
Künstlerischer Befreiungsschlag: Alter Schlachthof in Pforzheim mausert sich zum Ausstellungsraum
Pforzheim. Es mag sein, dass wir gerade wirklich beginnen zu verstehen, was Kunst und Kultur für unser Leben bedeuten. Die Wucht, mit der die regionale Kunstszene sich in Zeiten des Verzichts bei der Ausstellung im Alten Schlachthof zurückmeldete, war die befreiende Sprengung eines unverschuldeten Schattendaseins. Plötzlich war einfach wieder präsent, was in den vergangenen Monaten eher zaghaft und bruchstückhaft zu sehen war. Die „Ateliers 2020“, organisiert vom Gewerbekulturverein und unterstützt vom städtischen Kulturamt, wirkten wie Balsam auf eine angeschlagene Kulturszene. Und sie zogen Besucher in Scharen an – der Hunger ist offensichtlich groß.
Man war schnell enthusiastisch und fasziniert von all den Werken, die sich in einer Umgebung präsentierten, die im Gegensatz zu früheren Jahren viel von ihrem blutigen Schrecken verloren hat. Kann Kunst die Aura eines Gebäudes verändern? Fast scheint es so. Auch Kulturdezernentin Sybille Schüssler war auf dieser Spur. „Der Raum gewöhnt sich langsam an eine andere Ausstrahlung“, beurteilte sie das Erwachen neuen Lebens im ehemaligen Schlachthof, der sich mit all seinen unkaschierten Verfallserscheinungen und Baustellen als viel Freiraum gebende Basisprojektion für eine überbordende Kunst-Vielfalt erwies.

„Mit und nicht gegen den Raum arbeiten“– Schüsslers Empfehlung hatten sich fast alle Künstler zu Herzen genommen. Einige, wie Monika Ziemer, bezogen Löcher, Bretter und Farbspuren der Wand in die Gestaltung mit ein. Andere, wie Max Pöss, der ein enges Nebenzimmer in eine intime Schreckenskammer verwandelte, nehmen die Möglichkeiten kleiner Räume auf. Und immer war da das einigende Fehlen von Klischees, das Experimentieren mit neuen Ansätzen, die intensive Auseinandersetzung mit Form und Aussage, das Suchen nach der Sichtbarmachung von Kraft.
Breites Spektrum der Kunst
Das Spektrum der über 40 Künstler und Künstlerinnen war dennoch breit und spannend. Da trieb an einer Flurwand Thomas Ochs lebensnah und drall eine Sau durchs Dorf, gegenüber zeigte Jens Alemann „verlassene Arbeitswelten“, Sebastian Seibel erlaubte mit seinen Fotos einen Blick in Theaterwelten, und in einer anderen Halle spielte Harald Kröner sehr konzentriert und farblich reduziert, collagenhaft mit Linien und Flächen.
Und so haben Sie den Mummelsee bestimmt noch nie gesehen: Ilona Trimbacher illustrierte das sagenhafte Schwarzwälder Gewässer großformatig mit Geistern und Fabelwesen. Peter Kraus expressive und starkfarbige Bilder standen den eher zarten und innerlich wirkenden Farbwelten von Ute Morof gegenüber, und Anina Grögers großformatige Arbeiten mit ihren intensiven hellen Himmelsansichten und beeindruckenden dunklen Wolkenbildern waren in einem Raum mit Regina Riebers Schmuck aus Walnussschalen und Ebenholz in Verbindung mit edlen Materialien zu sehen.

Es ist eine beeindruckende Vielfalt, die sich auch im konkurrenzfreien nahen Nebeneinander von arrivierten Künstlern wie den emeritierten Professoren Peter Jacobi und Manfred Schmalriede und Studierenden zeigte. Besser oder schlechter als die offenen Ateliers, die Anina Gröger in coronafreien Zeiten anbieten konnte, das ist nicht die Frage. „Ein ganz anderes Format“, sagt Schüssler zu diesem Blick auf die regionale Gegenwartskunst. Und wer die individuellen Ateliers vermisste: Im nächsten Jahr soll es sie wieder geben.