Alexander Bruggner (vorne) erklärt PZ-Redakteur Lothar Neff (links), Chefredakteur Magnus Schlecht und Verleger Albert Esslinger-Kiefer (rechts) die Lagerhaltung. Foto: Meyer
Waren so weit das Auge reicht – das Amazon Logistikzentrum in Pforzheim ist einer von elf Standorten des Online-Riesen in Deutschland. Foto: Meyer
Wirtschaft
„Amazon ist in Pforzheim angekommen“
  • Lothar H. Neff

Pforzheim. Jeff Bezos hat er bisher noch nicht persönlich kennengelernt – obwohl er bereits einige Male in der Konzernzentrale von Amazon in Seattle war. Der Online-Handelsriese Amazon ist gemessen am Börsenwert nach Apple das zweitwertvollste Unternehmen der Welt. Alexander Bruggner leitet seit fünf Jahren das Logistikzentrum in Pforzheim.

Von hier aus werden Kunden in München, Stuttgart, Nürnberg, Mannheim, Heidelberg und Augsburg am selben Tag beliefert. Und Deutschland ist eine der wichtigsten Regionen außerhalb der USA. Elf Amazon Logistikzentren gibt es in der Bundesrepublik.

Der Standort ist weltweites Referenzwerk für große Artikel wie TV-Geräte und Gartengeräte. Knapp 300 Mitarbeiter waren es im Jahr 2012 zum Start, heute arbeiten dort über 1200 Menschen – in der Hochsaison von Herbst bis Weihnachten kommen noch 500 Aushilfen dazu. „Amazon ist in Pforzheim angekommen“, davon ist Bruggner überzeugt.

Überstundenzulage vereinbart

„Wir sind ein Team, das durch die gemeinsamen Erfolge zusammengewachsen ist“, sagt Bruggner. Das sieht auch der Betriebsratsvorsitzende Christos Kalpakidis so. Kalpakidis ist seit 2013 im Amt. Die Zusammenarbeit mit der Geschäftsführung sei konstruktiv. „Wir begegnen uns auf Augenhöhe. Aber natürlich ist man auch mal anderer Meinung“, so Kalpakidis. Zuletzt hat der Betriebsrat eine Überstundenzulage für Mehrarbeit herausgeholt.

Stolz sind beide auf die gelungene Integration: Menschen aus den verschiedensten Nationen arbeiten dort, darunter zahlreiche mit Flüchtlingshintergrund gehen bei Amazon einer Beschäftigung nach. Wichtig sind dabei klare Regeln und ein verständlicher Verhaltenskodex, den jeder Mitarbeiter einhält. 33 Menschen mit Handicap haben am Standort eine berufliche Perspektive gefunden. „Über 400 Mitarbeiter sind seit fünf Jahren und länger mit dabei“, ergänzt Bruggner. 70 Prozent der Beschäftigten kommen aus der Goldstadt. Gearbeitet wird in zwei Schichten – ab 6.05 Uhr und ab 14.35 Uhr.

Der Standortleiter erklärt die chaotische Lagerhaltung – „nur das System weiß, wo sich ein bestimmter Artikel im Hochregallager gerade befindet“. Arbeitssicherheit wird groß geschrieben. Beim Treppensteigen muss man sich am Handlauf festhalten. Die Mitarbeiter tragen Sicherheitsschuhe. Die Stapler sind in den Hallen mit maximal sechs Stundenkilometern unterwegs. An den Kreuzungsbereichen hängen große Verkehrsspiegel. Die gesamte Lagerfläche von Amazon entspricht übrigens 17 Fußballfeldern (110 000 Quadratmeter).

„Bis zu 60 000 Versandpakete verlassen den Standort pro Tag. Die Kommissionierer – Picker genannt – stellen die Kundenbestellungen zusammen. Dabei werden Handscanner eingesetzt, die den Pickern den kürzesten Weg zum nächsten Artikel mitteilen. Roboter kommen auch künftig bei uns nicht zum Einsatz,“ sagt der 49-jährige. Bruggner ist in Karlsruhe geboren, in früher Kindheit nach Pforzheim umgezogen und hier aufgewachsen. Er hat das Fritz-Erler Wirtschaftsgymnasium besucht, eine Ausbildung bei der Witzenmann GmbH und ein Studium an der Hochschule Pforzheim mit Schwerpunkt Logistik abgeschlossen. Insgesamt sechs Jahre hat er in den USA und in Singapur gearbeitet, ebenso war er bei der Pforzheimer Industriefirma MAPAL WWS GmbH beschäftigt. Und er ist ein Teamplayer. „Ich sehe mich als Impulsgeber und Verbindungsperson.“ Wichtig bei Amazon ist auch, sich zwischen den europäischen Logistikstandorten auszuhelfen: „Wir haben große Kapazitäten und unterstützen bei Engpässen andere Standorte“, so Bruggner. So leitet aktuell der bisherige stellvertretende Pforzheimer Standortleiter Hrovje Salamunovic das italienische Werk in Vercelli.

Was neue Impulse angeht, haben wir ein sehr dynamisches und ideenreiches Team. Das Durchschnittsalter liegt bei 35 Jahren. Viele der Ideen wurden in die Praxis umgesetzt. „Wir haben beispielsweise die Verpackstationen optimiert, was die Ergonomie und die Effizienz angeht.“ Wir haben einen sehr hohen Arbeitssicherheitsstandard erreicht. „Die Ergebnisse waren so erfolgreich, dass die Änderungen auch in anderen Logistikzentren weltweit übernommen wurden“, sagt Bruggner. „Es gibt mehrere Kollegen, die als Versandmitarbeiter im Lager angefangen haben und inzwischen zum Manager aufgestiegen sind“. Der Einstiegslohn liege bei 10,61 Euro, steige aber binnen zwei Jahren auf 13,10 Euro. Als Erfolgsbeteiligung gibt es Mitarbeiter-Aktien. Kurswert rund 1100 Euro. Insgesamt liege das Durchschnittseinkommen nach zwei Jahren bei monatlich 2669 Euro.

Manager sind ansprechbar

Das Managementteam ist täglich im Lager unterwegs und spricht mit den Versandmitarbeitern. Kritische Anmerkungen können die Beschäftigten auch anonym abgeben – etwa wenn es um die individuelle Arbeitszufriedenheit geht. „Die Rückmeldungen der Mitarbeiter sind uns sehr wichtig“, so Bruggner. Und Amazon investiert in die Qualifizierung. Im Rahmen des Förderprogramms „Career Choice“ können sich Beschäftigte vier Jahre berufsbegleitend weiterbilden. Amazon trägt 95 Prozent der Kosten bis zu einer Obergrenze von 8000 Euro – egal ob bei der Schulung ein Logistikbezug besteht oder nicht.