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Doppelmoral im unlizenzierten Wettgeschäft: Gewinne werden akzeptiert, Verluste angefochten

Wer gewinnt, fragt nicht. Wer verliert, klagt an.

Spieler sind allzeit bereit, Gewinne von unregulierten Wettanbietern und damit aus unstatthaften Wettgeschäften zu akzeptieren. Ohne Skrupel, ohne Zweifel. Sie kassieren die Auszahlung und denken keinen Moment über Lizenzen oder Legalität nach. Verlieren Sie jedoch, ändert sich die Perspektive radikal. Plötzlich fehlt die Lizenz. Plötzlich taugt der Anbieter nichts. Plötzlich rechtfertigt der Verlust eine Rückforderung.

Warum den Aderlass bei einem nicht lizenzierten Anbieter als diskussionswürdig ansehen, die Ausbeute hingegen quasi unter den Tisch kehren? Diese Frage stellt sich selten jemand, denn die Antwort würde eine fundamentale Doppelmoral offenlegen.

Faktisch prägt diese Art der Unehrlichkeit die deutsche Wettszene seit Einführung des Glücksspielstaatsvertrags im Jahr 2021, wobei doch nur zusätzliche Rechtssicherheit geschaffen werden sollte. Stattdessen keimte ein moralisches Wachstum auf, das in dieser Form seinesgleichen sucht. Gewinne aus dem Graumarkt werden stillschweigend akzeptiert, Verluste hingegen lautstark reklamiert. Die Gesellschaft stellt Verantwortung nur bei unlauteren Anbietern in Frage, nie bei sich selbst. Derzeit befasst sich der Europäische Gerichtshof im Fall des Wettanbieters Tipico mit der Frage, ob und inwieweit Verluste zurückgefordert werden können. Das in 2026 erwartete Urteil wird mit weitreichenden Folgen erwartet.

Der Glücksspielstaatsvertrag schuf einen fragwürdigen Nischenmarkt

Das deutsche Glücksspielrecht reguliert den Wettmarkt seit 2021 strenger als je zuvor. Auf Basis des Glücksspielstaatsvertrags existieren nunmehr enge Kriterien und komplizierte Auflagen. Die Folge: Nur wenige Anbieter erhalten eine offizielle Lizenz, alle anderen operieren in einem nebulösen, nicht weniger florierenden Bereich.

Dabei bewegen sich die ohne deutsche Lizenz tätigen Betreiber in rechtlich zweifelhaften Gewässern, die für viele Nutzer undurchsichtig sind. Wesentliche Unterschiede zwischen lizenzierten und unregulierten Anbietern bleiben im Verborgenen, vor allem, solange keine negativen Konsequenzen spürbar werden.

Tatsächlich differenzieren Nutzer nur selten zwischen legalen und, bleiben wir bei der Formulierung, unregulierten Anbietern. Sofern die Wetten aufgehen, interessiert die Lizenz nicht wirklich. Allerdings vermögen Verluste die Wahrnehmung schlagartig zu ändern. Im Nullkommanichts wird die fehlende Lizenz zum Problem erklärt, zur Schwachstelle, zum Angriffspunkt. Diese selektive Wahrnehmung zementiert ein Muster: Gewinne legitimieren den Anbieter. Verluste delegitimieren ihn.

Moral nach Kontostand

Grundlage dafür, inwieweit Gewinne und Verluste bei unregulierten Anbietern bewertet werden, ist die vorerwähnte widersprüchliche Gesinnung. Sofern Gelder bei einem Anbieter ohne Lizenz eingestrichen werden können, muss sicherlich kein Gedanke an Legalität oder Illegalität verschwendet werden. Einzig die Auszahlung zählt, der steigende Kontostand und die damit verbundene ausgeglichene Gemütslage. Das Fehlen einer Konzession verschwindet im Hintergrund, irrelevant, solange die Moneten fließen.

Verliert derselbe Mensch später, mutiert die mangelnde Zulassung zum mittelschweren Skandal. Der Anbieter wird hinterfragt, die Rechtslage plötzlich relevant, die Rückforderung berechtigt.

