
Pforzheim. Inhabergeführte Geschäfte stehen nicht erst seit der Corona-Pandemie unter Druck – und das gilt ebenso für die Innenstädte. Experten meinen: Vernetzungsmodelle im Internet wie etwa der Golden Sunday könnten den Firmen bei einer starken Positionierung gegenüber dem internationalen Onlinehandel weiterhelfen.

Wir schreiben das Jahr 2030: Erst verschwinden Fachhändler aus der City, dann Einkaufszentren. Mit dem Online-Shopping per Smartphone regiert die Auswahl im unbegrenzten Web. Zurück bleibt eine Schlafstadt, denn Homeoffice macht das Pendeln obsolet. Ein Abstecher in die City lohnt sich kaum. Ein fremdes, erschreckendes, aber unwahrscheinliches Szenario?
Strukturwandel verändert alles
Mitnichten, meint Handelsexperte Werner Reinartz von der Universität Köln. Der Strukturwandel präge nicht nur Fabriken, sondern auch die Innenstädte. Und: „Handel alleine wird sie nicht mehr retten“, sagt Reinartz. Der stationäre Handel werde auch nach der Pandemie unter Druck sein. Das Konsumverhalten habe sich verändert. „Der Innenstadtbesuch hat heute eine hohe Freizeitkomponente“, sagt Reinartz. Da sind Cafés, Restaurants, Sehenswürdigkeiten – der Handel sei längst nicht mehr nur der einzelne Treiber. In Zukunft werden auch neue Wohnformen in Innenstadtlage gefragt sein, weil Handelszonen kleiner werden.


Verkaufsoffener Sonntag in Pforzheim geht digitale Wege: Sofa-Shopping beim "Golden Sunday"
Suche nach Online-Markplätzen
Dennoch: Der Handel als Säule sei wichtig. Er müsse sich der neuen Gegebenheit anpassen – sprich online vernetzen. „Es geht gar nicht mehr ohne. Die Menschen brauchen den Online-Zugang, gerade über das Mobilgerät, um sich zu informieren, Preise zu vergleichen“, sagt Marketing-Experte Reinartz. Zudem bringen Online-Marktplätze den stationären Händlern eine enorme Reichweite. „Das sehen wir auch in unseren Studien, dass Händler plötzlich ganz neue Märkte erschließen.“ Pforzheim nimmt hier online eine Vorreiterrolle unter www.golden-sunday.de ein.
Auch die einzelnen Akteure aus Verwaltung, Gastronomie, Freizeit und Handel müssten sich vernetzen, „um ein besseres Angebot zu schaffen“. Natürlich müsse dabei jemand den Hut aufsetzen und die Strategie lokal ausspielen – denn Innenstädte seien nicht gleich.
„Es wird kein Spaziergang werden, aber es wird auch schwer, um die Marktplätze herumzukommen, weil sie diese Reichweite schaffen.“
Werner Reinartz, Professor für Handel und Kundenmanagement an der Universität Köln und Direktor des dort ansässigen Instituts für Handelsforschung


Wirtschaftsförderer Reitz zum digitalen verkaufsoffenen Sonntag in Pforzheim: "Sind anderen Städten voraus"
In Pforzheim hat Wirtschaftsförderer Oliver Reitz vom Eigenbetrieb Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP) den Hut auf. Auch er sagt: Eine Innenstadt wird nicht nur durch den Einzelhandel geprägt und belebt. „Ein ausgewogener Mix ist die Grundlage für einen Aufenthalt in der Innenstadt, der möglichst von längerer Dauer sein soll und mit einem Erlebnis-Gefühl verbunden ist“, sagt Reitz. Dazu gehören auch städtebauliche Konzepte, die ein Zentrum einzigartig machen sollten. „Allein die Filialisierung hat dazu geführt, dass bundesweit viele Fußgängerzonen ein nahezu homogenes gleichartiges Warenangebot vorhalten.“ Inhabergeführte Geschäfte und lokale Initiativen wie PopUp-Stores in Leerständen könnten dem entgegenwirken.
Pforzheim als Schrittmacher
Pforzheim geht bereits mit der Initiative Innenstadt Ost diesen Weg. Online setzt der WSP Akzente mit der Gutschein-Plattform „Handel(n) für Pforzheim“. 200 Händlern und Gastronomen wurde so im Lockdown Liquidität zugeführt. Als logischer Schritt folgt nun der erste digitale verkaufsoffene Sonntag – der Golden Sunday. „In dieser Form sind wir bundesweit Vorreiter“, sagt Reitz. Es hätten zwar Heilbronn und Dülmen erste Gehversuche unternommen, „doch betreten wir mit der Dimension des Golden Sunday Neuland.“ Mit dem Projekt tourte Reitz in diversen Gremien, zuletzt im Verbund der Wirtschaftsförderer süddeutscher Großstädte. Das Projekt ist gefragt: So hätten ihn etliche Anfragen insbesondere aus anderen Oberzentren wie Würzburg erreicht.
„Bundesweit sind alle Kommunen gefordert, den stationären Handel zu stärken und ihn – auch und gerade durch das ,Mitnehmen‘ in die digitale Welt – für die Zukunft bestmöglich aufzustellen.“
Oliver Reitz, Geschäftsführer Wirtschaft und Stadtmarketing Pforzheim (WSP)
Online-Präsenz als Erfolgsbasis
An der Online-Präsenz führt kein Weg mehr vorbei. Doch was können stationäre Händler noch tun? Stärken ausspielen, meint der Kölner Handelsexperte. „Ich muss letztendlich überlegen: Warum kommen Kunden zu mir?“, so Reinarzt. Produkt und Preis könnten es nicht sein, denn das sei die Domäne der Online-Plattformen. „Der Vorteil ist ganz klar: die persönliche Betreuung und das Erlebnis im Geschäft. Die Aufenthaltsqualität – hier müssen sich die Händler entwickeln.“
Die Fragen lauten dabei: Kenne ich meine besten Kunden? Wie schaffe ich es, sie zu binden? Habe ich einen Verteiler, kommuniziere ich in Sozialen Medien? Bei der emotionalen Bindung seien reine Online-Händler vorerst im Nachteil.


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