in Süddeutschland unter. Kronzeugin Maria G. beschreibt, wie wichtig Deutschland für die Mafia geworden ist. Deutschland ist nicht nur als Rückzugsraum attraktiv, in den sich Mafiosi bei zu großem Druck durch Ermittler in Italien zurückziehen können, sondern wird auch immer stärker für Geschäfte nach dem Muster in Italien genutzt. In Deutschland kann die Mafia Geld verdienen und illegale Gewinne waschen, ohne allzu große Angst vor Beschlagnahmungen haben zu müssen. Die Verbindungen der Mafia nach Deutschland sind stark. Etliche Clane haben Standorte in Süditalien und in ganz Deutschland. Die Verbindungen stammen meist aus den Migrationsbewegungen der letzten 40 Jahre. Mit den Gastarbeitern sind auch Mafiosi nach Deutschland gekommen, die hier heimisch wurden. Sie halten nun die Verbindungen der Clane.
Maria G. flüchtete schließlich mit ihren Kindern in den Zeugenschutz – und konnte sich doch nicht komplett aus den Fängen der Mafia lösen. Immer wieder wurde sie bedroht, angegriffen und belagert. Telefonisch, auf der Straße. Ihre Autos, ihre Wohnungen wurden mehrfach angezündet. Eine Dokumentation der Taten umfasst elf Anschläge in knapp zwei Jahren. „Ich bin aus dem Zeugenschutzprogramm ausgestiegen, weil ich eine lebende Leiche bin. Hier in Deutschland oder in Italien – das ist dasselbe,“ sagt Maria.
Die Mafia ist in Deutschland präsent. In Stuttgart fälschte die Mafia Wahlunterlagen – mit Hilfe krimineller italienischer Politiker. Im Umfeld der Mafia sind hochrangige deutsche Politiker anzutreffen. Ein Mann mit Verbindungen in die höchsten Kreise des gefährlichen Farao-Clans bekochte die CDU-Fraktion in Stuttgart. Aus Unterlagen deutscher und italienischer Mafia-Ermittler, aus Berichten des Bundeskriminalamts (BKA) und der Landeskriminalämter geht hervor, wie frei sich Mafiosi in Deutschland bewegen können.
Die Recherche über das Leben der Maria G. führt direkt ins Herz der Mafia. Nach den Erklärungen der Kronzeugin kann sich die organisierte Kriminalität so stark in Deutschland ausbreiten, weil etliche Menschen aus dem Umfeld der Mafia kein Vertrauen in die staatlichen Instanzen haben. Sie glauben nicht daran, dass Gesetze und Regeln etwas bestimmen können. Stattdessen glauben sie daran, dass sie selbst der Gnade der Mafia-Bosse ausgeliefert sind. Nur diesen sei es zu verdanken, wenn sie ein Gehalt bekommen, eine Wohnung, ein Schulzeugnis, oder eine Arbeitsstelle. Die Menschen aus dem Mafia-Umfeld glauben, alles in Deutschland sei manipulierbar und werde von den Mafia-Bossen manipuliert. Diese mangelnde Glauben an die Rechtsstaatlichkeit macht die Mafia so stark.
Die Mafia-Familien fühlen sich heimisch in einer Art Zauberland, in dem unbekannte Kräfte an unsichtbaren Fäden die Geschicke der Menschen bestimmen. In diesem Zauberland regieren die Bosse mit magischem Wissen. Es gibt keine klare Ordnung, sondern nur Chaos, das von Wissenden im Geheimen gelenkt wird. Die Mafia ist eine Schicht von Menschen, die von Kind auf gelernt haben, dass Ausbeutung alles ist. Sie werden ausgebeutet und sie beuten selbst aus. Die Kronzeugin Maria G. macht klar: nur die wenigsten entscheiden sich freiwillig, in die Mafia einzutreten. Sie werden hineingeboren und steigen auf – oder sterben bei dem Versuch, das zu schaffen.
Maria G. hat selbst fünf Kinder. Eines davon ist schwer behindert und sitzt in einem Rollstuhl. Sie versucht, ihre Kinder vor dem Schicksal in der Mafia zu bewahren. „Mein Ältester ist 18, er weiß von meiner Geschichte und hat auch schon selbst in einem Prozess ausgesagt“, erzählt Maria. Sie schickt ihre Kinder in die Schule und versucht, ihnen Vertrauen in die Institutionen beizubringen. „Die vier anderen Kinder kennen die 'Ndrangheta nicht. Sie hören zu Hause auch nichts über Waffen und Drogen. Sie sind ganz normale Kinder,” sagt Maria. In Kalabrien wären ihre zwei Söhne bereits im Gefängnis oder würden mit Drogen handeln, sagt sie.
Doch immer wieder wird die Kronzeugin zurückgeworfen in die alte Welt der Mafia. Immer wieder erlebt sie die Angst, dass irgendwann ein Rächer der Mafia vor ihr steht und sie tötet.
Mehr zum Leben von Maria lesen Sie in dem Buch: „Die Mafia in Deutschland – Kronzeugin Maria G. packt aus“ – erschienen im Econ-Verlag. Autoren: David Schraven und Maik Meuser, 284 Seiten, 18 Euro.
Am Montag um 22.15 Uhr strahlt der TV-Sender RTL eine Dokumentation zu dem Thema aus.
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Artikelautor David Schraven ist Redakteur des Recherchezentrums CORRECTIV. Die Redaktion, mit der unsere Zeitung kooperiert, finanziert sich ausschließlich über Spenden und Mitgliedsbeiträge. Ihr Anspruch: Mit gründlicher Recherche Missstände aufzudecken und unvoreingenommen darüber zu berichten. Wenn Sie CORRECTIV unterstützen möchten, werden Sie Fördermitglied. Informationen finden Sie unter correctiv.org.