Markus Wolf, Gründer von Robethood, einer Plattform für Tippgemeinschaften, bringt diese Geisteshaltung auf den Punkt: „Die Gesellschaft stellt sich moralische Fragen nur bei Verlusten. Solange Einnahmen zu verzeichnen sind, interessiert die Lizenz nicht." Naturgemäß verzerrt diese Art der selektiven Wahrnehmung die Bewertung des rechtlichen und moralischen Status von Wettanbietern fundamental.

In diesem Kontext drängt sich die Frage nach Verantwortung förmlich auf. Von unlizenzierten Anbietern wird erwartet, bei Verlusten Flagge zu zeigen und ethisches Handeln an den Tag zu legen. Bei Gewinnen hingegen verschwindet diese Erwartungshaltung. Wolf fragt daher zu Recht: „Warum wird über die fehlende Lizenz hinweggesehen, wenn Gewinne erzielt werden?“ Derartige unterschiedliche Betrachtungsweisen stehen sicherlich nicht im Einklang mit dem Grundsatz einer fairen Gesellschaft, die Verantwortung konsequent einfordert – bei Gewinnen ebenso wie bei Verlusten.

Aufklärung statt Doppelmoral

Das Umdenken beginnt bei der persönlichen Haltung. Verantwortung funktioniert nicht nach Gutdünken. Gewinne aus unregulierten Märkten verdienen dieselbe Skepsis wie Verluste.

Der erste Schritt: verstärkte Aufklärung über die Risiken des Glücksspiels bei nicht lizenzierten Anbietern. Transparente Gesetzgebung und klare Marktregulierung bauen Vertrauen auf. Sie fördern eine ethisch-moralische Haltung, die Gewinne und Verluste gleich behandelt.

Markus Wolf fordert insofern einen Perspektivwechsel: „Die Gesellschaft muss sich von der Idee verabschieden, dass Rückforderungen bei Verlusten gerechtfertigt sind, während bei Gewinnen keine Fragen gestellt werden.“

Transparenz allein reicht nicht. Erforderlich ist die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen – für die eigenen Entscheidungen, für die Wahl des Anbieters, für die Konsequenzen. Wer bewusst bei unregulierten Anbietern wettet, trägt Verantwortung für Gewinne und Verluste gleichermaßen.

Die Rechnung bleibt offen

Die Doppelmoral in der Wettszene belastet nicht die Anbieter. Sie belastet die Gesellschaft, untergräbt das Vertrauen, verzerrt den Markt und verhindert faire Strukturen.

Solange Gewinne aus unregulierten Systemen als legitim gelten und Verluste moralisch angeprangert werden, fehlt die Konsequenz. Auf diesem Fundament wird Gerechtigkeit verhindert und es Nutzern eingeräumt, Verantwortung nur dann zu übernehmen, wenn es passt – und sie abzulehnen, wenn es nicht passt.

Die Lizenzproblematik verschärft das Dilemma. Sie ermöglicht Rückforderungen bei Verlusten aufgrund rechtlicher Grauzonen, fordert aber keine Rechenschaft bei Gewinnen aus undurchsichtigen Märkten. In anderen Worten: Das aktuelle System belohnt geradezu die selektive Moral. Markus Wolf wagt dazu eine Prognose: „Ich vermute, dass der BGH kein eindeutiges Urteil fällen wird, das Rückforderungen ermöglicht. Der Grund: Ein solches Urteil würde auch Wettanbietern das Recht auf Rückzahlung von Gewinnen einräumen.“ Wahrscheinlicher seien Einzelfallentscheidungen, so der Experte.

Eine gerechte Wettszene braucht klare Regeln – Regeln, die für alle gelten, in beide Richtungen, ohne Ausnahmen. Sie braucht die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen, ebenfalls in beide Richtungen. Anbieter und Nutzer müssen gemeinsam für mehr Gerechtigkeit und Transparenz eintreten. Alles andere bleibt Make-up auf bröckelndem Putz.

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