
- Gerd Lache/pm
Nagold.Über Jahrzehnte hinweg sei die Automobilbranche in ihrem eigenen Universum ungestört unterwegs gewesen. Sie – und damit auch die Zulieferer aus dem Nordschwarzwald – hätte „relativ gut davon gelebt, dass Menschen Autos gekauft haben, die sie nicht brauchen, von Geld, das sie nicht hatten, um Leute zu beeindruckten, die sie nicht mögen“, spitzte Professor Stefan Bratzel beim TraFoNetzFORUM im KUBUS Nagold die Lage zu. Vor rund 100 Gästen aus der gesamten Region Nordschwarzwald machte der bekannte Automobilexperte und Direktor des Center of Automotive Management (CAM) aus Bergisch Gladbach deutlich, dass damit Schluss ist. „Momentan verändert sich vieles ganz radikal.“
Die Automobilindustrie merke, „dass sie nicht mehr allein in ihrem Universum unterwegs ist“. Tesla und der chinesische Vormarsch mit batteriebetriebenen Elektroautos zeigten den etablierten Herstellern, „dass sie das erste Mal mit Wettbewerbern zu tun haben, die größer und stärker sind als sie selbst“.
Bratzel spricht von einem „kleinen Urknall“, der noch einige Jahre dauern werde. Plötzlich seien technische Raffinessen der fossilen Antriebe weniger bis gar nicht mehr gefragt. In der neuen Autowelt bestimmten Apps und umfassende Software-Steuerungen die elektrobetriebenen rollenden Computer auf vier Rädern namens E-Auto.
Was also tun? Dazu hat die Wirtschaftsförderung Nordschwarzwald (WFG) mit dem vom Bundeswirtschaftsministerium geförderten Projekt „Transformationsnetzwerk Nordschwarzwald“ (TraFoNetz) die größte Gemeinschaftsinitiative der Region um sich geschart. Ihr Ziel formulierte WFG-Geschäftsführer Jochen Protzer so: „Wir ringen um Lösungen bei der Frage nach der Zukunft von Automotive und insbesondere nach der Zukunft all derjenigen, die sich um das Thema Mobilität und Transformation der Wirtschaft insgesamt verschrieben haben“.


Autoindustrie im Wandel: Auch Berufsbilder ändern sich
Nagolds Oberbürgermeister Jürgen Großmann, Mitglied im TraFoNetz-Beirat, ist zuversichtlich: „Die Transformation findet am Wirtschaftsstandort Nagold tatsächlich schon statt.“ Einige Zuliefer-Firmen seien gut und innovativ unterwegs beim Marsch in die automobile Zukunft. Boysen beispielsweise produziert mit einem 100-Millionen-Euro-Invest im Landkreis Calw Batteriegehäuse für namhafte Autohersteller und sichert damit Arbeitsplätze vor Ort.
In Pforzheim etwa sei die Firma Witzenmann bei der Neujustierung ihres Unternehmens auf E-Mobilität ganz vorne mit dabei, machte TraFoNetz-Projektleiterin Katharina Bilaine deutlich. Ohnehin müsse die Region den Wandel schaffen, denn der Nordschwarzwald gilt einer IW-Consult-Studie zufolge als einer von jenen 40 Hotspots in der Bundesrepublik, an denen ein überproportional hoher Anteil von Automotive-Unternehmen eine vergleichsweise überdurchschnittlich hohe Zahl von branchenspezifischen Mitarbeitenden beschäftige. Und diese Wirtschaftskraft, so Großmann, „müssen wir weiter auf allerhöchstem Niveau halten“.
Dies funktioniert laut Professor Bratzel nur dann, „wenn man neue Kompetenzen und daraus neue Wertschöpfungsketten entwickelt“. Konkret: Das Thema Software und Daten sei unumgänglich und Kooperationsmodelle müssten überarbeitet werden. Auf keinen Fall dürften Paradigmen des Verbrenners auf die Elektromobilität übertragen werden. Der künftige Kundennutzen sei ein anderer, das Auto müsse neu gedacht werden. Das Alte als Referenz herzunehmen, diesen Kardinalfehler hätte seinerzeit das Nokia-Handy in die Bedeutungslosigkeit verbannt, weil der Kundenwunsch nach Smartphones nicht erkannt worden sei.
Der einstige Branchenprimus Japan mit Toyota an der Spitze gehört Bratzel zufolge momentan zu jenen etablierten Akteuren, „die das Thema noch nicht wirklich gut auf der Agenda haben“. Marktführer Tesla beweise, dass man auch mit Elektroautos Geld verdienen könne.
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